, 22. Mai 2023
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Erobert das Hochhaus die Appenzeller Landschaft?

Der Ausserrhoder Heimatschutz diskutierte an der Kulturlandsgemeinde vom vergangenen Wochenende über Baukultur, Streusiedlungen und fehlendes Fachwissen der Baubehörden – mit Hilfe von Bierdeckeln.

(Bilder: pd)

Wie wird man in 20 Jahren in Ausserrhoden wohnen? Wie wird sich die Landschaft präsentieren? Bleibt die typische Streusiedlungslandschaft erhalten?

Solche Fragen unterbreitete der Ausserrhoder Heimatschutz mehreren Architektinnen und Architekten und bat sie, auf einem Bierdeckel ein Zukunftsbild zu entwerfen. Eingegangen sind neun Vorschläge mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Im Rahmen der diesjährigen Kulturlandsgemeinde wurden sie vorgestellt und diskutiert.

Solardächer und Windräder

Beat Müller, Architekt in Herisau, skizziert die Silhouette des Säntis mit weniger Gebäuden als dort oben heute stehen. Er fragt: Was erträgt ein Berg? Und warum können dort Gebäude oder die Antenne nicht abgebrochen werden. «Zurückbauen würde die Landschaft und die Streusiedlung stärken», so sein Credo.

Ein Bild zeigt zusätzliche Häuser im traditionellen Stil, aber mit schwarzen Solardächern und einem Windrad auf einer Hügelkuppe. Gezeichnet hat es Adrian Ebneter, der in Heiden arbeitet. Sein Motto: «Vegane Selbstversorger in schöner Landschaft – leicht verdichtet». Der Vorschlag ist deshalb interessant, weil zurzeit in Ausserrhoden ausserhalb der Bauzonen mehr gebaut wird als in den Bauzonen selbst.

Mit der Klimaerwärmung setzt sich Roman Häne vom Landschaftsarchitekturbüro Kollektiv Nordost auseinander. Das Klimadiagramm auf seinem Bierdeckel zeigt, wie – vom Bodensee aufsteigend – die Erwärmung die Wälder, die Landschaft und die Landwirtschaft verändert. Und er mahnt, dass mit dem Wachstum der Agglomerationen die Grenze zwischen Stadt und Kulturlandschaft immer mehr zu verschwinden droht.

Zwei Vorschläge arbeiten mit schematischen Architekturzeichnungen. Eva Louis, bis vor kurzem Präsidentin des Ausserrhoder Heimatschutzes und Architektin in Stein, plädiert für rücksichtsvolle Einfügung von neuen Bauten in die Kulturlandschaft – in eine Landschaft, die allerdings menschengemacht ist, wie die Diskussionsrunde feststellte. Künftig müssen Neubauten besser in diese Topografie eingebettet werden, war man sich einig. Und sie macht auch einen kühnen Vorschlag: Kühe im Stall übereinander stapeln.

Thomas Künzle, Architekt mit Büro in Gais, bringt die Bedeutung der Frei- und Begegnungsräume in den Dörfern ins Spiel. Neubauten müssen möglich sein, aber die «Körnigkeit» der Dörfer müsse erhalten werden, findet er. Dafür müssen die Freiräume mehr Bedeutung bekommen. Selbst wenn die wirtschaftliche Entwicklung dazu führen wird, dass das Appenzellerland noch mehr zur Wohnregion wird und kaum mehr Landwirtschaft betrieben wird, müsse die Natur einen hohen Stellenwert behalten.

Mehr Vorschriften? Nein. Mehr Fachwissen!

A2 Architekten aus Herisau plädierten für mehr Mut beim neu Bauen, gerade auch in den Ortskernen. «Orte und Bilder stärken, verdichten und zeitgemäss entwickeln», lautet der Kommentar zu ihrer Skizze. In der Diskussion wurde klar, dass das nur funktioniert, wenn eine hohe Baukultur gepflegt wird. Dafür brauche es nicht nur einsichtige Bauherrschaften und gute Architekt:innen, sondern auch entsprechende Fachleute in den Behörden.

Braucht es auch mehr und strengere Vorschriften? Da war sich die Diskussionsrunde nicht einig. Eigentlich gebe es genug Regeln im Baugesetz. Doch diese zu verstehen und sie um-, respektive durchzusetzen, sei offensichtlich nicht einfach. Auch das Thema Verkehr in den Dörfern kam auf. Auf den Skizzen fehle die Strasse, wurde aus der Runde angemerkt – Bild und Wirklichkeit klafften zu sehr auseinander.

Einfach im alten Stil weiterbauen und aus dem Stall hinter verblendeten Fassaden grosse Fenster einbauen, sei auch keine Lösung. Bauernhaus-Kopien und Kunststoffleisten auf neuen Fenstern seien Ärgernisse.

Hohes Heidenhaus und Stapelsiedlungen

Auf Skepsis stiess deshalb das Beispiel des Holzbauers Ruedi Nagel aus Trogen. «Altes erneuern und erweitern nach der Handwerkskunst der Vorfahren», lautet sein Credo. Das sei nur begrenzt ein Rezept, auch wenn es sich beim präsentierten Beispiel um ein Haus handelt, das sehr lange leer stand und das nun wieder bewohnt wird. Die Diskussionsrunde forderte neue Typologien für die neuen Nutzungen. Plädiert wurde für Qualität, doch die muss immer wieder neu ausgehandelt werden.

Zwei der Bierdeckel zeigen futuristisch anmutende, turmähnliche Wohnhäuser. Valentin Surber aus Heiden stellte fest, dass zwar aus den Ställen in der Streusiedlung Wohnraum wird, doch seine Frage lautet: Müssen die Höfe nach dem Umbau noch gleich aussehen? Warum nicht einen Stall abbrechen und stattdessen das Bauernhaus mit einem höheren Anbau erweitern?

Er plädierte darum für neue, «ehrliche» Bautypen auch in der Streusiedlungslandschaft. Surber nennt sie «hohes Heidenhaus», «Wohn-Wohn-Kreuzfirsthaus» und «Weberhöckli-Reihe». So verdichtet gebaut, könnte die Streusiedlungslandschaft geschont werden.

Sehr ähnlich schliesslich der Vorschlag der Illustratorin Sophia Freydl. Auch sie zeichnet Appenzeller Hochhäuser, Stapelsiedlungen und Terrassendörfer auf ihren Bierdeckel. Doch die Diskussionsrunde hatte auch bei diesen beiden Vorschlägen Bedenken. Was bedeutet das für die Zufahrten, die Ver- und Entsorgung? Die Infrastruktur immer noch weiter ausbauen sei nicht nachhaltig – und im heutigen Tempo weiter zu bauen, ist sowieso nicht klimaneutral.

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