, 29. Mai 2014
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Es kamen Menschen und Musik

Das Nachtasyl bietet noch bis am 9. Juni Konzerte, Filme und Gespräche für eine menschliche Asylpolitik. Den Auftakt machten die Musikdozenten von AYKU mit ihren deutsch-türkischen Gastarbeiter-Songs.

Die zweite Nachtasyl-Reihe startete mit einem Rückblick im gutbesuchten Palace, mit einer musikalischen Reise durch 50 Jahre Deutsche Einwanderungsgeschichte. Nacherzählt wurde diese vom Berliner Autor Imran Ayata (rechts) und dem Münchner Künstler Kullukcu – zusammen sind sie AYKU. Im Oktober erschien ihre Compilation Songs of Gastarbeiter Vol. 1 bei Trikont, seit März ist sie auch auf Vinyl zu haben.

aykuDas Rezept der beiden ist so simpel wie genial: Sie durchforsten Archive, Plattenläden oder Musiksammlungen von Verwandten und Bekannten, immer auf der Suche nach musikalischen Perlen der ersten Einwanderergeneration. Diese stellen sie anschliessend samt Hintergrundinfo ihrem Publikum vor, manchmal mit eigenen Remixes. Kommentiertes Auflegen nennt sich das Ganze. Oder betreutes Nachdenken, aber das ist Ansichtssache.

Jedenfalls ist diese türkische «Geschichtsstunde» eine ganz fantastische Idee. Nicht nur, weil Ayata und Kullukcu ein politisch und gesellschaftlich hoch sensibles Thema anpacken und erst noch humoristisch verpacken – gekonnter übrigens als die eidgenössische Komik-Gilde. Das erfrischende an dieser Lektion ist vor allem die Attitüde: nicht am Gestern zu leiden.

Das bedeutet nicht, dass Ayata und Kullukcu die Sorgen und Schwierigkeiten der Gastarbeiterinnen und -arbeiter nicht ernst nehmen würden, im Gegenteil, viele der vorgestellten Songs handeln von Themen wie Arbeit, Heimweh, Ausgrenzung oder Religion. Cem Karaca, Frontmann von «Die Kanaken» etwa zitiert auf seinem gleichnamigen Album (1984) sogar explizit den Schriftsteller Max Frisch. «Es wurden Arbeiter gerufen. Doch es kamen Menschen an», singt Karaca im Refrain.

Ayata und Kullukcu wissen definitiv um die schweren Herzen ihrer Eltern und Grosseltern damals, aber sie wissen eben auch, wie man konstruktiv auf Problemen rumhackt. Abgesehen davon ist es ja nicht so, dass diese nicht immer noch dieselben wären, nur dass heute andere darunter leiden. Auch das wird deutlich beim Hören der Gastarbeiter-Songs.

Konstruktiv ist das kommentierte Auflegen aber auch, weil Ayata und Kullukcu es nie ohne Selbstironie tun, weil sie den Skeptikern von damals und heute dauernd einen fast schon bemitleidenswerten Spiegel vorhalten und weil sie weltgeübt hin- und herpendeln zwischen «Almanya» und «Türkiye», im Kopf wie im Auto.

AYKU kommen offenbar gar nicht erst auf die Idee, sich oder die einstigen Gastarbeiter als zu Opfer präsentieren. Das ist erfrischend, denn so haben die Ewiggestrigen immerhin keine Macht über die Gefühle. Vielleicht nehmen sie damit auch jenen etwas Wind aus den Segeln, die immer so wahnsinnig unentspannt sind, wenn es um Humor in Verbindung mit Migration geht – jene, die sich für «Opfer» einsetzen statt für Menschen.

 

 

Ein AYKU-Portrait des Bayrischen Rundfunks:

 

Weitere Veranstaltungen der diesjährigen Nachtasyl-Reihe:
29.5.: Pingpong vs. Rassismus, 20.30 Uhr, Grabenhalle St.Gallen
30.5.: Volksküche und Vortrag, 20.30 Uhr, CaBi Antirassismustreff
30.5.: The Strapones, Punk um 22 Uhr, Schwarzer Engel
05.6.: Fremd, ein Film über einen jungen Malier, 19.30 Uhr, Frauenpavillon
05.6.: Fortress Europe, Vortrag von Gabriele del Grande, 20.15 Uhr, Palace
06.6.: Débruit & Alsarah, 21 Uhr, Treppenhaus Rorschach
07.6.: Interkulturelles Picknick, 14 Uhr, Kantipark St.Gallen
08.6.: Life in Paradise, 11 Uhr, Kinok
09.6.: 10-Jahr-Jubiläum Solinetz, 14 Uhr, Grüningerplatz

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