, 19. August 2014
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Es war nicht der «Negerkönig»

Es war einmal… So beginnen Märchen, oder in diesem Fall: eine Falschmeldung – zu finden im «Tagblatt» vom letzten Donnerstag. Es ging um den Märchengeschmack der St.Galler Stadträtin Patrizia Adam.

Das Tagblatt schrieb: «Mein Lieblingsmärchen ist das von Kasperli und dem Negerkönig Krambambuli». Saiten hat es wenig später zitiert und der Stadträtin mangelndes Geschichtsbewusstsein vorgehalten, Zitat: «Abgesehen von der ganzen Kolonial-Attitüde: Müsste man bei jedem ‹munggelibrunen Chruselnegerli› einen Schnaps kippen, käme der Brechreiz schneller als das elende Ende der Story.» Und weiter: «Schade, dass sie ein Faible für Geschichten hat, und nicht für Geschichte.»

Am Montag hat Patrizia Adam dem Tagblatt gegenüber richtiggestellt, was sie bei der Einweihung der Märlistationen tatsächlich gesagt hat und Aufnahmen bestätigen: «Hans Tolpatsch» sei ihr liebstes Märchen, ausserdem käme bei Trudi Gerster vielen noch «Wumbo Wumbo» in den Sinn – jenes Märchen, aus dem im Tagblatt dann «Negerkönig Krambambuli» geworden ist. (Nebenbei: Denselben Fantasienamen trägt auch eine Erzählung von Marie von Ebner-Eschenbach aus dem Jahr 1884. Dort ist es ein räudiger, aber treuer Jagdhund, der so heisst).

In der Tagblatt-Ausgabe vom Dienstag ist eine Richtigstellung abgedruckt, mit dem Nachsatz: «Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.» Unsrerseits gibt es drei Schlussfolgerungen, alle nicht sehr schmeichelhaft.

Erstens: Informationen ist grundsätzlich zu misstrauen, auch wenn sie, wie im Fall des Tagblatt-Artikels, unverdächtig daherkommen und auf den ersten Blick keinen Anlass zu Zweifel bieten – alte Journalistenregel, eigentlich.

Zweitens: Die Unterstellung, Stadträtin Adam habe mit ihrem Lieblingsmärchen mangelnde Sensibilität für koloniale Verstrickungen und Hintergründe in Kindergeschichten bewiesen, ist nicht haltbar. Wir entschuldigen uns dafür.

Drittens: In der Sache bleibt dennoch einiges zu tun – und gerade das Gerster-Memorial wäre eine Chance gewesen, die Tücken der Märchenwelt, ihre rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Aspekte den heutigen Kindern zu vermitteln. Gerster greift in «Wumbo Wumbo» nämlich ähnlich tief in die koloniale Mottenkiste wie Jörg Schneiders «Krambambuli», wenn sie vom «kleinen Negerli» erzählt (in späteren Fassungen wird daraus ein «Afrikanerli», sie war jedoch alles andere als begeistert von diesen Korrekturen), das so furchtbar dumm gewesen sei – «aber nöd dass er etz glaubed, es gebi nume tummi Negerbüebli», sagt sie. Einige brächten es nämlich bis zum Professor.

 

Mehr zum Thema Postkolonialismus und Diskriminierung in Märchen gibt es hier.

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