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Exklusive Festspiel-Premiere
Die St.Galler Festspiele weichen dieses Jahr vom Klosterplatz auf die Flumserberge aus. Purcells «The Fairy Queen» passt dort hin – aber das Premierenwochenende ging im Unwetter unter. Als Ersatz gab es am Freitag Kostproben in der Bergbeiz. So nah war Oper noch nie.
Die Bänkli für Wanderer und Theaterbesucherinnen stehen parat auf dem kurzen Weg vom Parkplatz zur Festspielbühne. Samt passendem Slogan: «Wo Natur und Kultur harmonieren» oder gar: «Kultur und Natur eine Liebesgeschichte».
Am Startwochenende wurde aus der Lovestory zwischen den St.Galler Festspielen und den Flumserbergen allerdings ein Beziehungsdrama: Die Natur zeigte mit Gewitter und Dauerregen der Kultur ihre Krallen.
Im Kreuz mit dem Gewitter
Das Gewitter habe man kommen sehen, sagt die freundliche Wirtin im «Chrüüz». Ins «Chrüüz» sind wir geflüchtet, als aus dem Regen ein Sturzbach geworden ist, der der geplanten Wanderung über die Tannenbodenalp, zur Einstimmung auf die naturverliebte Oper gedacht, ein abruptes Ende bereitet hat. Die Wirtin hat Mitleid mit den paar wenigen Festspielgästen und wundert sich, dass die Premiere überhaupt angesagt worden ist. Städter halt – «in den Bergen muss man mit allem rechnen».
So kommen die St.Galler Festspiele an diesem Freitagabend zu einer Premiere der anderen Art: Erstmals in der 19jährigen Geschichte des Festivals muss sie abgesagt werden. Und dies gerade mal eine knappe halbe Stunde vor Beginn. Statt auf der Bühne versammelt sich das Publikum mehr oder weniger durchnässt im Restaurant «Colors», wo der «Bergjet», die Gondelbahn hoch auf den Maschgenkamm startet.
Titania und Oberon beziehungsweise die Gastroteams auf der Tannenbodenalp haben gezaubert: Der Apéro ist schon parat. Und bald auch das phänomenale Continuo.
Beim Entscheid für die Premiere, am frühen Freitag-Nachmittag gefällt, habe man noch hoffen können, dass die Gewitterzellen schneller abziehen, erklärt Theaterdirektor Jan Henric Bogen. Jetzt aber gehe die Gesundheit und Sicherheit für Gäste und Mitwirkende vor. In der Tat: Draussen blitzt und schüttet es, an Freilichttheater ist nicht zu denken, trotz überdachter Publikumsreihen.
Barockspektakel zwischen Beizentischen
Die Kostprobe dessen, was auf der Bühne stattgefunden hätte, fällt dann üppig aus. Ein grauer Teppichboden als Bühne, ein paar wenige Quadratmeter Spiel-Raum, Cello, Cembalo und Laute, die gleich das ganze Orchester mimen, das Publikum als Kulisse: Das sind die Bretter, die an diesem Abend die Welt bedeuten.
Countertenor Théo Imart, im grauen Narrengewand, sprudelt seine Koloraturen. Puck Nachtspuk und Puck Morgentau schleichen wildkatzenartig durch die gedrängten Tischreihen. Vom Buffet her, wo eben noch Speisen aufgetragen wurden, taucht der Chor der Elfen und Waldgeister auf. Hermia und Lysander lieben und necken sich, die drei betrunkenen Dichter lallen ihre Echo-Gesänge.
Schlagartig ist man drin in Purcells einfallsreicher Partitur und den Irrungen und Wirrungen einer Zauberstory, die zu kapieren man rasch aufgibt – aber umso mehr verzaubert wird vom Improvisationstalent und der Spiellust des Ensembles unter der phänomenalen Dirigentin Corinna Niemeyer. So nah, so «live» ist Oper sonst nie.
Purcells Semi-Oper ist zwar nochmal «halbiert», aber zugleich verdoppelt an Intensität. Mit dabei sind die Sänger:innen Vuvu Mpofu, Kali Hardwick, Robert Barneck, Matthias Hoffmann und Théo Imart, Christian Hettkamp und Chantal Dubs vom Schauspielensemble, Dustin Eliot und Wassilissa Serafin Gutzwiller als Pucks sowie der Chor des Theaters St.Gallen.
Ein Besucher bringt es auf den Punkt: So entstehen Erinnerungen.
Die Premierengäste, darunter die komplette St.Galler Kantonsregierung, applaudieren begeistert. Sie scheinen mehr als entschädigt für das entgangene Opernerlebnis. Dieses ist, nach dem verstürmten Premierenwochenende – auch die Zweitvorstellung vom Samstag wurde abgesagt, diesmal frühzeitig bereits am Mittag – noch vier mal jeweils freitags und samstags zu sehen, eine Zusatzvorstellung könnte zudem am 4. Juli stattfinden.
Die Natur spielt verrückt
Auf dem Heimweg, inzwischen sind die Churfirsten aus dem Nebelgrau aufgetaucht, aber es regnet noch immer in Strömen, die Überzeugung: Aktueller hätte Purcells Feenmaskenspiel, mehr als drei Jahrhunderte nach seiner Enstehung, nicht ins Werk gesetzt werden können als hier auf den Flumserbergen.
Oberon hat es klipp und klar gesagt: Die Welt ist aus den Fugen, die Natur spielt verrückt, der Mensch hat die Kontrolle verloren.
The Fairy Queen
Vorstellungen: 28./29. Juni, 5./6. Juli, 20 Uhr, Tannenbodenalp
In Shakespeares Sommernachtstraum, der Vorlage für Purcells Fairy Queen, ist es zeittypisch der Ehekrach des königlichen Elfenpaars Oberon und Titania, der die Konfusion ausgelöst hat. Heute hat der menschgemachte Klimawandel den Job der Elfen und Trolle übernommen. An diesem Premierenwochenende auf den Flumserbergen meldet er sich mit Gewitter und Starkregen.
Am Ende behalten die Bänkli und ihre Slogans also doch recht: Natur und Kultur sind Teil derselben einzigen Welt. Auch wenn sie nicht immer harmonieren.