, 29. Januar 2020
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Fahren zwei Schwule mit dem Fahrrad…

Über Diskriminierung, Homowitze und worum es bei der Abstimmung über die erweiterte Anti-Rassismus-Strafnorm vom 9. Februar nicht geht.

Wenn man den Gerüchten glauben will, stimmen wir ja demnächst darüber ab, ob man gewisse Dinge nicht mehr sagen dürfe. Und das ist natürlich Quatsch. In diesem Land darf jeder Mensch jederzeit alles sagen, aber um es mit dem besten Kolumnisten des Landes, Peter Schneider, zu sagen: «Man darf schon, aber man soll sich nicht wundern, wenn es Konsequenzen hat.»

Das gilt insbesondere auch für jenes zentralste unserer Kulturgüter, das angeblich mit der Abstimmung vom 9. Februar Gefahr laufe, der staatlichen Zensur zum Opfer zu fallen: den Schwulenwitz. Natürlich wissen wir alle nur zu schmerzlich, wie leer unsere Leben wären, wenn wir nicht mehr am Laufmeter ausgelutschte Pointen über Penisse reissen, hintenrum Kackknaller ablassen und statt im Rampenlicht nur noch im Darkroom diskriminieren könnten. Aber ich kann euch beruhigen: Auch der Schwulenwitz wird in Zukunft nicht verboten. Und Konsequenzen hatte er schon immer.

Beispiel gefällig?

Treffen sich zwei Schwule. Sagt der eine: «Gestern ist mir das Kondom geplatzt.» Sagt der andere: «Im Ernst?» Antwortet der Erste: «Nein, im Detlev.»

Der Witz ist vielleicht doof, aber nicht diskriminierend. Erstens ist er so alt, über den Witz hat nicht einmal mein schwuler Grossvater mehr gelacht (habt ihrs gemerkt?), weil selbst damals hiess niemand mehr Detlev. Auch nicht im Ernst. Und vor allem ist der Witz nicht schwulenfeindlich, weil am lautesten darüber sowieso all die heterosexuellen Männer lachen, die es nie geschafft haben, ein Kondom richtig anzuziehen, bevor man es ihnen in der famosen «Röllele Röllele»-Kampagne erklärt hat.

Ein anderes Beispiel: Drei Männer unterhalten sich am Stammtisch über ihre Söhne. Erzählt der erste: «Mein Sohn ist super erfolgreich. Er hat als Tankwart angefangen und heute hat er 15 Tankstellen.» Sagt der zweite: «Ach, das ist noch gar nichts – meiner hat eine Lehre als Drogist gemacht, heute hat er 20 Drogerien.» Da schauen die beiden ihren Kollegen an: «Ja und dein Sohn?» Dieser ziert sich und meint nur, dass es ihm ein bisschen peinlich wäre. Meint der erste: «Ach komm, so schlimm kanns doch nicht sein. Jetzt erzähl schon!» «Naja», sagt der Dritte. «Mein Sohn ist schwul.» «Na und wovon lebt er?» «Ach, er hat zwei Freunde, der eine hat 15 Tankstellen, der andere 20 Drogerien.»

Auch dieser Witz ist nicht diskriminierend. Weil man weiss ja gar nicht, was der dritte Sohn für die anderen zwei so macht, dass die ihn durchfinanzieren. Wahrscheinlich ist er Anwalt und hilft dem Tankstellengrossisten und dem Pharmakönig, ihr klima- und gesundheitsfeindliches Geschäft über Wasser zu halten. Oder noch schlimmer: Bundeshauslobbyist. Und denen kann man zwar durchaus vorwerfen, dass sie sich in dunklen Hinterzimmern herumtreiben und unser Land regelmässig von hinten nehmen, aber hey: Ihr habt so gewählt, also beschwert euch nicht.

Vielleicht müssen wir ein bisschen spezifischer werden:

Fahren zwei Schwule mit dem Fahrrad. Fragt der eine: «Wo hast du so ein tolles Fahrrad her?» Sagt der andere: «Ach, ich ging so durch die Stadt und dachte nichts Böses, als aus dem Nichts diese wunderschöne, schlanke Frau daher radelte. Sie schmiss das Rad zu Boden, riss sich die Klamotten vom Leib und rief mir zu: Nimm dir, was du willst!» Antwortet der erste: «Schlank, ja? Na dann hast du ja gut gewählt. In die Klamotten hättest du mit deinem Arsch eh nicht rein gepasst.»

Der Witz ist vielleicht daneben, aber tut auch noch niemandem weh. Weil, seien wir ehrlich: Schwule Männer sind tatsächlich immer so verdammt viel besser angezogen als Heteros. Ist ja auch kein Wunder, so lange, wie die meisten im Schrank verbracht haben.

Ist das diskriminierend? Ich glaube nicht. Und falls schon, möchte ich das nicht von jemandem hören, der gar nicht weiss, um welchen Schrank es hier eigentlich geht. Weil die meisten lachen ohnehin nur über solche Witze, weil sie einfach keine Ahnung haben, was es denn eigentlich bedeutet, schwul zu sein.

Auch dazu ein Beispiel:

Ein Mann entscheidet sich, endlich seinen Eltern zu sagen, dass er schwul sei. Er geht nach Hause und trifft seine Mutter beim Kochen. Er setzt sich an den Tisch, seufzt tief und sagt: «Mama, ich muss dir etwas sagen. Ich bin schwul.» Seine Mutter rührt weiter mit ihrem Kochlöffel im Topf, als sei nichts gewesen, und gerade als er es nochmal sagen will, weil er meint, sie hätte ihn nicht gehört, sagt sie gefasst: «Also wenn du schwul bist – bedeutet das, dass du die Penisse von anderen Männern in den Mund nimmst und deine Zunge in ihre Hintern steckst?» Der Mann antwortet ein bisschen nervös, weil es ihm natürlich peinlich ist, mit seiner Mutter über Sex zu sprechen: «Äh, also, ja, Mama, das stimmt». Die Mutter rührt weiter, bis sie sich plötzlich umdreht und ihm mit voller Wucht den Kochlöffel über den Kopf zieht: «Beschwer dich NIE MEHR über mein Essen!»

Nein, auch der Witz ist nicht diskriminierend, weil er streng genommen nicht einmal ein Witz über Homosexualität ist, sondern einfach darüber, wie peinlich es den meisten von uns ist, über sexuelle Praktiken zu sprechen, die über die Missionarsstellung hinausgehen. Ganz ehrlich: Wenn du glaubst, schwuler Sex sei so verdammt lustig, dann machst du mit grösster Wahrscheinlichkeit einfach etwas falsch. Ich habe zum Beispiel letzthin meine Freundin gefragt, ob wir es endlich mal mit Analsex probieren könnten, aber sie fand, das sei zu schmerzhaft. Die Frau hat offensichtlich keine Ahnung, wie man einen Umschnalldildo montiert.

Noch schlimmer ist es übrigens mit Lesbenwitzen, weil die meisten Männer zwar sehr häufig über lesbischen Sex nachdenken, aber sie haben keine Ahnung davon, wie das ausserhalb von Pornhub tatsächlich funktionieren könnte.

Beispiel gefällig? Wie nennt man eine Lesbe mit langen Fingernägeln? – Single.

Ja, über den müssen die Menschen dann plötzlich nachdenken. Und noch ein bisschen schwieriger wirds hier:

Was bringt eine lesbische Frau zum zweiten Date mit? – Einen Zügelwagen. Was bringt ein schwuler Mann zum zweiten Date? – Was für ein zweites Date?

Und denkt gar nicht zu lange darüber nach. Weil ich gehört habe, dass Menschen, die sich ihrer Sexualität nicht ganz sicher sind, auch ganz allgemein viel schneller verwirrt seien. Deswegen gibt es übrigens einen zu 100 Prozent akkuraten Test:

Wie verwirrt man latent Homosexuelle? – Sieben.

Doch um all das geht es bei der Abstimmung vom 9. Februar nicht. Sondern eben um Konsequenzen:

Ein Mann säuft in einer Bar bis zum Umfallen. Als ihm der Wirt irgendwann sagt, «So fertig jetzt, du hast genug gesoffen», flüstert ihm der Mann etwas ins Ohr. Der Wirt blickt verstört und bringt ihm sofort ein neues Bier – aufs Haus, versteht sich. Da fragt ein Mann den Trinker an der Bar: «Was zur Hölle hast du zu ihm gesagt?» «Naja, nur dass ich alle Bilder von seinem Grinderprofil in der Bar herumzeige, wenn er mir kein Bier mehr gibt.» Sagt der andere: «Wow, ich wusste gar nicht, dass der schwul ist.» «Na ich auch nicht. Aber ich hab mein Bier gekriegt, oder?»

Wir schreiben das Jahr 2020. Zürich hat eine lesbische Stadtpräsidentin und das ist gut so. Und trotzdem müssen Homosexuelle immer noch mit Angst leben. Weil es eben gleichzeitig auch Menschen gibt wie den ex-Churer Bischof Vitus Hunoder, der Sätze sagt wie diesen: «Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide haben den Tod verdient – und damit ist aus christlicher Sicht alles gesagt, um der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben.»

Die Frage, über die wir abstimmen, ist eben nicht, ob man solche Sätze auch in Zukunft noch sagen darf. Wir stimmen nur darüber ab, was für Konsequenzen sie haben sollen und vor allem für wen: Für die schwulen Männer, die mitten in Zürich verprügelt werden oder die lesbischen Frauen, die vergewaltigt werden. Für jene, die diese Verbrechen begehen, weil sie glauben, dass man Homosexualität mit ein paar Schlägen oder mit einem rechten Schwanz schon heilen könne. Oder eben auch für jene, die sie dazu angestiftet haben.

 

Ja zum Schutz vor Hass – darum gehts:

«Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft (…), wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» So steht es in der 1994 eingeführten Antirassismusstrafnorm (Art. 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuches StGb). Geht es nach dem Parlament, soll diese um die sexuelle Orientierung erweitert werden. Lesben, Schwule und Bisexuelle sollen so vor Hass, Hetze und Diskriminierung geschützt werden, trans Menschen schliesst die erweiterte Strafnorm leider nicht mit ein. Teile der Jungen SVP und der EDU haben dagegen das Referendum ergriffen, sie sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr und sprechen von einem «Zensurgesetz».

Dabei geht es gar nicht darum, dass man gewisse Witze nicht mehr erzählen darf, wie manche befürchten, (ausser der Witz hat öffentlichen Charakter und beinhaltet eine systematische Herabsetzung und Verleumdung von homo- und bisexuellen Menschen). Was jemand denkt, im Freundinnenkreis oder am Stammtisch von sich gibt, fällt nicht unter die erweiterte Strafnorm. Es geht darum, den Unterschied zwischen Diskriminierung und freier Meinungsäusserung zu kennen. Darum, dass zum Beispiel Leute, die auf einer öffentlichen Facebook-Seite die Haltung verbreiten, dass alle Lesben krank seien und von einem Mann vergewaltigt werden müssten, um auf den «richtigen Weg» zu finden, künftig in jedem Fall bestraft werden können. Oder eine Kita, die das Kind zweier schwuler Väter nicht aufnehmen will. Oder der Beizer, der lesbische Paare nicht in seinem Laden haben will. Passiert alles in der modernen Schweiz. Jede Demokratie ist so stark wie ihr Umgang mit Minderheiten.

Es geht auch nicht darum, dass man homo- und bisexuellen Menschen einen Sonderstatus verschaffen will. Man gibt ihnen lediglich denselben Schutz, den auch People of Colour, jüdische Menschen oder Musliminnen in einer modernen Gesellschaft geniessen. Die Erweiterung der Strafnorm ist ein Mittel, um die Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen mit der Mehrheitsgesellschaft zu erreichen. Es stimmt, dass eine Person sich auch heute schon rechtlich wehren kann, wenn sie tätlich angegriffen oder persönlich beleidigt wird aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Doch es sind die Worte, die zu Taten führen. Aufrufe zu Hass und Hetze, die letztlich zu diesen Angriffen führen, sind Stand heute nicht strafbar. Sobald also nicht gegen eine Einzelperson, sondern gegen eine ganze Gruppe wie «die Lesben», «die Schwulen» oder «die Bisexuellen» gehetzt wird, brauchen die heutigen Gesetze ein Update – und darüber stimmen wir am 9. Februar ab. (co)

Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.

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