, 3. November 2017
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Friede herrscht nicht

Die ehemalige City Garage am Unteren Graben 24 in St.Gallen ist ausser Betrieb. Geplant ist eine Erweiterung, genutzt wird die Garage vorübergehend als Ausstellungsraum: Augustinus Rupp ist für drei Monate mit Bett und Bildern eingezogen. Michael Hug war beim Einrichten dabei.

Das Bett steht auch schon da. «Falls es noch zu einer Nachtschicht käme», lächelt der Künstler Augustinus Rupp. Geschlafen hat hier wohl noch nie jemand, sinniert er, «das war eine Garage, da wurde von morgens bis abends gearbeitet, aber hier auch noch zu schlafen wäre wohl keinem in den Sinn gekommen.»

Maler und Tätowierer: Augustinus «Gass» Rupp.

Nun arbeitet Gass hier, fast jeden Tag von morgen bis abends, putzt, räumt auf, hängt Bilder, bemalt die Wände, und wenn es knapp werden sollte bis zur Vernissage von heute abend, dann schläft er halt auch noch hier. Es wurde knapp, soviel sei gesagt, ob er die letzten Nächte nun in der zugigen und ziemlich unterkühlten Garage verbracht hat, haben wir ihn nicht gefragt.

Gass muss Bilder hängen

Gass Rupp muss Bilder aufhängen. Heute abend beginnt seine Werkschau «Baustelle Kunst – Gass.Retro.UG», eine Retrospektive über seine Arbeiten der vergangenen Jahre. «Das war wie eine Initiation», sagt Rupp, «als ich von dem Baustopp hier in der Zeitung las, sagte ich mir: da muss sich doch etwas draus machen lassen.» Seit Jahren hat der hauptberuflich als Tätowierer tätige, 64-jährige Rehetobler keine Ausstellung mehr gemacht. Die Zeit oder die Umstände waren einfach nicht reif genug, sinniert er, «aber das hier, das passt jetzt grad.»

«Baustelle Kunst – Gass.Retro.UG», 3. November bis 1. Dezember, Unterer Graben 24, St.Gallen (Parkhaus Unterer Graben), Mi 16 bis 18 Uhr, Fr 18 bis 21 Uhr, Sa und So 14 bis 18 Uhr.

Er hat die Quadratmeter nicht gezählt, die ihm hier zur Verfügung stehen. Auch nicht die Bilder, die er zeigen will. Auf jeden Fall ist es viel Platz, enorm viel Platz – jeder Kunstschaffende fühlte sich im siebten Himmel, sähe er oder sie diese Laufmeter an leeren Wänden. Und es sind viele Bilder, die in den Jahren zusammengekommen sind.

Die Bilder passen

Gass Rupp hat die leerstehende Garage für drei Monate übernommen: «Die Bauherrschaft kam mir sehr entgegen, ich kann machen, was ich will und sie wollen nicht mal etwas dafür.» Dass es sich um eine Baustelle handelt, stört Rupp nicht: «Im Gegenteil, das passt zu meinen Bildern, besser gesagt, meine Bilder passen hierhin. Ich widme mich gerne dem Vergänglichen, dem Absterbenden, auch der Veränderung.»

Die Zeit scheint still zu stehen in der ehemaligen Autowerkstatt, aber sie tut es natürlich nicht: «Da war soviel Dreck und Staub wegzuräumen, das hat mich tagelang beschäftigt.» Aber Gass Rupp mag diese Arbeit, es bedeutet für ihn, sich auf den Raum einzulassen: «Eigentlich hätte man alles so lassen sollen wie es nach dem Auszug der Garage war, das wäre richtig authentisch gewesen. Aber ich will das dem Publikum, das meine Bilder sehen will, nicht zumuten.»

Schier irrsinnig die Bilder

Dreck, Siff, Staub, Düsterkeit, Finsternis sind auch die Themen in Rupps Bildern. Ebenso Gewalt, Unterdrückung, Ungerechtigkeit. In einer Serie zeigt er mit dem Pinsel kopierte Standbilder aus TV-Nachrichtensendungen. Zufällige Stills aus dem täglichen News-Irrsinn, schier irrsinnig sind deshalb auch die Bilder. Zeitgeist. Meist zusammenhangslos aus der Realität gerissen, immer unscharf, immer mit breitem schwarzem Rand.

Die Ausstellung «Gass.Retro.UG» in der ehemaligen City Garage.

«Es geht mir nicht darum, das was da draussen passiert zu zeigen, es geht mir mehr darum, den Wahnsinn irgendwie fassbar für mich zu machen.» Gass Rupps Kunst ist es, im Betrachtenden auf subtile Weise eine Reaktion auszulösen. Er zeigt dabei nicht mit dem Mahnfinger, er zeigt nur Ausschnitte, Standbilder, aus dem Zusammenhang gerissen, freskenhaft, doch er nötigt damit dem Betrachtenden eine Haltung dazu ab, ohne dass sich dieser genötigt fühlt.

Nicht wegschauen

Zeitgeist. Keine schönen Bilder. Befremdend. Und doch so alltäglich. Man kann wegschauen ob all des Bluts, der Waffen, der Ungerechtigkeiten, des Elends an den nackten, grauen Wänden. Man sollte es aber nicht. «Friede herrscht nicht», steht auf einem der Bilder. Auf einem anderen: «Es gibt ein Leben vor dem Tod».

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