, 5. Juni 2015
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Für oder gegen den Durst

Die St.Gallerin Monika Slamanig erzählt in ihrem Buch «Durstland» von Sehnsuchtsorten in Südafrika und Namibia. Ihr Debüt, als erster Band der Edition Literatur Ostschweiz erschienen, schickt zwei Schweizerinnen auf einen Roadtrip.  von Eva Bachmann

Durstland: Wie wäre diese Zusammensetzung aufzulösen? Das Land, das Durst hat. Das Land, das Durst macht. Das Land, nach dem man Durst hat.

Die direkteste Erklärung findet sich in den Anmerkungen am Schluss des Buchs: Durstland ist die wörtliche Übersetzung von «Karoo», dem Namen einer Wüste Südafrikas in der Sprache der San, die 20‘000 Jahre im Buschland und den Wüsten von Namibia, Botswana, Angola und Südafrika lebten und wussten, wo und wie man in diesem trockenen Land zu Wasser kommt.

Diesen Buschmännern begegnet man im Buch selten, häufiger schon den Nachfahren jener, die sie in Reservate gedrängt haben: Engländern, Holländern, Deutschen, die damals als Kolonisatoren und heute als Touristen ungehemmt ihre Dürste nach Diamanten, wilden Tieren und Wasser für den Swimmingpool stillen, während die Schwarzen unter Gewalt und Mangel leiden. Auch wenn Coca-Cola omnipräsent ist, bleiben viele durstig in diesem Land. Und als «Pinky» gehört man – egal, wie man sich verhält – a priori zur falschen Seite. Von solchen Spannungen erzählt «Durstland», aber noch von mehr.

Roadmovie in Stücken

Durstland: das Land, das Durst macht. Auch diese Auflösung ist nicht falsch. Zwei Schweizerinnen, «sie» und «ich», fahren im Auto von einem Schafdorf ganz im Süden des Kontinents bis nach Swakopmund in Namibia – 2000 Kilometer durch Sand, Staub, Hitze. Erzählt wird ein Roadmovie, allerdings recht fragmentarisch und mit Vor- und Rücksprüngen, die Orientierung fällt gelegentlich nicht leicht. Und der Eindruck von Zerstückelung wird noch verstärkt durch den unglücklichen Textsatz des Buchs.

Unterwegs unter der sengenden Sonne passieren Pannen, Unfälle, Zwischenfälle, doch es gibt auch Rettung. Wobei nie ganz klar ist, wer hier wen rettet: «Sie» dürstet nach Liebe und Alkohol, «ich» will weite Landschaften und ihren Seelenfrieden, vor allem die Angst vor einem weiteren Überfall loswerden. Das geht nicht gut aus: «Sie» flieht allein nach Hause, während «ich» immer noch nicht herausgefunden hat, wo zu Hause ist. «You must go home», sagt der Heiler. Und wenn sie nicht weiss, wo das ist? «She will. She will write it down.» – «She doesn’t have words.» – «No worries. God knows.» Am Tiefpunkt beginnt das Schreiben, diese Szene gleicht einer Initiation. Und das Schreiben gelingt denn auch: In atmosphärisch dichten Miniaturen und feinen Szenen schildert Monika Slamanig die Begegnungen mit diesem Land und seinen Menschen.

Schreiben geht besser als reden, was die letzte Episode zeigt. Sie ist als klärendes Gespräch ein Jahr später angelegt. Für den Leser werden hier Lücken der Reise gefüllt. Aber literarisch hat diese Nicht-Kommunikation zwischen den Nicht-Freundinnen eine ganz andere Qualität, die sich mit ihrem Sarkasmus deutlich vom Vorangegangenen abhebt und letztlich alle Beteiligten fragend zurücklässt.

Die Wüste, ein Ozean

Durstland zum Dritten: Mehr als einmal stellt sich die Frage, warum die Ich-Erzählerin so grossen Durst nach diesem Land verspürt. Eine Antwort darauf geben die herrlichen Beschreibungen: «Sonnenuntergang über dem Orange River, blutrot, der Fluss silberblau wie eine riesige glitzernde Schlange in einem Scharlachbeerenmeer.» Und die Wüste ist «ein Ozean von Land, Welle um Welle bis zum Horizont, gelb, braun, ocker, rot, dunkelblau, mit einer scharfen Linie zwischen Erde und Himmel».

Eine andere Antwort ist die Leere, ein Gegensatz zur Engnis und Sattheit der Schweiz. Südafrika ist das «Land, in dem ich so viel Luft zum Atmen habe wie nirgendwo». Durchatmen, im Durst den eigenen Körper spüren, aufgehen in der Weite. Die Lust daran führt allerdings ins totale Verlorengehen. Diese Entgrenzung in einen schwebenden, haltlosen Zustand hinein vollzieht der Text nach, und sie überträgt sich auf die Leser. Ich habe schlecht geträumt danach – und doch etwas begriffen von der Sehnsucht. Obwohl Monika Slamanig diese im Buch irgendwann ironisiert: «Ich wusste nicht, dass sich hinter jedem Sehnsuchtsort gleich der nächste auftut.» Es gibt einen Durst, der bleibt.

Monika Slamanig: Durstland. Eine Reise. Edition Literatur Ostschweiz, VGS & GdSL. 23 Franken

Nächste Lesungen: Sonntag, 7. Juni, 11 Uhr, Palais Bleu, Trogen; Sonntag, 14. Juni, ab 10 Uhr, Literaturbrunch im Bären, Hundwil.

Bild: Tine Edel

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