, 25. April 2014
1 Kommentar

Fussball in Japan: Verneigung statt La Ola

150 Jahre diplomatische Beziehungen Schweiz-Japan: Überall wird gefeiert, in St.Gallen gibt es gleich drei Ausstellungen dazu, nur der Fussball ist kein Thema. Ruben Schönenberger hat sich kürzlich in Japan umgesehen.

Vor rund 20 Jahren hat sich der japanische Fussball mit der J-League ein neues Gesicht gegeben. Die Professionalisierung der Strukturen, wie sie fast jedes Land früher oder später durchmacht, markierte eine Art Neuanfang.

Japanische Fussballvereine blicken zu einem grossen Teil auf eine Vergangenheit als Firmenmannschaft zurück. Mit der Einführung der J-League brach man auch im Vereinsnamen mit dieser Tradition. Vereinsnamen mit Markenintegration wie Mitsubishi Urawa oder Mazda SC machten Bezeichnungen Platz, die wohl aufgrund eines möglichst hohen Vermarktungspotenzials gewählt wurden.

Internationalisierungs-Strategie

So spielen in der höchsten japanischen Liga, der J-League 1, zurzeit Mannschaften wie Sanfrecce Hiroshima, Kawasaki Frontale oder Urawa Red Diamonds. Man macht sich dabei schon gar nicht mehr die Mühe, die Vereinsbezeichnungen in japanischer Schrift abzufassen. Eine offensichtliche Internationalisierungs-Strategie.

Genützt hat das alles bisher nur wenig. Die japanische Nationalmannschaft konnte zwar ab und an auf sich aufmerksam machen, was aber dabei der heimischen Liga zukommt, ist schwer zu sagen. Die Klubmannschaften sind zumindest in den westlichen Fussball-Hochburgen kaum ein Begriff.

Die Fans ihrerseits haben auch eine Art Internationalisierung hinter sich. Wer schon hierzulande bemängelt, dass den Fanszenen das (Orts-)Spezifische abgeht, dass kaum noch Eigenheiten bestehen oder dass alle Fanszenen sich immer mehr gleichen, wird diesen Eindruck in Japan erst recht erhalten. Fast alles scheint kopiert.

Die Zaunfahnen zeigen Namen von Fangruppen, dies so oder zumindest so ähnlich auch andernorts gibt. Bei Sanfrecce Hiroshima ist beispielsweise vom Commando Viola Ultra‘ Curva Ovest zu lesen. Das scheint kaum eine typisch japanische Bezeichnung zu sein.

sanfrecce hiroshima2

Stoffbahnen und ein «Forza Viola» für Sanfrecce Hiroshima

Auch in den Fankurven dominieren Elemente, die man kennt: Vertikal gespannte Stoffbahnen erinnern an Südamerika, grosse Schwenkfahnen in Reih und Glied an die deutsche Bundesliga. Die Melodien der Fangesänge sind oft bekannt. YouTube scheint man in Japan gut zu kennen. Etwas abstrus wird es aber, wenn man ein «Forza Viola» aus hunderten japanischen Kehlen hört.

Trotzdem ist Fussball in Japan mehr als einfach nur ein aus verschiedenen Ländern zusammengewürfeltes Stadionerlebnis. Für viele scheint der Stadionbesuch mehr Familienausflug als Sportanlass zu sein. Man trifft früh ein, bringt Unmengen an Essen mit und kauft dann nochmal ebenso viel an den zahlreichen Verpflegungsständen ein. Essen scheint hier elementarer Bestandteil des Stadionerlebnisses zu sein.

Auf die Fans in den Kurven trifft das natürlich weniger zu. Auch hier wird 90 Minuten lang gesungen. Und obwohl der Stil nicht unbedingt von Originalität strotzt, ist doch eine Eigenheit zu beobachten: Die gegnerische Mannschaft wird zwar nicht gerade bejubelt, aber meist mit einem gewissen Respekt bedacht. Gesänge gegen die jeweils andere Mannschaft gibt es selten, dafür versuchen die Fans die Spieler immer mal wieder mit unkoordiniertem Lärm abzulenken, wenn diese in Tornähe kommt.

Geisterspiel gegen Rassismus

Trotz des grossen Respekts musste die japanische Liga unlängst einen Skandal verzeichnen, als Fans der Urawa Red Diamonds, der meistunterstützte Verein des Landes, am Eingang zu ihrem Block ein «Japanese Only»-Banner platzierten. Der japanische Verband verurteilte diesen Rassismus und bestrafte den Verein aus dem Tokioter Vorort mit einem Geisterspiel.

In einem englisch-sprachigen Blog zum japanischen Fussball wird die Meinung unterstützt, dass es sich dabei um einen rassistischen Vorfall handelte. Als Tourist könnte man sich gut vorstellen, dass die Fans der Urawa Reds auch einfach genug hatten von Touristen in ihrem Stimmungsblock. Sollte dies der Fall sein, hätten sie sich natürlich auf eine denkbar dumme Art und Weise dagegen gewehrt.

Die wohl auffälligste Eigenheit für (westeuropäische) Fussballtouristen zeigt sich aber nach dem Spiel: Wenn hierzulande die Mannschaft mit den eigenen Fans nach dem Spiel die Welle macht, bedankt sich eine japanische Mannschaft mit einer Verneigung für die Unterstützung.

cerezo osaka

1 Kommentar zu Fussball in Japan: Verneigung statt La Ola

Schreibe einen Kommentar zu Fussball in Japan: Verneigung statt La Ola | ruben.sg Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!