Gegen alle Widerstände

Nach neun Jahren hat die Winterthurer Dark-Rock-Band Death Of A Cheerleader wieder ein neues Album veröffentlicht. Es ist ein einnehmendes und kraftvolles Werk – und lebensbejahend, obwohl darin auch der Tod mitschwingt. Heute spielt die Gruppe an den Musikfestwochen. 

Death Of A Cheerleader sind Dominique Destraz (Schlagzeug), Leylah Fra (Bass), Omar Fra (Gesang/Gitarre), Simeon Thompson (Keyboards) und Vanessa Engensperger alias Skiba Shapiro (Gitarre) (von links). (Bild: pd) 

Was ei­ne Freund­schaft wirk­lich wert ist, merkt man oft erst, wenn man sich nach lan­ger Zeit oh­ne Kon­takt wie­der trifft. Manch­mal ist ei­nem die Per­son fremd ge­wor­den, und ei­gent­lich hat man sich gar nichts zu sa­gen und weiss nach we­ni­gen Se­kun­den, war­um man sich so lan­ge nicht mehr ge­se­hen hat. Aber manch­mal ist es selbst nach Jah­ren so, als wä­re die Zeit still­ge­stan­den. Die Ver­traut­heit ist da, man fühlt sich so­fort wohl und wünscht sich, es hät­te die Kon­takt­pau­se nie ge­ge­ben. 

Das be­wei­sen auch De­ath Of A Cheer­lea­der. Neun Jah­re wa­ren seit ih­rem letz­ten Al­bum Wen­di­go ver­gan­gen, und auch live mach­te sich die Win­ter­thu­rer Grup­pe in die­ser Zeit rar. Nun mel­den sie sich mit ih­rer drit­ten Plat­te Ri­tes Of Pas­sa­ge zu­rück – und wie: Das Al­bum ist vol­ler En­er­gie und Ideen­reich­tum, bleibt aber kom­pakt, sehr grif­fig und da­bei un­fass­bar fas­zi­nie­rend. Es hat ei­ne ein­neh­men­de Dy­na­mik, die sich be­reits mit dem ers­ten Riff im Ope­ner Crea­ti­on Licks Our Blood ent­fal­tet und bis zu den letz­ten Klän­gen des Schluss­stücks Tra­vel On, Ou­mua­mua an­hält. 

De­ath Of A Cheer­lea­der ha­ben ih­re düs­te­re Mu­sik, die in Post Punk, Doom, Wa­ve, Hea­vy Me­tal oder Goth Rock ge­tränkt ist und gleich­zei­tig viel Pop-Ap­peal hat, um neue Fa­cet­ten er­gänzt. Sie ist mal dunk­ler, mal hel­ler, mal küh­ler, mal wär­mer. Und sie ver­strömt auch auf Al­bum Num­mer drei die­sen cha­rak­te­ris­ti­schen 80er-Vi­be, vom ver­hall­ten Klang der Gi­tar­ren über die Syn­th­me­lo­dien bis zu den Ar­ran­ge­ments. Das klingt kei­nes­wegs alt­ba­cken oder kli­schiert, son­dern durch­ge­hend frisch und au­then­tisch. 

Ri­tes Of Pas­sa­ge ent­wi­ckelt ei­nen un­glaub­li­chen Sog, was nicht nur an den ein­zel­nen Songs, son­dern auch an der gut zu­sam­men­ge­stell­ten Track­list liegt. Das Al­bum klingt wie aus ei­nem Guss. Schon nach den ers­ten Tak­ten von Crea­ti­on Licks Our Blood ist man mit­ten­drin in die­sem wun­der­vol­len Werk. Der zwei­te Song Mo­rals & Ma­chi­nery zieht ei­nen voll­ends rein, Bur­den Of The Dead packt kraft­voll zu. Es fol­gen die eher ru­hi­gen, aber nicht min­der in­ten­si­ven Songs Ca­the­ri­ne, Ever­y­thing Is Wai­ting und das In­stru­men­tal­stück Ata­r­axia, ehe das Al­bum mit Po­ly­he­dra und dem wun­der­ba­ren Spring Wa­ter mit sei­ner süch­tig ma­chen­den Gi­tar­ren­me­lo­die noch­mal rich­tig Fahrt auf­nimmt. Spring Wa­ter ist da­bei so et­was wie das Herz­stück des Al­bums und schlägt ei­ne dop­pel­te Brü­cke zum Vor­gän­ger Wen­di­go: zum ei­nem text­lich, in­dem es an Down To The Wild He­art an­knüpft, zum an­de­ren mu­si­ka­lisch mit der An­leh­nung an den gleich­na­mi­gen Track. 

Star­ga­zer lei­tet dann schön über zum sphä­ri­schen, hyp­no­ti­schen zehn­mi­nü­ti­gen Schluss­stück Tra­vel On, Ou­mua­mua. Als nach knapp sie­ben Mi­nu­ten Ski­ba Sha­pi­ros Ge­sang ein­setzt, fühlt sich das an wie wär­men­de Son­nen­strah­len, die nach lan­ger Dun­kel­heit die Haut strei­cheln – und mit­ten ins Herz ge­hen. Es ist der fi­na­le Hö­he­punkt die­ser gross­ar­ti­gen Plat­te, die so viel mehr ist als bloss die Mu­sik, die man hört. 

Plötz­lich blo­ckiert 

Der Grund für die lan­ge Pau­se wa­ren zwei gros­se per­sön­li­che Kri­sen, die Omar Fra, Sän­ger, Gi­tar­rist und al­lei­ni­ger Song­schrei­ber der Band, mit vol­ler Wucht tra­fen. Kur­ze Zeit nach der Ver­öf­fent­li­chung von Wen­di­go im Früh­ling 2016 starb die Mut­ter von ihm und sei­ner Schwes­ter Ley­lah, der Bas­sis­tin von De­ath Of A Cheer­lea­der. «Ihr Tod führ­te bei mir zu ei­ner Schreib­blo­cka­de. Das hat­te ich nie zu­vor», sagt der Mu­si­ker, der an der Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te in den Haupt­fä­chern elek­tri­sche Gi­tar­re, Song­wri­ting und Pro­du­cing stu­diert hat. Et­wa zur glei­chen Zeit stieg er bei Sol­dat Hans ein, ei­ner Win­ter­thu­rer Doom-Band, bei der die Stü­cke nicht durch «klas­si­sches» Song­wri­ting ent­ste­hen, son­dern durch ge­mein­sa­mes Jam­men. Die­ser an­de­re Zu­gang ha­be ihm sehr gut­ge­tan, und es sei sehr wich­tig für ihn ge­we­sen, auf die­se Wei­se wei­ter­hin krea­tiv sein zu kön­nen. 

Denn De­ath Of A Cheer­lea­der tra­fen sich in je­ner Zeit auch nicht im Pro­be­raum, um zu spie­len – sie funk­tio­nie­ren an­ders. «Wir sind kei­ne Band, die ein­mal pro Wo­che probt. Wenn ich die Songs für ein neu­es Al­bum ge­schrie­ben und die De­mos be­reit ha­be, kom­men wir zu­sam­men, um sie ge­mein­sam al­len­falls neu zu ar­ran­gie­ren, ein­zu­üben und auf­zu­neh­men. Und wenn Kon­zer­te an­ste­hen, fri­schen wir sie wie­der auf.» 

Die nächs­te Zwangs­pau­se 

So zo­gen Wo­chen und Mo­na­te da­hin. Es dau­er­te lan­ge, bis Omar Fra den Tod der Mut­ter ver­ar­bei­tet hat­te. «Und plötz­lich wa­ren die neu­en Songs da.» Als wä­re al­les, was sich in all der Zeit an­ge­staut hat­te, mit ei­nem Schwall aus ihm her­aus­ge­flos­sen. Doch kaum war die Band be­reit, das Al­bum auf­zu­neh­men, kam An­fang 2020 die Co­ro­na­pan­de­mie. Zu­dem war kurz zu­vor Gi­tar­rist Di­mi­t­ri Käch (Holm), der seit der Band­grün­dung 2009 da­bei ge­we­sen war, aus­ge­stie­gen. De­ath Of A Cheer­lea­der gin­gen trotz­dem ins Stu­dio – als Quar­tett. Omar Fra spiel­te al­le Gi­tar­ren­parts sel­ber ein. «Das war für mich gar nicht so ein­fach, denn beim Schrei­ben der Songs hat­te ich Di­mit­ris Art, die Me­lo­dien zu spie­len, im Kopf», sagt Fra. (Die bei­den Gi­tar­ris­ten sind in­zwi­schen im Am­bi­ent-Dro­ne-Pro­jekt Gar­den In Time wie­der­ver­eint und ar­bei­ten der­zeit im Stu­dio an ih­rem ers­ten Al­bum.)

Nach rund zwei Jah­ren war ein Er­satz für Käch ge­fun­den: Die St.Gal­ler Mu­si­ke­rin Va­nes­sa En­gen­sper­ger ali­as Ski­ba Sha­pi­ro, die mit Ley­lah Fra sehr gut be­freun­det und auf Tra­vel On, Ou­mua­mua als Gast­sän­ge­rin zu hö­ren ist, stieg 2021 als neu­es Mit­glied ein. Die Band hat­te ge­ra­de ihr ers­tes Kon­zert in der neu­en For­ma­ti­on ge­spielt, als Omar Fra der zwei­te Schick­sals­schlag er­eil­te: Er er­krank­te an Leuk­ämie. 

Der 41-Jäh­ri­ge drück­te bei al­len Mu­sik­pro­jek­ten auf Pau­se, um sich ganz auf sei­ne Ge­ne­sung zu fo­kus­sie­ren. Die­ser zwei­te Still­stand bin­nen we­ni­ger Jah­re mach­te auch die Plä­ne für die Ver­öf­fent­li­chung des neu­en Al­bums ob­so­let. Wie­der ver­stri­chen Mo­na­te. Doch trotz al­ler Wid­rig­kei­ten stand das Fort­be­stehen von De­ath Of A Cheer­lea­der in all der Zeit nie in Fra­ge. 

Als Mu­sik­ma­chen wie­der mög­lich war, fing Fra zu­nächst bei Sol­dat Hans wie­der an, dann stieg er auch bei Jack Slamer ein. «Ir­gend­wann war mir klar: Wenn ich wie­der spie­len kann, dann muss jetzt die­ses Al­bum er­schei­nen.» Ri­tes Of Pas­sa­ge mag für Aus­sen­ste­hen­de ein neu­es Werk sein, für die Band ist es be­reits fünf Jah­re alt. De­ath Of A Cheer­lea­der gin­gen auch nicht noch­mal ins Stu­dio, um ge­wis­se Sa­chen zu än­dern – die Auf­nah­men von 2020 blie­ben un­ver­än­dert. 

Le­bens­be­ja­hend und po­si­tiv 

Man hört Ri­tes Of Pas­sa­ge die schwie­ri­ge Ent­ste­hungs­ge­schich­te ge­nau­so we­nig an wie die fünf Jah­re, die es in der Schub­la­de lag – im Ge­gen­teil. Na­tür­lich schwingt im Werk der Tod von Om­ars und Ley­lahs Mut­ter mit. Es gibt vie­le Text­zei­len, die mehr oder we­ni­ger ex­pli­zit das The­ma Sterb­lich­keit auf­grei­fen oder die man zu­min­dest in die­se Rich­tung in­ter­pre­tie­ren kann. Trotz al­lem ist es kein schwer­mü­ti­ges, be­drü­cken­des Werk, son­dern viel­mehr ein le­bens­be­ja­hen­des mit ei­nem po­si­ti­ven Vi­be. 

Ri­tes Of Pas­sa­ge ist al­so kei­nes­wegs nur ein Al­bum über den Tod, son­dern, wie es der Ti­tel be­reits sagt, über Ri­ten, die ver­schie­de­ne Über­gän­ge im Le­ben be­glei­ten. «Das kann auch die Voll­jäh­rig­keit sein, die Hoch­zeit – oder ein Wech­sel in der Band­be­set­zung, wie bei uns», sagt Fra. «Für mich war es ein wich­ti­ges Al­bum, um das Er­leb­te zu ver­ar­bei­ten, aber es ist auch schön, wenn die Hö­rer:in­nen ih­ren ei­ge­nen Zu­gang zu den Songs fin­den», sagt Fra zu den Tex­ten. Auch für ihn selbst ha­be sich die Be­deu­tung ein­zel­ner Text­stel­len ge­wan­delt.

So han­delt Tra­vel On, Ou­mua­mua vom ers­ten in­ter­stel­la­ren Ob­jekt, das 2017 un­ser Son­nen­sys­tem durch­quer­te und des­sen Ur­sprung im­mer noch nicht rest­los ge­klärt ist. Man kann es auch als Me­ta­pher für Wie­der­ge­burt ver­ste­hen, für die Un­end­lich­keit des Le­bens, in wel­cher Form auch im­mer. 

In dem Sinn ist auch Spring Wa­ter mehr als nur das mu­si­ka­li­sche Herz­stück des Al­bums: «In die­sem Song geht es für mich dar­um, sei­ne in­ne­re Ur­ge­stalt, die ich da­mals auf­grund der Schreib­blo­cka­de ver­lo­ren hat­te, wie­der­zu­fin­den», sagt Omar Fra. Nach der Win­ter­star­re kommt das Früh­lings­er­wa­chen, das Eis schmilzt, das Was­ser kann wie­der flies­sen. 

Live noch ein­dring­li­cher 

Er­wa­chen – das trifft auch auf De­ath Of A Cheer­lea­der zu. Das Quin­tett ist end­lich wie­der zu­rück, und es wird span­nend sein zu se­hen, wie es sich nach dem Ab­schluss (be­zie­hungs­wei­se dem Be­ginn) die­ses Ka­pi­tels und in neu­er Be­set­zung wei­ter­ent­wi­ckeln wird. Durch Ski­ba Sha­pi­ro ha­be sich die Äs­the­tik der Mu­sik ver­än­dert, sagt Omar Fra. Der Band­kopf ar­bei­tet be­reits an neu­en Songs – und zeigt sich of­fen da­für, den Song­wri­ting-Pro­zess zu än­dern und die Mit­mu­si­ker:in­nen stär­ker ein­zu­be­zie­hen. Wo­bei die­sen die Auf­ga­ben­tei­lung of­fen­sicht­lich zu­sagt: «Wir ha­ben das schon mehr­fach dis­ku­tiert, aber bis­her wa­ren al­le ganz hap­py da­mit, dass ich die Songs und die Tex­te schrei­be.»

Auch Ski­ba Sha­pi­ro ge­niesst es, nach Ho­pes & Ve­nom wie­der «ein Band­ding» zu ha­ben – «ge­ra­de, weil ich erst­mals Teil ei­ner Band bin, in der ich nicht selbst die Rich­tung vor­ge­be, son­dern Teil von et­was Grös­se­rem bin, wo ich et­was bei­steu­ern kann, oh­ne der Grund­pfei­ler sein zu müs­sen», wie sie im Ge­spräch sagt. 

Doch erst­mal wol­len De­ath Of A Cheer­lea­der ih­re neu­en Songs live spie­len. Für Omar Fra wer­den die Kon­zer­te spe­zi­el­ler als sonst: «Mu­sik­ma­chen ist für mich im­mer the­ra­peu­tisch, ja me­di­ta­tiv, vor al­lem live. Ich bin nie so sehr in der Ge­gen­wart, wie wenn ich auf der Büh­ne ste­he.» Dass er beim Sin­gen der neu­en Stü­cke mit dem Tod der Mut­ter kon­fron­tiert wird, ist für ihn in­zwi­schen kein Pro­blem mehr. «Es tut gut. Und man muss ler­nen zu ak­zep­tie­ren, dass man ge­wis­se Er­eig­nis­se im Le­ben nicht ver­ste­hen kann.» 

 

De­ath Of A Cheer­lea­der: Ri­tes Of Pas­sa­ge (Six­te­en­ti­mes Mu­sic) ist seit Mit­te Ju­ni auf Vi­nyl und di­gi­tal er­hält­lich. 
Live: 8. Au­gust, 21.30 Uhr, Mu­sik­fest­wo­chen Win­ter­thur (Stein­berg­gas­se); 13. De­zem­ber, Horst Klub, Kreuz­lin­gen. 
do­ac.band­camp.com