Was eine Freundschaft wirklich wert ist, merkt man oft erst, wenn man sich nach langer Zeit ohne Kontakt wieder trifft. Manchmal ist einem die Person fremd geworden, und eigentlich hat man sich gar nichts zu sagen und weiss nach wenigen Sekunden, warum man sich so lange nicht mehr gesehen hat. Aber manchmal ist es selbst nach Jahren so, als wäre die Zeit stillgestanden. Die Vertrautheit ist da, man fühlt sich sofort wohl und wünscht sich, es hätte die Kontaktpause nie gegeben.
Das beweisen auch Death Of A Cheerleader. Neun Jahre waren seit ihrem letzten Album Wendigo vergangen, und auch live machte sich die Winterthurer Gruppe in dieser Zeit rar. Nun melden sie sich mit ihrer dritten Platte Rites Of Passage zurück – und wie: Das Album ist voller Energie und Ideenreichtum, bleibt aber kompakt, sehr griffig und dabei unfassbar faszinierend. Es hat eine einnehmende Dynamik, die sich bereits mit dem ersten Riff im Opener Creation Licks Our Blood entfaltet und bis zu den letzten Klängen des Schlussstücks Travel On, Oumuamua anhält.
Death Of A Cheerleader haben ihre düstere Musik, die in Post Punk, Doom, Wave, Heavy Metal oder Goth Rock getränkt ist und gleichzeitig viel Pop-Appeal hat, um neue Facetten ergänzt. Sie ist mal dunkler, mal heller, mal kühler, mal wärmer. Und sie verströmt auch auf Album Nummer drei diesen charakteristischen 80er-Vibe, vom verhallten Klang der Gitarren über die Synthmelodien bis zu den Arrangements. Das klingt keineswegs altbacken oder klischiert, sondern durchgehend frisch und authentisch.
Rites Of Passage entwickelt einen unglaublichen Sog, was nicht nur an den einzelnen Songs, sondern auch an der gut zusammengestellten Tracklist liegt. Das Album klingt wie aus einem Guss. Schon nach den ersten Takten von Creation Licks Our Blood ist man mittendrin in diesem wundervollen Werk. Der zweite Song Morals & Machinery zieht einen vollends rein, Burden Of The Dead packt kraftvoll zu. Es folgen die eher ruhigen, aber nicht minder intensiven Songs Catherine, Everything Is Waiting und das Instrumentalstück Ataraxia, ehe das Album mit Polyhedra und dem wunderbaren Spring Water mit seiner süchtig machenden Gitarrenmelodie nochmal richtig Fahrt aufnimmt. Spring Water ist dabei so etwas wie das Herzstück des Albums und schlägt eine doppelte Brücke zum Vorgänger Wendigo: zum einem textlich, indem es an Down To The Wild Heart anknüpft, zum anderen musikalisch mit der Anlehnung an den gleichnamigen Track.
Stargazer leitet dann schön über zum sphärischen, hypnotischen zehnminütigen Schlussstück Travel On, Oumuamua. Als nach knapp sieben Minuten Skiba Shapiros Gesang einsetzt, fühlt sich das an wie wärmende Sonnenstrahlen, die nach langer Dunkelheit die Haut streicheln – und mitten ins Herz gehen. Es ist der finale Höhepunkt dieser grossartigen Platte, die so viel mehr ist als bloss die Musik, die man hört.
Plötzlich blockiert
Der Grund für die lange Pause waren zwei grosse persönliche Krisen, die Omar Fra, Sänger, Gitarrist und alleiniger Songschreiber der Band, mit voller Wucht trafen. Kurze Zeit nach der Veröffentlichung von Wendigo im Frühling 2016 starb die Mutter von ihm und seiner Schwester Leylah, der Bassistin von Death Of A Cheerleader. «Ihr Tod führte bei mir zu einer Schreibblockade. Das hatte ich nie zuvor», sagt der Musiker, der an der Zürcher Hochschule der Künste in den Hauptfächern elektrische Gitarre, Songwriting und Producing studiert hat. Etwa zur gleichen Zeit stieg er bei Soldat Hans ein, einer Winterthurer Doom-Band, bei der die Stücke nicht durch «klassisches» Songwriting entstehen, sondern durch gemeinsames Jammen. Dieser andere Zugang habe ihm sehr gutgetan, und es sei sehr wichtig für ihn gewesen, auf diese Weise weiterhin kreativ sein zu können.
Denn Death Of A Cheerleader trafen sich in jener Zeit auch nicht im Proberaum, um zu spielen – sie funktionieren anders. «Wir sind keine Band, die einmal pro Woche probt. Wenn ich die Songs für ein neues Album geschrieben und die Demos bereit habe, kommen wir zusammen, um sie gemeinsam allenfalls neu zu arrangieren, einzuüben und aufzunehmen. Und wenn Konzerte anstehen, frischen wir sie wieder auf.»
Die nächste Zwangspause
So zogen Wochen und Monate dahin. Es dauerte lange, bis Omar Fra den Tod der Mutter verarbeitet hatte. «Und plötzlich waren die neuen Songs da.» Als wäre alles, was sich in all der Zeit angestaut hatte, mit einem Schwall aus ihm herausgeflossen. Doch kaum war die Band bereit, das Album aufzunehmen, kam Anfang 2020 die Coronapandemie. Zudem war kurz zuvor Gitarrist Dimitri Käch (Holm), der seit der Bandgründung 2009 dabei gewesen war, ausgestiegen. Death Of A Cheerleader gingen trotzdem ins Studio – als Quartett. Omar Fra spielte alle Gitarrenparts selber ein. «Das war für mich gar nicht so einfach, denn beim Schreiben der Songs hatte ich Dimitris Art, die Melodien zu spielen, im Kopf», sagt Fra. (Die beiden Gitarristen sind inzwischen im Ambient-Drone-Projekt Garden In Time wiedervereint und arbeiten derzeit im Studio an ihrem ersten Album.)
Nach rund zwei Jahren war ein Ersatz für Käch gefunden: Die St.Galler Musikerin Vanessa Engensperger alias Skiba Shapiro, die mit Leylah Fra sehr gut befreundet und auf Travel On, Oumuamua als Gastsängerin zu hören ist, stieg 2021 als neues Mitglied ein. Die Band hatte gerade ihr erstes Konzert in der neuen Formation gespielt, als Omar Fra der zweite Schicksalsschlag ereilte: Er erkrankte an Leukämie.
Der 41-Jährige drückte bei allen Musikprojekten auf Pause, um sich ganz auf seine Genesung zu fokussieren. Dieser zweite Stillstand binnen weniger Jahre machte auch die Pläne für die Veröffentlichung des neuen Albums obsolet. Wieder verstrichen Monate. Doch trotz aller Widrigkeiten stand das Fortbestehen von Death Of A Cheerleader in all der Zeit nie in Frage.
Als Musikmachen wieder möglich war, fing Fra zunächst bei Soldat Hans wieder an, dann stieg er auch bei Jack Slamer ein. «Irgendwann war mir klar: Wenn ich wieder spielen kann, dann muss jetzt dieses Album erscheinen.» Rites Of Passage mag für Aussenstehende ein neues Werk sein, für die Band ist es bereits fünf Jahre alt. Death Of A Cheerleader gingen auch nicht nochmal ins Studio, um gewisse Sachen zu ändern – die Aufnahmen von 2020 blieben unverändert.
Lebensbejahend und positiv
Man hört Rites Of Passage die schwierige Entstehungsgeschichte genauso wenig an wie die fünf Jahre, die es in der Schublade lag – im Gegenteil. Natürlich schwingt im Werk der Tod von Omars und Leylahs Mutter mit. Es gibt viele Textzeilen, die mehr oder weniger explizit das Thema Sterblichkeit aufgreifen oder die man zumindest in diese Richtung interpretieren kann. Trotz allem ist es kein schwermütiges, bedrückendes Werk, sondern vielmehr ein lebensbejahendes mit einem positiven Vibe.
Rites Of Passage ist also keineswegs nur ein Album über den Tod, sondern, wie es der Titel bereits sagt, über Riten, die verschiedene Übergänge im Leben begleiten. «Das kann auch die Volljährigkeit sein, die Hochzeit – oder ein Wechsel in der Bandbesetzung, wie bei uns», sagt Fra. «Für mich war es ein wichtiges Album, um das Erlebte zu verarbeiten, aber es ist auch schön, wenn die Hörer:innen ihren eigenen Zugang zu den Songs finden», sagt Fra zu den Texten. Auch für ihn selbst habe sich die Bedeutung einzelner Textstellen gewandelt.
So handelt Travel On, Oumuamua vom ersten interstellaren Objekt, das 2017 unser Sonnensystem durchquerte und dessen Ursprung immer noch nicht restlos geklärt ist. Man kann es auch als Metapher für Wiedergeburt verstehen, für die Unendlichkeit des Lebens, in welcher Form auch immer.
In dem Sinn ist auch Spring Water mehr als nur das musikalische Herzstück des Albums: «In diesem Song geht es für mich darum, seine innere Urgestalt, die ich damals aufgrund der Schreibblockade verloren hatte, wiederzufinden», sagt Omar Fra. Nach der Winterstarre kommt das Frühlingserwachen, das Eis schmilzt, das Wasser kann wieder fliessen.
Live noch eindringlicher
Erwachen – das trifft auch auf Death Of A Cheerleader zu. Das Quintett ist endlich wieder zurück, und es wird spannend sein zu sehen, wie es sich nach dem Abschluss (beziehungsweise dem Beginn) dieses Kapitels und in neuer Besetzung weiterentwickeln wird. Durch Skiba Shapiro habe sich die Ästhetik der Musik verändert, sagt Omar Fra. Der Bandkopf arbeitet bereits an neuen Songs – und zeigt sich offen dafür, den Songwriting-Prozess zu ändern und die Mitmusiker:innen stärker einzubeziehen. Wobei diesen die Aufgabenteilung offensichtlich zusagt: «Wir haben das schon mehrfach diskutiert, aber bisher waren alle ganz happy damit, dass ich die Songs und die Texte schreibe.»
Auch Skiba Shapiro geniesst es, nach Hopes & Venom wieder «ein Bandding» zu haben – «gerade, weil ich erstmals Teil einer Band bin, in der ich nicht selbst die Richtung vorgebe, sondern Teil von etwas Grösserem bin, wo ich etwas beisteuern kann, ohne der Grundpfeiler sein zu müssen», wie sie im Gespräch sagt.
Doch erstmal wollen Death Of A Cheerleader ihre neuen Songs live spielen. Für Omar Fra werden die Konzerte spezieller als sonst: «Musikmachen ist für mich immer therapeutisch, ja meditativ, vor allem live. Ich bin nie so sehr in der Gegenwart, wie wenn ich auf der Bühne stehe.» Dass er beim Singen der neuen Stücke mit dem Tod der Mutter konfrontiert wird, ist für ihn inzwischen kein Problem mehr. «Es tut gut. Und man muss lernen zu akzeptieren, dass man gewisse Ereignisse im Leben nicht verstehen kann.»
Death Of A Cheerleader: Rites Of Passage (Sixteentimes Music) ist seit Mitte Juni auf Vinyl und digital erhältlich.
Live: 8. August, 21.30 Uhr, Musikfestwochen Winterthur (Steinberggasse); 13. Dezember, Horst Klub, Kreuzlingen.
doac.bandcamp.com