, 10. März 2014
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Gegen eine Kirche der Ausgrenzung

2000 gegen den Churer Bischof: Die kritische katholische Öffentlichkeit, die sich am Sonntag in St. Gallen traf, muss auch Nicht-Gläubige interessieren. Denn katholische Sittenmoral und neoliberale Doktrin haben beunruhigende Parallelen.

Die gut 2000 Katholikinnen und Katholiken auf dem St. Galler Klosterplatz, die am sonnigen 9. März für die Absetzung des reaktionären Churer Bischofs Vitus Huonder demonstrierten, applaudierten begeistert den Zitaten von Papst Franziskus. Die kirchlichen Autoritäten müssten allen Menschen Gehör schenken und nicht nur denen, die sie mit Lob und Schmeicheleien eindeckten. Und sie sollten die anstehenden Probleme lösen, aber im Dienste der Menschen. Auch solle «nicht alles überall gleich» geregelt werden müssen.

Glücklich die autoritätsgestützte Gesellschaft, die sich mit den Worten des höchsten Chefs gegen ihre hauseigenen lokalen Herren wehren kann. Der Luzerner Alt-Regierungsrat Anton Schwingruber, der den neuen Papst in seiner Grundsatzrede zur Wichtigkeit einer funktionierenden Landeskirche und des Religionsfriedens wiederholt zitierte, setzte die Kirche punkto demokratischer Verantwortlichkeit bewusst auf dieselbe Ebene wie die staatlichen Institutionen. Da sie in der Gesellschaft wichtige Aufgaben zu lösen habe, könne dem Staat die Kirche und der Kirche der Staat nicht egal sein. Er plädierte für eine Beibehaltung des bewährten Systems einer demokratisch verantwortlichen Landeskirche.

Der Kirche laufen die Schafe davon

Wer sich in den aktuellen Diskussionen der katholischen Kirche nicht auskennt, konnte sich fragen, was der tiefere Sinn dieser Rede sein sollte. Aber im aktuellen Zwist mit dem Churer Bischof Vitus Huonder steht eben viel mehr auf dem Spiel als ein innerkirchlicher Glaubenszwist darum, wer zum Abendmahl darf. Die kritische katholische Öffentlichkeit, die sich an diesem Sonntagnachmittag in St. Gallen manifestierte, steht für jenen zivilisierten Katholizismus, der seine Lektionen aus der gewaltsamen Religionsgeschichte gelernt hat und sich zuverlässig an die Errungenschaften der Säkularisierung hält. Jedoch ohne dabei die eigene Theologiegeschichte zu vergessen, die immer auch Korrektiv zu herrschenden politischen Machtverhältnissen sein kann.

Denn, um nur ein Beispiel zu nennen, von den 2000 Leuten auf dem Klosterplatz gehen bestimmt über 90 Prozent regelmässig an die Urne und haben garantiert 90 Prozent getreu der Botschaft von Jesus gegen die Masseneinwanderungsinitiative gestimmt. Auf dem Klosterplatz standen überwiegend Leute, die entweder beruflich oder freiwillig stark in der Kirche engagiert sind.

Das heisst, dieser Konflikt ist weniger einer der sogenannten Basis, sondern ein wichtiger Richtungsstreit der Berufsleute. Und wer sich in der Szene auskennt, weiss: Die Lage an den theologischen Ausbildungsstätten des Landes ist deswegen seit zwei Jahrzehnten dramatisch. Sozial und intellektuell kompetenter Nachwuchs ist rar.

Wenn dieser Katholizismus, den die Schweiz seit den Zeiten des Kulturkampfes ihr eigen nennt, zu schanden geht, dann verschwindet ein Stück gezähmte, zivilisierte und kritische wie selbstkritische Religion, die man auf diesem Niveau so leicht nicht wieder kriegt. Dies kann nur wollen, wer auch in Zeiten des militanten Fundamentalismus ans Märchen vom Absterben der Religion glaubt. Allen anderen muss das zu denken geben.

Das Treffen der Männerriegen

Bischof Huonder und seine seltsame Männerriege liebäugeln mit der Trennung von Kirche und Staat. Was aus der Position eines naiven Säkularismus richtig erscheint, ist leider im Gegenteil ein wichtiger Schachzug eines reaktionären Katholizismus zurück in den Feudalismus. Und hier trifft man sich folgerichtig mit anderen Männerriegen, die gerne auch die Institutionen des Staates zugunsten von personalen Machtstrukturen abgebaut sehen. Die reine Lehre – hier die katholische Sittenmoral, dort die neoliberale Doktrin – macht die Rechnung ohne die einzelnen Menschen. Sie braucht sie nur als Masse oder Mob, der hier die Schwulen, die Geschiedenen und die Frauen mit einer Abtreibung verteufelt und dort die Ausländer, die Arbeitslosen und die Kranken ausgrenzt.

Den bereits vollzogenen Schulterschluss zwischen einer autokratischen Politikerkaste und einer klerikalen Kirche kann man heute in Russland und Ungarn besichtigen. Die Lehre ist rein, die Kirchen sind leer, das einigende Band mit der politischen Macht ist der Zynismus und der Wille zum Machterhalt, bei dem sie sich gegenseitig stützen.

Entweltlichung und Entmenschlichung

Natürlich sind die politischen Institutionen in der Schweiz stärker und weniger anfällig. Aber auch hier ist die oben beschriebene Parallelität zwischen einer gewissen Politik und einer gewissen Kirche kaum zu leugnen. Wenn Giuseppe Gracia, ehemaliger Saitenautor und heutiger Sprecher des Churer Bischofs, im Schweizer Fernsehen darauf verweist, dass Huonder nichts weiter als die katholische Lehre vertrete, was übrigens in jedem Katechismus nachzulesen sei, dann hat er damit recht und unrecht zugleich.

Recht hat er, dass diese Spielart der katholischen Lehre die von Papst Johannes Paul II und Benedikt XVI in den letzten dreissig Jahren in Rom wieder in Szene gesetzt worden ist, tatsächlich dem Katechismus entspricht, den in der Schweiz seit dem Vatikanum II faktisch niemand mehr rezipiert, ausser den einschlägigen Klerikern, die darauf verweisen. Recht hat er auch damit, dass in dem Begriff der «Entweltlichung» der Kirche, den die reaktionären Kreise gerne gebrauchen, der Auftrag der Kirche steckt, eine Art Gegenwelt zum Zeitgeist darzustellen.

Unrecht hat er, weil diese Entweltlichung eher einer faktischen Entmenschlichung der Kirche gleicht. Und es ist anzunehmen, dass er weiss, dass sowohl das Evangelium wie der jetzige Papst, auf deren Autorität auch der Bischof von Chur nicht verzichten kann, zuallererst die Nöte und Ängste der Menschen im Blick haben und also statt die Verluderung der Menschen die Verluderung der Strukturen kritisieren und das Predigen und Denken statt am dekadenten Zeitgeist vielmehr an den «Zeichen der Zeit»  ausrichten. Der etwas abwesende Blick, mit dem Gracia in die Kamera sprach, lässt vermuten, dass ihm zumindest dieser Widerspruch nicht entgangen ist.

Die Angst demonstriert mit

Die Demonstration im Allgemeinen und die Forderung nach der Absetzung von Bischof Huonder im Speziellen ist daher eine Thematik, die über die katholische Kirche hinausgeht. Die Kundgebung war der Versuch, den kirchlichen Unmut an die demokratische Öffentlichkeit zu bringen und in eine politische  Konfrontation zu verwandeln. Der etwas übertriebene Harmonie- und Versöhnungston, der trotz der unmissverständlichen Forderung die Kundgebung prägte, lässt vermuten, dass man sich zu dieser nicht ganz traute oder dass man ihr selber nicht traute.

Die Angst war auf jeden Fall präsent: Im Fakt, dass einige Statements anonym ab Band abgespielt wurden, und im sympathischen Auftritt des St. Galler Bischofs, der als Präsident der Schweizer Bischofkonferenz den Forderungskatalog entgegen nahm. Es war ihm anzuhören, dass er wohl nur schon durch diese normale bischöfliche oder auch demokratische Amtshandlung bei gewissen Kreisen hart in die Kritik kommt.

2 Kommentare zu Gegen eine Kirche der Ausgrenzung

  • Oskar Mellinger sagt:

    „Die kirchlichen Autoritäten müssten allen Menschen Gehör schenken und nicht nur denen, die sie mit Lob und Schmeicheleien eindeckten. Und sie sollten die anstehenden Probleme lösen, aber im Dienste der Menschen. “ diesen Satz müsste auch der Bamberger Bischof sich gut überlegen . Er treibt seinen gelähmten Mitbruder in den Tod ,um den finanziellen Pflichten zu entkommen . Presse wird von seiner Rechtsabteilung bedroht , Hilferufe für den gelähmten Pfarrer auf der Facebookseite des Bischofs Schick werden rigorös gelöscht . Hier mehr zu lesen : http://www.pfarrerditterich.wordpress.com

  • Meinrad Angehrn sagt:

    Es fehlt die Prognose. Die eidgenössischen Katholiken werden sich ihren traditionellen Anti-Ultramontanismus nie austreiben lassen. Um die staatskirchenrechtlichen Institutionen einzureissen, genügt das (qualitativ minderwertige) „Vademecum“ der schweizerischen Bischöfe nicht. Vielmehr wäre hierfür eine politische Aktion in den Kantonen vonnöten. Schon deren Wahrscheinlichkeit an sich ist gering – immerhin wurde es im Kanton Graubünden versucht. Auf jeden Fall würde sich eine solche Aktion nicht durchsetzen, und zwar genau deswegen, weil sich dafür keine demokratische Mehrheit finden lässt. Dafür ist die manchmal etwas profan wirkende Kirchensteuer viel zu wertvoll.

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