, 4. Juli 2017
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Go all the way #6

Hitzetage. Ein Haus, das an ein anderes erinnert. Ruth Wili ist auf ihrer Fusswanderung zum Schwarzen Meer im kroatischen Sommer unterwegs. Hier ihr sechster Tagebuch-Bericht

Golubić. Ein Tritt führt rauf für raus. Durch die dicke Flügeltür aus ölweiss gestrichenen Längs- und Querbalken. Lebendig, das Schieben des eisernen Riegels durch die Ösen weckt ein Dorf. Ist die Tür einmal offen, bleibt sie offen.

Ein grosser Käfer will als erstes auf die Beine gestellt werden, ein gliederreicher Wurm auf Beinchen durchquert, von uns gestört, die vielen Fliesen. Die Spinne mit einem fehlenden Bein macht ihren Morgengang vom Scharnier ins sichere Eck, und in der rechten Spüle der dort lebende, leicht panische Tausendfüssler. Herdplatte einstecken. Kaffee (hatte es!) und Wasser ins Emaille-Kännchen. Erstes Tageslicht. Pferd und Esel sind noch nicht aufgekreuzt, die Verscheuch-Aktion der alten Frau mit Hund von gestern Abend hat gefruchtet. Als der Kaffee überkocht, sitz ich an den langen Holztisch mit dem Plastiktischtuch drauf. Homer legt sich nach getanen Früh-Erkundungen vor die Tür und überwacht, wie der Tag von links kommt. Der Plastiksack mit Notizbuch, Handy, Leine und seinem Spielzeug sind mit runtergekommen. Es gibt keine innere Verbindung im Haus. Du schläfst oben, an der schlafenden Terrasse vorbei die Treppe hoch, schlängelst dich durch die inkompatible Doppeltür rein, den halben Stolpertritt nach 50 Zentimetern hoch, fallend oder gehend, den Flur entlang. Letzte Tür links, haben wir bezogen. Direkt vorm Bad. Ein Minifenster, unstrategisch platziert, zum Wetter hin. Gerade so gross, dass du spüren kannst, die Welt draussen existiert. Manchmal als der freche Esel und das neugierige Pferd, manchmal nur als Wind. Im übrigen ruht hier bloss Schlaf. 

Zähneputzen, Duschen, wenn Zisternenpumpe und Boiler arbeiten. Die Bottich-Flasche mit Trinkwasser für erste oder letzte Schlucke, die Handvoll persönliche Dinge, die lustigerweise im Schlafzimmer wohnen wollen, auch wenn ich sie dort nicht brauch (und wir sind seit zwei Jahren, so das Gästebuch, die einzigen Gäste). Mit Aufstehen verschwinden sie aus dem Leben, soweit sie nicht in der Tüte mit runterkommen. Das Sofa unten, vis-à-vis vom Herd, neben dem nun für uns eingesteckten Kühlschrank, mit der Decke und den zwei Kissen drauf, die Homer zwischendurch rausträgt zwecks Komfort-Liegen, ist zentraler Ort. Homer zieht sich dort zurück, wenn er genug geschaut hat draussen, oder aber, wenn ich gerade seine Polenta mit dem Ziegenkäse koche, von der Frau nebenan. Buddelt sich darin ein, nur die Satelliten-Ohren auf Empfang.

Mein zentraler Ort: der Tisch. Hier sitz ich. An der offenen Flügeltür, vielleicht sieben Meter zwischen mir und der Strasse, auf der alle Stunden mal ein Auto vorüberfährt. Ich am Abend den Ziegenkäse für den nächsten Tag hol und kühlstelle. Diese Tür bloss zweimal am Tag schliesse. Wenn wir spazieren gehen, und wenn wir zum Schlafen vor der Welt nach oben verschwinden. Fast nichts stimmt mit meinem Bild vom Haus in Georgien überein. Das hier hat dicke Mauern aus Stein und Zement, kein warmes Holz. Kein Fenster, das nach Westen weist und unter dem ich sitz und schreib, die Tür im Rücken. Keine Buschwaldhügel, auf die ich beim Schreiben schaue. Und doch.

In Ličko Cerje lagen die Hügel. Ich sah sie plötzlich, als ich – wie immer, wenn die Möglichkeit besteht, den Tisch mit Stuhl ans Fenster rückte – da sass und schrieb und es stimmte, was ich schrieb, da plötzlich wurden sie mir sichtbar. Etwas weiter weg als in meinem Traum. Ich nicht leicht erhöht auf sie schauend. Und doch: Der Blick stimmte. Wie ein Puzzleteil, das seine Stelle bereits gefunden hat.

Und nun, am «Wachs»-Tischtuch mit Kaffeering, den Längsstreifen Strasse vor der Nase, fällt ein weiteres auf seinen Platz. Das Gefühl, wie Innen und Aussen sind. Verbunden, nah. Wie Reinwinken und Rausgehen geht. Wie Rückzug versus Tag. Wie Welt passiert vor meinen Augen. Wie Teil ich bin. Wie wenig Haben dem Sein Platz macht. Die Freude am Finden von ein wenig Salz im Schrank. Und Majoran zwischen den Büschen.

Das Fenster oben geht nach Osten. Als würde es nach vorne weisen. Noch bist du nicht da. Noch geht es nicht um Zurückschauen. Geh weiter, wenn ihr erholt seid.

Ein Haus wie ein unerwarteter Pol, um den ich eine zweite Nacht kreisen muss, darf. Ich muss einen Tag in dieser Tür sitzen, um das zu bergen, was hier für mich zu fühlen ist. Den Kompass fürs Gefühl des Ortes zu justieren. Und dann, das Haus sagts klar, weiterzugehen. Zum alten Bauern mit zwei Kühen und frischem Kalb, wo wir Flöhe kriegen. Wo der Bär nachts auf 20 Meter nahe kommt. Durch ellenlange Hitzetage, die arg an uns beiden fressen. Zu den Gedanken, die x Mal zurückkehren zu diesem Haus und seinem «Daheim». So sehnlich meine Tentakel es in der Hitze einwickeln und, es klickt, Fühlen durch kühles Haben sichern möchten. Als wären die verlinkt.

Ruth Wili, Jahrgang 1981, war bis Ende 2016 als Inspizientin am Theater St.Gallen tätig. Vor rund vier Monaten ist sie aufgebrochen zu einer Fussreise von St.Gallen ans Schwarze Meer. Mit dabei: ihr Hund Homer. Auf saiten.ch berichtet sie von ihren Erfahrungen unterwegs.

1 Kommentar zu Go all the way #6

  • Magdalena Wmann sagt:

    Hoi Ruth,mir hiä ir heile Schweiz wüsse gar nid wies nid wit vo üs ganz gfärlech cha si,pass ganz guet uf di uf u ou di vierbeiner ä liebe knuddel vom Biendli

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