, 28. Januar 2020
3 Kommentare

Guz’s Not Dead!

Oliver Maurmann, Frontmann der Aeronauten und solo als Guz über 35 Jahre lang durchgehend in Erscheinung getreten, ist am 20. Januar 2020 im Alter von nur 52 Jahren an einem angeborenen Herzleiden gestorben. Nichts konnte ihn retten. Eine Abschiedsrede von Chrigel Fisch.

Olifr M. Guz 2013 (Bilder: Adrian Elsener)

Zu gut für dieses Scheissland: Es gibt über Guz, über Oliver Maurmann, nur Gutes zu sagen. Es gibt kein Haar in der Suppe, keine Bremsspur in der Unterhose, keine Leiche im Keller, keine unbezahlten Rechnungen, ausser der letzten vom Unispital Zürich, aber das ist nicht mehr sein Problem, endlich. Oliver ist der gute Mann vom Bodensee, der charmante Provokateur aus Baumannshaus zwischen Neukirch und Arbon im Thurgau. Der beste, den wir haben, und nicht nur vom Bodensee.

Ich weigere mich deshalb, in der Vergangenheit zu schreiben. Es wird hier auch keinen schöngezimmerten Nachruf geben, kein feuilletonistisch hochtrabendes Schmuckkästchen zu Werk und Leben eines der Grössten, eines der Aussergewöhnlichsten der hiesigen musikalischen, poetischen und menschlichen Landschaft. Hier wird weder clever eingeordnet noch für die Nachwelt hübsch zurechtgebüschelt. Wir gehen jetzt nicht einfach zum Alltag über, chasch imfall glatt vergesse! Und ich verneige mich auch nicht vor Guz, sondern umarme ihn nochmals.

Ich überlass euch die ganze Welt
aber den Rest behalt ich selbst

aus dem Song «Frauen» (von der 7inch Männer Fussball Frauen Sensibel, 2006, Ritchie Records)

Freds Freunde, Villa Mathis, Romanshorn (1984)

Ab und zu wehen aus dem Nichts, out of the blue, einige lose, helle Bilderfetzen aus einer lange vergangenen Zeit ins aktuelle Gehirn, streifen sacht dem Frontallappen entlang, umschwirren kurz das Stammhirn und löten im Langzeitgedächtnis ein paar fehlgeleitete Stromschnellen neu zusammen. So ein Bilderfetzen, fast immer von einem lieblichen Sommerhauch ummantelt, zeigt mir dann etwa die kunterbunte Villa Mathis in Romanshorn, vielleicht 1983 oder 84, ich stehe da recht fehlt am Platz in der Küche rum, wo Muttter Mathis in stoischer Ruhe irgendwas in einem grossen Topf hochblubbern und zusammenkochen lässt, und vermutlich habe ich eine lauwarme Bierflasche im Anschlag und gehe dann nach draussen zum Töff, einen schlecht gedrehten Joint rauchen, als ich aus dem Keller des Hauses plötzlich eine Salve dilettantischen Krachs höre, also steige hinunter und da sind ein paar Teenager am Musik zusammenhauen, und einer davon ist Hipp Mathis, der jüngste der grossen Mathis-Familie, in die mich seine Schwester M.A. eingeführt hat.

Die anderen Jungs? Vermutlich Bruno Amann, bebrillter Sängerbarde, Schöngeist mit der Klassikgitarre, und Kantonsschüler (also: Gymnasiast) aus dem Nachbarsdorf Hauptwil (ich selber bin noch in Bischofszell ansässig) und der andere müsste Oliver gewesen sein, und sicher waren das quasi Freds Freunde im Qaulquappenstadium da unten im Keller, diese erste Romanshorner Band, aber so genau erinnere ich mich nicht, die Bilderfetzen haben ja keine Untertitel.

Freds Freunde (Bild: Archiv Hipp Mathis)

So luftig diese Bilderfetzen – angereichert mit Romanshorner Sommersonne und der freakig-künstlerisch-schwurblig-kreativen Atmosphäre der Villa Mathis, gepaart mit meinem schon immer beherrschenden Gefühl der totalen Deplatziertheit an mir neuen Orten mit neuen Menschen – auch heute noch sind: Die Grillen, die vor 36 Jahren im hohen Gras des Gartens um die Villa Mathis gezirpt haben, die Bienen, die mit Sicherheit da rumgekurvt sind (kein Sommergefühl ohne summende Bienen), die Fliegen in der Villa-Mathis-Küche, sie sind alle längst tot. Und nun ist auch Oliver, den ich immer nur Guz genannt habe, weil der Name einfach super klingt und nach mehr, tot.

So dichte ich in dieser absurden Schockstarre, die nun schon seit Tagen anhält, kurz ein paar rumplige Verse, vor dem inneren Auge jenes alte Quartier in Romanshorn:

Die Bienen summen längst nicht mehr
der Gartenschlauch bleibt stumm
Sommer, pack die alten Weiber aus!
Der Pöstler schlurft um die Ecke rum
Er fragt nach dem Maurmann, Oliver
ein Brief, ein Paket, ne Eilsendung
doch einen Oliver M. gibts hier nicht mehr

Ein neues Herz, wie soll das gehen? (2018)

Als 16-Jähriger ist jeder ein Dilettant, damals Anfang der 80er sowieso. Punk streifte durch die Gassen, Kellerlöcher und Parks, man wollte gefährlich sein und trotzdem geliebt werden. Scheisse, wenn beides nicht funktionierte, wie bei vielen Bands. Bei Guz haute es immer hin. Guz hat bald den Dreh raus, seine Stimme ist unverwechselbar kühn und beruhigend, sein Gitarrenspiel hoch wirksam, gekonnt und eigenwillig. Der Klang seiner Produktionen ist sehr räumlich und greifbar, der Drive der Songs krachend bis nördlich-soulig bis Garage-Rock’n’Roll. Alles scheint spontan genau richtig entstanden zu sein, alles fühlt sich 100 Prozent an wie frisch gepresster, konzentrierter Saft der Gegenwart, kein Dosenbier, nirgends. Nichts klingt aufgesetzt, alles echt, doch nie zu ernst.

Guz live (unbekannter Fotograf).

55 Jahre + 360 Tage ist man nun schon da auf der Erde, also ich, etwas älter als der Guz, und hat zu viele gute, liebe, einzigartige Menschen abgeben müssen an Gevatter Tod, diese selbstherrliche, sadistische, blöde Drecksau. Er hat sich wieder einmal verlaufen und dem Falschen die Abholungseinladung vor die Nase gehalten. Im Mai 2018 hatte Guz mit seiner Partnerin Taranja Wu und ihrem neuen Duo Naked In English Class in der Monkey Bar in Basel die neue Platte vorgestellt, und nach dem Konzert hab ich am Hinterausgang dann von ihm erfahren, dass sein Herz nicht mehr gut funktioniert, dass es ein neues Herz braucht, sonst… Ihm stand dieser ungläubige Schrecken im Gesicht und mir schoss das eiskalte Blut durch die Adern: Ein neues Herz, wie soll das gehen? Das kann doch nicht sein, Guz!? Kann ich, kann man irgendwas tun?

God only know I feel so lonesome.

aus dem Song «Lonesome» (von der EP Extremadura, 1997, Tom Produkt / L’Age d’Or)

Und es ist ja dann nicht gegangen, man konnte nichts tun, warum auch immer, obwohl Guz am Ende über dreieinhalb Monate im Unispital in Zürich auf ein Herz gewartet hat. Irgendwann werd ich erfahren, warum es nicht geklappt hat, aber heute, heute gibt es nur dieses Grauen. Viele, viele, viele Menschen, die ihn kennen, gehen in diesen Tagen mit diesem Grauen durch ihr Leben und können es nicht fassen. Man hat uns Guz weggenommen, niemand konnte ihm helfen, niemand in diesem an echter Grösse seltsam armen Land des Reichtums. Das werden wir niemals akzeptieren. Aber was machen wir nun?

In einer dunklen Nacht
verliess ich mein stilles Haus

aus dem Song «Stilles Haus» (vom Guz-Album Der Beste Freund des Menschen, 2013, Ritchie Records)

Müde sind wir geworden, wir Überlebenden der 80er

Heute hab ich ein Ufo gesehen, wirklich, gegen 12 Uhr mittags, Sonntag im Januar. Guz würde wohl grinsen, was, ehrlich? Ein Ufo? Ja! Ein unbekanntes Flugobjekt über Basel, im blauen Himmel baumelnd, zwischen Wolken sich elegant und langsam bewegend, mit einem ständigen Licht, das mal rosa, mal silbern leuchtet, ein hängendes Objekt. Guz: Das war wohl ein Wetterballon. Ich: Oder vielleicht die Raumpatrouille Rimini? (Das war ein Projekt von Guz und Rämi vom Bösen Buben Eugen).

Vor wenigen Monaten hat mich Guz doch tatsächlich auf Facebook mit einer Freundschaftsanfrage überrascht, er, der sowas von komplett undigital ist, der E-Mails nicht beantwortet hat, dessen Websites nach kurzer Zeit schon nicht mehr auffindbar waren (ausser natürlich die seines imperialen Studiokombinats StarTrack in Schaffhausen), Guz, dieser durch und durch analoge Mensch: auf Facebook?

Meine Musik ist Scheisse
meine Freunde sind ein Haufen Dreck

aus dem Song «Rollin‘ and Tumblin’» (vom Guz-Album We Do Wie Du, 2000, Ritchie Records; Guz sagt in einem Interview, dass der Satz sich einfach sehr gut singen lasse und geil klinge)

Eine Konversation hat sich nicht ergeben, leider, der Alltag um mich rum hatte immer ein paar fiese Fallen und Täuschungen parat, um mich ja nicht um Menschen kümmern zu müssen, deren Gesundheit akuter bedroht ist als irgendwas sonst. Vermutlich bin ich feige, vielleicht auch einfach müde. Denn: Müde sind wir geworden, wir überlebenden Freaks, Punks, Alterna(t)iven, Beschädigten, QuerdenkerInnen, sturen Siechen, geilen Siechen und schrägen Vögel der frühen 80er-Jahre. Müde sind wir geworden, wir Überlebenden der glorreichen Zeit der Unangepassten, der Gegenkultur, die einen Guz und Freds Freunde und Die Aeronauten geboren hat, nicht wahr, wir sind alle etwas müde geworden.

Müde von den so oft ins Leere gelaufenen Anstrengungen, müde vom Anblick unserer zerkratzten Möbel, dem verbeulten Auto, kaputt gegangenen Geräten, stümperhaft geflickten Rolläden und Schubladen und Velos, dem blinden Spiegel, den gelben Rändern, dem Urin- oder Kalkstein im Klo, den unbezahlten Rechnungen jede Woche neu, den Absagen in der Post, den Steuernachzahlungen für nichts, schlechten Bescheiden vom Arzt, den verlorenen Passwörtern, leeren Kühlschränken, müde in den Knochen von den langen, immerselben, nutzlosen Wegen zur Arbeit, zur Kneipe, zum Elternabend, zum Supermarkt, nach Hause, ins Kino, zum Amt, in den Wald, zur Physiotherapie, zur Psychotherapie, müde geworden vom Aufstehen, Rasieren, Reden, Zuhören, Verhandeln, Argumentieren, Einstecken, Fluchen, Saufen, Zigarettenrauchen und Zigarettenausdrücken, müde vom Bellen der bescheuerten Nachbarn, arroganten AutofahrerInnen, gepanzerten Velonazis, rechthaberischen PolizistInnen, müde vom Abfall trennen, Altglas zurückbringen, Geburtstage feiern, an Beerdigungen gehen, müde vom Abschiednehmen von den Guten und auch von unserem jüngeren Ich.

Man hat uns in dieser Stadt vergessen
Nun stehen wir hier rum und hauen uns in die Fresse
Wir trinken Bier bis wir keins mehr kriegen
und schlagen uns bis wir am Boden liegen
Weihnachten in unserer Stadt

aus dem Song «Go-Go Snack» (von der Guz-Compilation In Guz We Trust, 1997, Tom Produkt, ursprünglich 1991 auf dem Kassettenlabel Vkf erschienen)

Guz hat das Absurde salonfähig gemacht, also: kneipentauglich

Aber Guz ist ja nicht müde. Denn er hat die Musik. In seinem Universum ist er King und General. Er hat so unglaublich viele Songs geschrieben, eigene Platten gemacht, andere Platten aufgenommen und produziert wie nur wenige andere im Land. Bis zuletzt: Mit Naked In English Class gabs im letzten Herbst noch das Album Live In Weirdsville.

Guz ist ein gutaussehender Kerl, sacktrocken und manchmal provokativ grossmaulig, aber grundsätzlich freundlich und gut gekleidet in spitzen Halbschuhen und gekragtem Hemd, etwas Alte Schule mit nerdiger Bohème-Attitude vielleicht, aber schöne Gitarren; in Gesellschaft trashig und ulkig zuweilen wie eine Tischbombe. Im Zwiegespräch aber zurückhaltend bis sensibel, unverstanden. Mit den Jahren hat er einen Ranzen bekommen, wie viele.

Mit MusikerInnen, denke ich, hat Guz sofort diesen direkten Draht, ein gemeinsames Universum, in dem so vieles gemacht werden kann, ein unendliches Universum, das jeden Tag neu gebaut werden kann. Super. Ich bin ja kein Musiker und ich habe immer ein bisschen dieses Gefühl: Typen, die keine Musik machen, sind Guz doch ein wenig suspekt geblieben, als könnte er Nicht-MusikerInnen nicht wirklich trauen. Geht mir mit Nicht-BiertrinkerInnen genauso. Ich denke immer, denen fehlt etwas im Leben, vielleicht Punk, haha.

Wieviele Platten und Singles er in seinem Leben gemacht hat? Sehr viele, und keine einzige ein Flop. Kommerziell vielleicht schon, aber künstlerisch gibt es keine Ausfälle. Ausserdem ist er, dieser brummlige, mal laute, mal lakonische, mal blödelnde, mal provokante Bär, aber immer hochpräzise Beobachter, der einzige in diesem Land neben Kuno Lauener, der aus der Musik heraus Texte geschrieben hat, die exakte Beobachtungen des Mikrokosmos der alternativen und anderen kargen bis blöden Lebensräume sind. Und wenn er mal «Weltraummüll» mit «Worldroomrubbish» übersetzt hat, dann ist das zwar platt, aber lustig.

Guz hat das Absurde salonfähig gemacht, also kneipentauglich. Er hat Liebeskummer so verknappt, dass er uns nicht mehr wehtun kann (zum Beispiel im Song «Bettina, ich wollt ich wär tot.») Und das seit 35 Jahren, seit jenem Song namens «Jesus» mit Freds Freunde. Guz ist «ein Guter in einer schlechten und ungerechten Welt».

Schlag mich vor
schlag mich zurück
schlag mich mit dem Rübenstück

aus dem Song «Lektizität» (aus dem Guz-Album Der Beste Freund des Menschen, 2013, Ritchie Records, natürlich in Anlehnung an Ian Durys «Hit Me With Your Rhythm Stick»)

Apropos Freds Freude, von denen mir schon wieder ein paar neue Bilderfetzen aus ferner Zeit am Stirnlappen vorbeigezogen sind, nämlich ein Sommerfest in der Badeanstalt in Trogen (vermute ich mal), wo eine lustige auf Sommer getrimmte Alternativ-Gemeinde (Mutter, Tochter, Hund, Vater, Sohn, Frisbee, und noch mehr vom selbigen) samt ein paar zu früh betrunkenen Kantischüler-Pseudopunks, mitgeschleppten Grossvätern, feschen Ausdruckstänzerinnen mit Blumen im Haar (okay, das könnte jetzt hinzugedichtet sein) sich vor einer wackligen Bühne im Gras versammelt hatte, um sich total gehen zu lassen, na ja, nicht ganz …. aber lassen wir das. Als gebürtiger Ausserrhoder lasse ich natürlich kein schlechtes Wort auf Trogen und seine tüchtigen SiedlerInnen kommen.

In die Hände gefallen sind mir heute die Linernotes zur 7inch von Freds Freunde aus dem Tommasini in Lenzburg (1988), ich war nie dort, hab die doch. Rumgeblödelt hörte sich das so an: «Bruno (Amann) an der Gitarre ist inzwischen Vater von Harry geworden. Hipp (Mathis) am Schlagzeug wohnt an der Biberlinstrasse in Zürich. Olifr (Maurmann) am Bass ist Lehrling und schlägt sich mit Geldproblemen rum.» (Linernotes zur 7inch Lenzburg in der Zukunft 31.12.88, 1989, Tom Produkt, mit Freuds Freunde, Royal Botanical Gardens und Scubadivers)

Geldprobleme frisst Seele auf

Geldprobleme, ja klar, das war auch ein Punkt. Selbst wenn Guz jedes Jahr 100 Konzerte mehr gespielt und fünf Platten mehr aufgenommen hätte, es hätte nicht wirklich zum Leben inklusive Reservebildung gereicht, vor allem nicht mit Kind und Verpflichtungen. Ausser, ein dicker Kulturpreis wäre ihm mal in den Briefkasten geplumpst, ist er aber nicht.

Einkommen von Platten und Konzerten: Das reicht nicht, wir sind hier in der Schweiz. Wenn der Elektriker kommt, kostet das mehr als 30 verkaufte Aeronauten-LPs brutto einbringen. Wenn der Zahnarzt nicht mehr zu umgehen ist, kostet das zehn Anteile an sehr guten Konzertgagen netto. Und selbst als die Aeronauten, diese olle coole Band mit dem «Holzhacker-Image und Stumpfpunk-Ader» (Guz über die Aeronauten) Mitte der 90er-Jahre beim komplett angesagten und tüchtigen Label L’Age d’Or in Hamburg unter Vertrag kamen: Eine Fünfer- oder Sechserkapelle samt Fahrer, Mischer, Grafiker, Booker, Benzintank, Gitarrenhändler und wer sonst noch die Hand aufhält, kann niemals davon leben.

Aber das wollten sie damals natürlich nicht hören, Motte, Guz, Hipp und Co. In den 90er Jahren haben wir die Aeronauten und Guz regelmässig in die Kaserne Basel gebucht, und es war immer ein Spass und niemand hat Geld verloren, es blieb schon was übrig. Aber die Realität ist anders: Du spielst nicht 200 mal im Jahr vor je 300 Leuten. Und du verkaufst auch nicht jedes Jahr 5000 Platten. Und die öden Radios von DRS/SRF bis Zürisee/Energy spielen deine Song sowieso nicht in Rotation oder überhaupt gar nicht. Und wenn dann der ganze Einkommens-Pot durch 5 oder 10 geteilt ist, bleibt zu wenig übrig zum Leben. Das ist die Realität in einem Land wie der Schweiz. Darum werden viele MusikerInnen irgendwann LehrerIn oder GrafikerIn oder GenforscherIn.

Überall wo ich hingeh
Erniedrigung und Zerfall
doch es macht mir nichts aus
denn ich weiss irgendwann einmal
bin ich würdevoll und alt

aus dem Song «Würdevoll und alt» (vom Guz-Album Mein Name ist Guz, 2008, Ritchie Records)

Die Aeronauten (Bild: Reto Klink)

Die Aeronauten sind eine schmissige Band mit Indie-Hits, Schmackes, Leidenschaft und Potential – für eine Nischenszene, nicht für die grossen Hallen und Radiostationen. Eine Indie-Band. So viele Leute mit gutem Humor und Geschmack gibt es einfach nicht, als dass die Hallen vollzukriegen wären. Auch in Deutschland nicht. Und die Radioprogramme, müssen wir wirklich noch darüber reden?

Und so sind eben immer diese Geldprobleme geblieben bei Guz. Selbstverständlich wird Guz auch nicht für den Grand Prix Suisse de Musique nominiert wie etwa Franz Treichler von den Young Gods, der ihn zum Glück auch gewonnen hat (100’000 Franken!), nein: Dafür sind die Aeronauten einfach zu kurlig, zu quer, und sagen wir es so: zu wenig bildungsbürgerkompatibel, zu wenig Feuilletong, des Arschkriechens schon rein anatomisch nicht fähig – und  sowieso: überhaupt nicht angepasst. Zu verpeilt wohl auch. Beim Bundesamt für Kultur hört man keine Scheisslieder, sondern gehobene Kunst. Fragt mal Alain Berset, der hat einen grossen Arsch.

Wenn alles klingt
und im Rhythmus schwingt
braucht es einen der ein Scheisslied singt
Guz haut uns raus
und singt ein Scheisslied
yeah yeah yeah

aus dem Song «Scheisslied» (vom Guz-Album Mein Name ist Guz, Ritchie Records, 2008)

Diese Faszination für das Absurde, das Randständige, das Banale

«Den Schlüssel zum Paradies hätte ich auch gerne gefunden – aber es gelingt mir nicht», sagte Guz vor einigen Jahren in einem Interview mit der Schaffhauser AZ. «Irgendeinisch fingt ds Glück eim…» hat Kuno Lauener mit Züri West schon Jahre zuvor gesungen, ja klar, irgendwann. Ein genaues Datum hat Kuno ja leider nicht nennen können. Und doch, lange Jahre wirkt Guz – in meinen Augen, aus der Distanz – recht glücklich, eben vor allem, wenn er Musik gemacht hat, wenn der Bus gerollt ist.

Guz und Kuno haben schon einiges gemeinsam: Sie wissen beide, wie man ganz bestimmte Situationen, ob Scheitern, Liebeskummer, Fussball, Romantiksachen etc. in Worte fasst und die Musik dazuscheppert. Beide haben sich immer mal wieder im ewigen Fundus der Rockgeschichte mit Melodien und mehr bedient, Guz als Guz sogar oft sehr offensichtlich. Allerdings war sein Fundus einiges obskurer, verschrobener, älter, mehr aus der Zeit gefallen wie derjenige von Kunos Züri West. Guz aber hatte diese Faszination für das Absurde, das Randständige, das Banale. «Mich interessiert immer das Gegenteil, egal wovon», sagte Guz in einem Interview.

Schuldigung ich glaub
mir fällt nichts mehr ein
die Zeit der langen Briefe ist vorbei

aus dem Song «Schuldigung» (vom Aeronauten-Album Jetzt Musik, 1997, Tom Produkt / L’Age d’Or)

Beide wären ohne die Goldene Zeit der Punk- und vor allem Alternativkultur in den 80er- und 90er-Jahren niemals auf so viele und – im Fall von Züri West – später so grosse Bühnen gekommen. Beide sind privat eher zurückhaltende Menschen. Der Unterschied: Guz war mit seiner Musik immer auch in Deutschland und Österreich präsent, Züri West machten sich in der Schweiz breit und gross. Guz kam locker über die Landesgrenzen, sein Gesang war astreines Hochdeutsch. Kuno blieb bei der Berner Mundart, reduced to the max. Beides sind sehr Gute. Doch Guz ist tot, sagt das Internet. Lügennetz! Guz’s Not Dead!

I wish I was normal
I wish I could be like you
having some normal dreams
that never will come true

aus dem Song «I Wish I Was Normal» (von der Aeronauten-EP Bettina (Ich wollt, ich wär tot, Bettina), 1994, Tom Produkt)

Und so sind wir müde geworden, während die abgelaufenen Jahre beim Hinterausgang rumstanden und Zigaretten geraucht haben.

Das mögliche Scheitern scheint bei Guz immer Teil seines Systems zu sein, ob beim Musikmachen oder als Mensch in einer Gesellschaft, mit der er herzlich wenig gemeinsam hat. Das Gefühl, das wir mit unserer speckig-schönen, bunten und wüsten Gegenkultur gescheitert sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist sogar sehr real, look around you. Ob als System oder in persönlicher Weise: Viele hatten nicht genügend Kapital und Schnauf und Skills, um ihre, um bessere Ideen durchzusetzen. Wahrscheinlich wussten wir sowieso nicht, wie das ging. Hatten keine Zeit. Vielleicht haben wir auch einfach erkannt, dass wir die gleichen Mittel anwenden müssten wie die Scheiss-KapitalistInnen. Und habens dann bleiben lassen. Kein Verrat! Jaja. Irgendwie gings ja bisher immer ohne, oder? Ja, schon – aber.

Und du wirst mich vermissen
du wirst mich vermissen
wenn ich weit weg bin

aus dem Song «You’re gonna miss me» (vom Guz-Album Mein Name ist Guz, angelehnt wohl an den gleichnamigen Song der Carter Family von 1931)

Januar 2020: Die grosse Furcht davor, was sein wird

Wie auch immer.

Ich krame in meinen Platten und Heftchen und alten Notizen rum, schaue mit nie nachlassender Neugier zurück auf ein unfassbar reiches Schaffen und auf diesen dermassen sympathischen Menschen, Olifr. M. Guz, König der Schweiz, Knödelbaron, Brummbär, Tüftler, Buddha, Stoiker, Klangalchemist, Vorstadt-Rockabilly, Hobby-Ufologe, Absurdist, Skurrilist, der Mann, der keine Feinde hat.

Schon im Sommer 2008, als wir uns auf dem Krienser Sonnenberg beim B-Sides Festival mal wieder getroffen hatten (Guz spielte solo, ich war mit meinen Schützlingen von Navel da), hing sein erster Herzinfakt wie ein ganz schlechter Scherz über dem Gelände und so gelassen er auch wirkte mit seinen damals 41 Jahren, so ernst war die Sache für ihn. Obwohl es eine in der Familie vererbte Herzschwäche ist, die ihn gequält hat, also schon lange da und nicht aus der Welt zu schaffen, oder gerade deshalb: liess er das Thema schnell verschwinden. Schliesslich waren wir zum Musikmachen und -hören auf den Sonnenberg gekommen. Und im Bandbus hatten wir auf der Hinfahrt «Mir sin so härt» gehört – der Berg gehörte also sowieso schon Guz, als wir angekommen sind.

Und so bin ich ein ewiger Seelenverwandter von Guz in losen Schnittmengengebieten geblieben, aber einer, der jeden Tag als einen der besten empfunden hat, wenn wieder mal eine neue Single von den Aeronauten oder ein neues Album vom Guz vermeldet worden ist, oder Guz in der Stadt war. Oder irgendwo sonst für ein paar gemeinsame Momente.

Wie das nun sein wird, in Zukunft, also heute schon, ich habe eine ziemlich grosse Furcht davor, es mir vorzustellen und ich glaube, einige andere auch. Es ist viel mehr verloren gegangen als Guz, der Mensch, Musiker, diese Figur. Es ist ein Teil unserer Identität gestorben. So sehe ich das.

Ein letzter Gruss deshalb an Guz mit ein paar eiligen Zeilen, Sonntagnacht um 23:42, und dann ist Schluss mit diesen Bilderfetzen der Erinnerung:

Januar zwanzig-zwanzig-zwanzig
die Strassenlaternen sind futsch
der Besucherparkplatz abgesperrt
und in Pyönjang gabs einen Putsch
die Füsse riechen ranzig
wie alte Butter, madiger Speck
im Wartezimmer hockt der Tod
Und wir liegen angezogen im Bett
Komm lass uns Liebe machen
im Krankenhauslazarett
Januar zwanzig-zwanzig-zwanzig
stell den Wecker, lösch das Licht
wo wir hingehen ist schon das Glück
und morgen holen wir uns
yeah yeah yeah!
die ganze Welt zurück.

3 Kommentare zu Guz’s Not Dead!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!