Eine Woche vor dem International Transgender Day of Visibility hab ich mir den Kopf rasiert, die schulterlangen Haare ab, die ich seit meinem Coming-out hab wachsen lassen. Es war so ein Britney-Spears-Ding, what else, meine Strategien zur Problembewältigung stammen alle aus der Popkultur der 2000er: Den Körper hungern lassen, bluten lassen, ihn kaputtsaufen, zum Schweigen bringen, den Kopf rasieren. «Shaving my head and acting out were my ways of pushing back», schrieb Britney in ihrer Autobiografie, ein Versuch, dem jahrzehntelangen Beurteilen und Beobachten ihres Körpers zu entkommen. Spoiler: That didn't work.
Ich habs trotzdem versucht, nachdem ich wieder Mal an der Tramhaltestelle angeschrien wurde, «Schwuchtel» und «Schlampe», trans Frauen sind immer beides: Die unzureichende Frau, die ohne moralische Strafe vergewaltigt werden kann, und der fehlgeschlagene Mann, der zur Korrektur öffentlich geschlagen werden kann, während Passant:innen zusehen oder filmen. I feel you Britney, «hit me, baby, one more time», also den Kopf rasiert, Hoodie auf und im Tram immer an den Rand stehen, das Gesicht ans Fensterglas gedrückt, um den Körper zu verstecken, der nach einer beschissenen Pubertät und ein paar Jahren Hormontherapie nicht mehr männlich und auch nicht weiblich, sondern meist trans gelesen wird. The worst of both worlds, also nichts mit Sichtbarkeit und lieber unsichtbar sein. Wenn mich niemand sieht, dann schlägt mich auch niemand, right?
Nicht ganz so einfach, wenn sich Medien und Politik auf trans Menschen eingeschossen haben, sogar mit glänzenden Einzelfällen. Kurz darauf schrieben mir plötzlich Menschen, ich solle mich doch umbringen, sonst würden sie das machen. Grund dafür: «20 Minuten» hat in einem Text über eine gewalttätige rechtsextremistische Gruppe, in deren Umfeld auch schon zu Angriffen auf trans Menschen aufgerufen wurde, meinen Namen genannt, mich von meinem privaten Instagram-Profil zitiert und geschrieben, ich sei trans. Ohne mein Einverständnis, ohne einen Hinweis. Und wenn das Rechtsextremisten sehen, dann kommen eben Morddrohungen. Ich bin da auch nicht die erste, der «Tages-Anzeiger» hat so lange Schweizer Ärzt:innen, die es wagen, trans Menschen zu behandeln, mit böswilligen Texten drangsaliert, bis sie Drohungen erhielten. Und als die deswegen nicht mehr mit dem «Tages-Anzeiger» reden wollten, hat das Medium sie als verschwörerisch, defensiv und schamvoll geframed.
Nach der ganzen Sache sass ich ein paar Tage wie gefangen in meiner Wohnung, ging nicht raus, hatte meine Website offline genommen und bei meinem Arbeitgeber mein Foto von der Teamseite entfernt. Happy fucking Transgender Day of Visibility. Und weil bald die ganzen Pride-Umzüge anstehen: Sichtbarkeit ist für viele trans Menschen nicht Befreiung, sondern Falle. Wer sichtbar ist, wird schnell mal angegriffen, egal ob auf Social Media oder im Supermarkt, Tendenz seit Jahren steigend, auch und besonders in der Schweiz. Für den Pride-Month dieses Jahr wünsche ich mir also: Meine fucking Ruhe. My loneliness ain't killing me no more, im Gegenteil, vielleicht schützt sie mich sogar.
Mia Nägeli, 1991, arbeitet nach einer Journalismusausbildung und ein paar Jahren bei verschiedenen Medien heute in der Musikbranche in der Kommunikation, als Tontechnikerin und als Musikerin. Seit Herbst 2024 studiert sie Kunst in Wien.