, 10. Juli 2016
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Hodenkrampf und scharfe Rosetten

Endlich ist es da, das neuste Ostschweizer Album über allerlei Körpersäfte und Wixxers. Acht Gründe, warum man sich Hey Wichsers von Knöppel geben sollte.

Jack Stoikers nicht so gepflegt gekleideter Zwilling: der Frontmann von Knöppel. (Bilder: Mario Baronchelli, schattenwerk.ch)

Am Freitagabend hat die St.Galler Band Knöppel am Kulturfestival St.Gallen ihr erstes Album Hey Wichsers getauft. 18 Songs hat die Scheibe und in jedem kommt das Wort Wichser vor.

Da die Erinnerung an diesen Abend leicht getrübt ist aufgrund des flotten Alkoholkonsums (und weil auch Saiten auf Listicles steht), hier acht durchaus subjektive Argumente, ein bisschen Zeit mit Knöppel zu verbringen:

Erstens: Knöppels Vorband.

Die Albumtaufe wurde nämlich nicht von irgendwem eröffnet, sondern von Jack Stoiker himself, begleitet von Marc Jenny am Kontrabass. Vorletztes Jahr auch am Openair zu sehen, sofern man denn pünktlich im Tobel war.

Für alle, die notorious Stoiker nicht kennen; das ist dieser Mann rechts, Knöppels geschniegelter Zwilling:

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(Klick zum Vergrössern)

Zweitens: Stoiker ist Feminist. Vielleicht.

Er singt: «I ha di immerno gärn, au wenn du Periode häsch. Au wenn du s’ganzi Bett vesausch. I ha di immerno gern. Egal, öbd Binde oder Tampons traisch.»

Die Menstruation beziehungsweise das, was «Tante Rosi» so alles mit sich bringt, ist eindeutig ein unterdiskutiertes Thema in unserer Gesellschaft. Unter anderem daran zu sehen, dass die Trolle im Netz wie auf Kommando Amok laufen, wenn mal eine Kunst macht mit Menstruationsblut. Oder einen Marathon läuft ohne Tampons.

Darum ist es absolut wichtig und richtig, dass ein erfahrener Mann wie Jack Stoiker dieses Thema aufnimmt und seinem Publikum so vielleicht etwas die Angst nimmt, auch zuhause über dieses existenzielle Thema zu reden.

Drittens: Knöppels Freunde.

Nach Stoiker heizten die Jungs von Tüchel (St.Gallen, since 1993!) dem Publikum im Museumsinnenhof ein. Ihr Auftritt war wie erwartet schmissig und musikalisch vermutlich das Highlight des Abends, sofern man Wert auf das Kriterium Perfektion legt.

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Tüchel samt Fanbase

Besonders passend nach Stoikers menstruellem Intermezzo zuvor: Tüchel-Frontmann Matthias Howald punkrockte die Kulturfestival-Bühne in einer original Thurgauer-Tracht – die weibliche Version. Er jammerte zwar nach jeder Nummer, wie unbequem der lange Rock und das enge Korsett seien, hielt aber tapfer durch bis zum Schluss.

So gesehen könnte man durchaus auch Tüchel als feministisch bezeichnen, erinnerten sie uns doch wiedermal an gewisse kleidungstechnische Unbequemlichekeiten, denen sich frau (früher wie heute) aussetzt, um ihre Weiblichkeit zu betonen (und später am Abend allenfalls in Kontakt zu treten mit gewissen Körpersäften).

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Die Alphorn-Crew zum Auftakt von Tüchel haben wir leider verpasst. Schuld daran war das äusserst gelungene Schnitzelbrot aus der Kulutufestival-Küche. Tschuldigung.

Viertens: Der Knöppel-Sound.

Wo Stoiker noch aufs Amateurhafte und auf die Parodie setzt, klingt Knöppel bereits etwas routinierter, wohl auch dank Marc Jenny am Bass und René Zosso alias Zössi an den Drumms. Der Sound erinnert ein bisschen an eine etablierte Guggenmusik: Was bei Stoiker noch schräg und kakophon klingt, ist bei Knöppel wesentlich ausgefeilter – der punkrockige Sound kommt um einiges professioneller daher. Knöppel klingt nach einer Mischung aus Stoiker und Tüchel; weniger Chanson, dafür mehr mutig-simpler Punk.

Und das ist gut so, denn schief ist es immer noch, aber satter und mit ordentlich garagigen Zwischentönen. Erfrischend unperfekt, heute, wo alles nur noch zielgruppig-gewinnorientiert zurechtgestylt ist. Schade nur, waren die Texte auf der Kulturfestivalbühne, anders als bei Stoiker zuvor, nicht mehr ganz so verständlich.

Fünftens: Knöppels Vielseitigkeit.

Auf Hey Wichsers gibt es neben Dreck und gradlinigen Riffs auch ein Acapella-Gedicht. Hodenkrampf heisst der Bonustrack und handelt, wie der Name schon sagt, von einem «Spasmus Testikulus», erlitten blöderweise beim feierabendlichen Bierkauf:

«Wie Feuer brennt’s im Hosenstall / von der Stirne heiss rinnen tat der Schweiss / wie ein wilder Wasserfall / und mit lautem Donnnerknall / schlägt sein Unterkiefer auf den harten Schiefer / zu Superbock, dem Biere, schlich er noch / den Krampfe im Gehänge / und weiter wuchs der Schmerzen Wellenlänge / und am Boden fand er sich / und vor Schmerzen wand er sich / die Hände fest im Schritt verkrallt / im Palettenmarkt sein Schreien hallt.»

Sechstens: Die Klassiker.

Knöppel hat nicht nur neues auf Lager, sondern holt sein Publikum auch mit Altbekanntem ab. Abseits (du Wichser) beispielsweise ist einer der Tracks, auf den wir bereits beim Auftritt von Stoiker hofften, der aber bei Knöppel um einiges gyler tönt dank fiesen Drums und Marcs gradlinigem Bass – nicht dem Kontrabass.

 

Siebtens: Knöppel ist alte Schule.

Ja, ernsthaft. Wer Knöppel jetzt schon hören will, muss das entweder live tun oder sich, wenn man unter 40 ist, erstmal im Brocki nach einem Kassettenrecorder umschauen, denn Hey Wichsers ist vorläufig nur auf Kassette erhältlich. Auch das; sympatico. Schliesslich versucht die Musikindustrie alles möglichst breit und medienkonvergent zu veröffentlichen – da ist es richtig wohltuend, dass mal jemand zur Abwechslung ein paar Hürden zu seinem Sound einbaut.

Das Kassettlli sei ein Kompromis, sagen die Knöppels. Weil man im Hochsommer keine Plattentaufe mache. Im Herbst sei der offizielle Erscheinungstermin und das Album auch auf CD, LP und als Download erhältlich. Unter christian@cgkmusic.ch kann man es vorbestellen.

Achtens: Die Drinks zur Taufe.

Das nennen wir ganzheitliches Denken! Nebst allerhand Merchandise-Artikeln gab es am Freitagabend auch die passenden Drinks zum ersten Knöppel-Album: die «scharfe Rosette» (Whiskey, Ingwer, Tabasco und Minze, glaub ich) und «Hey Wichsers» (Tequila, Milch und noch eine andere, leider vergessene unsägliche Zutat). Ersterer hat, nach allem, was wir gehört haben, tatsächlich zweimal gebrannt.

Die Bilanz:

Knöppel & Friends konnten dem erfreulich gemischen Kulturfestival-Publikum am Freitag einen doch etwas anderen Abend bescheren. Beim zweiten Knöppel-Song, Hüt wert onaniert, gab es zwar noch ein paar irritierte Gesichter, doch auch die sind relativ rasch verflogen. Am Ende sangen fast alle mit. Und dafür ist der Museumsinnenhof am KUFE schliesslich da.

Knöppel: Hey Wichsers, erschient irgendwann im Herbst auf CGK-Music. cgkmusic.ch

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