, 2. November 2013
2 Kommentare

Im Fragengewitter

Das Theater St.Gallen bombardiert die Lokremise mit Max Frischs „Fragebögen I-XI“. Am Freitag hatte die Gemeinschaftsproduktion von Tanz und Schauspiel Premiere: viel Stoff zum Weiterfragen.

Eine Frage beantwortet der lange Abend einmal mehr klar: Tanzchef Marco Santi wird in St.Gallen fehlen. Zusammen mit der Regisseurin Katja Langenbach füllt er beide Theaterräume der Lokremise mit einer vollgepackten, anspielungsreichen und witzigen Trilogie des Fragens. Tanz und Schauspiel wirbeln durcheinander, der spartenübergreifende Anspruch der Lok wird für einmal fraglos eingelöst.

Wer von den 17 Ausführenden zum Tanz gehört, wer zum Schauspielensemble, wäre, wenn mans nicht wüsste, kaum zu unterscheiden. So wenig wie die acht Frauen – alle im circa Sechzigerjahr-Look, blaugeblümter Rock, Stöckelschuhe, Föhnperücke – und die neun zum Verwechseln gekleideten Frisch-Männer. Spiel und Tanz ist eins, es geht um Mann und Frau an sich. Beziehungsweise, bei Frisch notorisch: in erster Linie um den Mann.

_0000360

Zum Start aber, in Saal zwei, ein surrealistisches Fragengewitter. Einer (Sebastian Gibas) sieht aus wie der Autor höchstpersönlich. Mit fünf Bürogenossinnen und -genossen hämmert er auf seine Hermes Baby ein, die Fragen aus den insgesamt elf Fragebögen Frischs jagen sich, unterbrochen, rhythmisiert, aufgepeitscht von E-Gitarre, Bratsche, Schlagzeug, Klavier, Ukulele, Maultrommel, Klarinette, Trompete. Die Musik  (konzipiert von Roderik Vanderstraeten) spielen die sechs Frageakrobaten gleich selbst, rund um, auf und unter dem Frisch-Tisch.

Antworten sind zwecklos, die Szenerie ist urkomisch, die Einfälle grandios (besonders wo es um Freundschaft oder ums Geld geht) und selten (bei den „Heimat“-Fragen) auch mal platt. Frischs moralisch hoher Frageton wird mit einer musikalischen Ironie dekonstruiert, die an Marthaler erinnert. Mit einem Fragensturm im Kopf geht es hinüber in Saal zwei.

Dort spielt, nach einer eher ratlos vereinzelten „Choreografie der Fragen“, das Hauptstück: „Biographie. Ein Spiel“. Kürmann (Marcus Schäfer) kann sein Leben nochmal neu anpacken, um die fatale Ehe mit Antoinette (Meda Gheorgiu-Banciu) zu umgehen. Das Experiment geht bekanntlich in immer wieder neuen Anläufen schief, bis Antoinette selber am Ende die Sache in die Hand nimmt.

Das ist rasant gespielt und choreographiert, Text  und Tanz virtuos verspiegelt, der Bühnenraum von Katrin Hieronimus ein Identitäts-Puzzle. Und in Einschüben kommen die Fragen wieder – jetzt tönen sie neu, aufgeladen mit Leben, eingebettet ins Drama einer Ehe, verschattet vom tödlichen Krebsbefund Kürmanns. Wem wären Sie lieber nie begegnet? Was hoffen Sie? Möchten Sie Ihr Mann sein? Möchten Sie Ihre Frau sein? Warum weinen Sterbende nie? Die Fragen rattern lang nach der Vorstellung weiter.

_0001163

Aber auch der Ärger rattert weiter. Frisch, der „male chauvinist“, wie er im Roman „Montauk“ selber schreibt, schiebt im Stück der Frau wieder einmal alle Schuld zu – sie verführt und betrügt den Kür-Mann, und dem setzt das Regieduo noch eins drauf mit der Überzeichnung der erotisch aufgetakelten Stöckel-Antoinettes. Auf diese alles andere als frische, muffige Männer-Optik hat die Produktion keine zeitgemässe Antwort gefunden.

Weitere Vorstellungen bis 26. November. Bilder: Tine Edel

2 Kommentare zu Im Fragengewitter

  • Immer nur Austariertes betr. Genderoptik ödet doch auch an. Da ist mir manchmal , in literarischen Werken, eindeutige MännerOptik sympathischer, vielleicht auch ehrlicher.

  • […] ” … Zum Start aber, in Saal zwei, ein surrealistisches Fragengewitter. Einer (Sebastian Gibas) sieht aus wie der Autor höchstpersönlich. Mit fünf Bürogenossinnen und -genossen hämmert er auf seine Hermes Baby ein, die Fragen aus den insgesamt elf Fragebögen Frischs jagen sich, unterbrochen, rhythmisiert, aufgepeitscht von E-Gitarre, Bratsche, Schlagzeug, Klavier, Ukulele, Maultrommel, Klarinette, Trompete. Die Musik  (konzipiert von Roderik Vanderstraeten) spielen die sechs Frageakrobaten gleich selbst, rund um, auf und unter dem Frisch-Tisch. Antworten sind zwecklos, die Szenerie ist urkomisch, die Einfälle grandios (besonders wo es um Freundschaft oder ums Geld geht) und selten (bei den „Heimat“-Fragen) auch mal platt. Frischs moralisch hoher Frageton wird mit einer musikalischen Ironie dekonstruiert, die an Marthaler erinnert.” (Saiten Ostschweizer Kulturmagazin, Im Fragengewitter) […]

Schreibe einen Kommentar zu Andrea Martina Graf Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!