Jodel ist politisch

Der Schweizer Jodel gehört nun zum immateriellen Weltkulturerbe, die Freude im Roothuus Gonten ist entsprechend gross: Antonia Manser, Alfred Stricker, Marc-Antoine Camp und Roothuus-Leiterin Barbara Betschart (von links). (Bilder: Su.)

Die Unesco hat den Schweizer Jodel zum immateriellen kulturellen Welterbe erklärt. Eine der treibenden Kräfte war das Roothuus in Gonten. Dort war die Freude gestern riesig.

Sin­gen ver­bin­det. Selbst an ei­ner nüch­ter­nen Me­di­en­kon­fe­renz, wie am Don­ners­tag im Zen­trum für Ap­pen­zel­ler und Tog­gen­bur­ger Volks­kul­tur in Gon­ten. Nach den ers­ten Er­läu­te­run­gen der Fach­leu­te setzt die In­ner­rho­der Sän­ge­rin An­to­nia Man­ser zu ei­nem Jo­del an, jod­le­risch kor­rekt aus­ge­drückt: Sie nimmt ein Zäu­er­li oder Rug­gu­ser­li. Al­fred Stri­cker, bis vor ei­nem hal­ben Jahr Aus­ser­rho­der Kul­tur­di­rek­tor, fällt mit der Ober­stim­me ein, und wir we­ni­gen an­we­sen­den Me­di­en­leu­te pro­bie­ren die Be­gleit­tö­ne. Es klingt nicht mal schlecht.

Für Al­fred Stri­cker ist es kei­ne Fra­ge: Jo­del ist po­li­tisch. Und uni­ver­sal ver­bin­dend. Das hat er auch schon an pro­mi­nen­te­ren Ver­samm­lun­gen be­wie­sen. Zum Bei­spiel, le­gen­där für die, die da­bei wa­ren, 2022 auf der Schwäg­alp beim Ju­bi­lä­um der In­ter­na­tio­na­len Bo­den­see-Kon­fe­renz IBK: Auf ei­nem Rund­gang im ver­schnei­ten Wald jo­delt er mit Bun­des­rat Cas­sis im Du­ett und ani­miert die Re­gie­rungs­kol­leg:in­nen aus Deutsch­land und Ös­ter­reich, mit­zu­tun. Oder bei ei­nem EU-An­lass in Brüs­sel: Auf ei­ne Fra­ge zum Schwei­zer Fö­de­ra­lis­mus greift Stri­cker zum Mi­kro und bringt die An­we­sen­den kur­zer­hand zum «Grad­he­be». Fra­gen sei­en da­nach nicht mehr ge­stellt wor­den.

Die Bot­schaft war of­fen­bar klar, dort wie auch jetzt bei der Unesco-Kan­di­da­tur: Sin­gen stärkt den Zu­sam­men­halt, schliesst nie­man­den aus, braucht und för­dert die Ge­mein­schaft und nicht zu­letzt auch das Zu­hö­ren­kön­nen. Sin­gen ist Kom­mu­ni­ka­ti­on pur, vor­ne­weg der Na­tur­jo­del, der oh­ne Text und mit ein paar we­ni­gen har­mo­ni­schen Wen­dun­gen aus­kommt. 

Ge­jo­delt wird denn auch welt­weit, in Va­ria­tio­nen. Die Unesco hat be­reits frü­her Jo­del­tra­di­tio­nen aus Sim­bab­we und aus Ge­or­gi­en in ih­re Lis­te auf­ge­nom­men. Die­sen Don­ners­tag, an der Unesco-Kon­fe­renz in Neu-De­lhi, hat es jetzt auch der Schwei­zer Jo­del ge­schafft. Kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit, denn der Run auf die Lis­te des im­ma­te­ri­el­len Kul­tur­er­bes sei rie­sig, sagt Marc-An­toine Camp, Volks­mu­sik-For­scher an der Uni Lu­zern, in Gon­ten.

Jo­del, Juiz, Jutz, Juuz …

War­um die Schweiz al­lein? Ei­ne ge­mein­sa­me Ein­ga­be mit Ös­ter­reich oder wei­te­ren Al­pen­re­gio­nen sei kein The­ma ge­we­sen. Die Un­ter­schie­de wä­ren zu gross, er­klärt Camp. Die Jo­del-Viel­falt sei nur schon im ei­ge­nen Land be­trächt­lich, die Zahl der Be­tei­lig­ten im­po­sant – der Eid­ge­nös­si­sche Jo­del­ver­band zählt rund 12’000 Mit­glie­der – und die re­gio­na­len Un­ter­schie­de mar­kant. Wo­bei die Deutsch­schweiz do­mi­niert; in der Ro­man­die und im Tes­sin sei das Jo­deln nicht ganz so hei­misch, auch wenn so­gar in Genf ein Jo­del­chor exis­tie­re.

Zen­tren des Na­tur­jo­dels, der auf Vo­ka­le oh­ne Wor­te ge­sun­gen wird, sind die Re­gi­on um den Alp­stein, mit ih­ren Zäu­er­li, Rug­gu­ser­li und dem Tog­gen­bur­ger Joh­len, da­ne­ben die Zen­tral­schweiz mit dem Ent­le­bu­cher Jutz, dem Juiz in Ob- und Nid­wal­den oder dem uri­gen Juuz des Muo­ta­tals. Ei­ne Welt für sich sind die Jo­del­lie­der mit ih­ren oft hei­mat­seli­gen Blue­me­te-Trög­li-Tex­ten – zeit­ge­mäs­se­re Jo­del­li­te­ra­tur ge­be es aber durch­aus auch, be­tont Betschart.

Jodlerin Antonia Manser. 

Alt­ba­cken, kon­ser­va­tiv, länd­lich? Das Image, das der Jo­del in Nicht-Jod­ler-Krei­sen weit­her­um hat, wol­len die In­iti­ant:in­nen der Unesco-Kan­di­da­tur so nicht ste­hen las­sen. Das Spek­trum der Sti­le sei weit, selbst in­ner­halb des Jod­ler­ver­bands. In­no­va­ti­ve Stim­men ste­hen ne­ben tra­di­tio­na­lis­ti­schen. Die gan­ze Viel­falt ha­be ih­re Be­rech­ti­gung, und Span­nun­gen sei­en auch span­nend, sagt Betschart: als Grund­vor­aus­set­zung da­für, dass ein Kul­tur­er­be nicht er­star­re, son­dern le­ben­dig blei­be. 

Das Unesco-Dos­sier rückt aber we­ni­ger die Un­ter­schie­de, viel­mehr das Ge­mein­sa­me ins Licht: den Jo­del als iden­ti­täts­för­dern­de Kul­tur des gan­zen Lan­des. Das Unesco-Di­plom soll hel­fen, die­se Funk­ti­on zu stär­ken: «Es geht nicht dar­um, das La­bel tou­ris­tisch aus­zu­schlach­ten, son­dern den Jo­del als le­ben­di­ge Tra­di­ti­on zu prak­ti­zie­ren und zu stär­ken.» 

Jo­deln­de Klas­sen­zim­mer

Da­zu die­nen die so­ge­nann­ten Be­wah­rungs­mass­nah­men, wel­che die Unesco zwin­gend ver­langt. An vor­ders­ter Stel­le steht die Nach­wuchs­för­de­rung, am liebs­ten di­rekt in den Schu­len. «Das jo­deln­de Klas­sen­zim­mer» nen­nen es die In­iti­ant:in­nen. Die­sen Sams­tag, am ei­gens aus­ge­ru­fe­nen Tag des Jo­dels in Schwyz, sind drei Pio­nier­klas­sen zu hö­ren. In Zu­kunft sol­len Jod­le­rin­nen und Jod­ler in den Un­ter­richt kom­men oder Lehr­per­so­nen sel­ber im Jo­deln aus­ge­bil­det wer­den. Auch Jo­del-Kin­der­chö­re sind ein Ziel. In Ba­sel wird ge­ra­de ein sol­cher Chor ge­grün­det; die Städ­te wa­ren schon zu Be­ginn des ver­eins­mäs­si­gen Jo­delns im 19. Jahr­hun­dert dem Land vor­aus. Die pas­sen­de Ju­gend­chor-Li­te­ra­tur müs­se man im Mo­ment aber noch su­chen, sagt Betschart. 

Di­gi­ta­li­sie­rung und Ar­chiv­auf­be­rei­tung des zum Teil ver­streu­ten No­ten­ma­te­ri­als sol­len eben­falls da­zu die­nen, die Tra­di­ti­on zu be­wah­ren und le­ben­dig zu hal­ten. Das Root­hu­us ist da­bei zen­tral: In sei­ner Schwei­zer Volks­mu­sik­samm­lung, ge­mein­sam mit dem Haus der Volks­mu­sik in Alt­dorf auf­ge­baut, ste­hen heu­te rund 80’000 Da­tei­en on­line zur Ver­fü­gung, von No­ten bis zu Au­dio­do­ku­men­ten, dar­un­ter über 1000 Jo­del­no­ten. 

Was die­se Jo­del­of­fen­si­ve kos­ten wird und wer be­zahlt, ist noch of­fen. Der Bund als Mit­trä­ger der In­itia­ti­ve trägt ma­xi­mal die Hälf­te an wei­ter­füh­ren­de Pro­jek­te bei.

Im Nach­bar­kan­ton St.Gal­len ist die gu­te Jo­del­bot­schaft im­mer­hin be­reits an­ge­kom­men, so­gar noch vor dem Ja aus Neu-De­lhi. An ei­ner Re­trai­te der Amts­lei­ter:in­nen und der Re­gie­rung im Klang­haus Wild­haus stand die­se Wo­che un­ter an­de­rem auch ein Krea­tiv­teil auf dem Pro­gramm, samt Jo­del und Grad­he­be. Es klang auch dort, dem Ver­neh­men nach, schon er­staun­lich har­mo­nisch.

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