, 7. November 2014
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Kehraus bei Niggli

Die Verlage Niggli und Benteli in Sulgen wurden per 1. Oktober an die Braun Publishing AG in Salenstein verkauft. Auf der Landkarte sind das nur 20 Kilometer, trotzdem bedeutet es eine Zäsur: Die gesamte Belegschaft verlässt den Verlag. Eva Bachmann hat nachgefragt.

Der Verkauf kam für alle Beteiligten überraschend und ist im September innert kurzer Zeit vollzogen worden. «Bei uns ging es um eine Konzentration der Kräfte. Wir wollten uns auf unsere zentralen Kompetenzen ausrichten – und das sind Grafik und Druck», erklärt Daniel Stierli. Er ist zusammen mit Markus Bättig Inhaber der bsmediagroup in Sulgen, zur Holding gehören die Heer Druck AG, Smartpublishing, der Neue Anzeiger, die beiden Verlage Niggli und Benteli sowie die Architekturzeitschrift Archithese. Einen Verkauf aus finanziellen Gründen verneint Stierli. Der Druck im Verlagsgeschäft nehme zwar stetig zu, aber der Verlag habe schwarze Zahlen geschrieben. Und seit der Verpflichtung von Andrea Wiegelmann als Verlagsleiterin 2013 sei es aufwärts gegangen.

Der Käufer Markus Sebastian Braun von Braun Publishing AG hingegen will von finanziellen Schwierigkeiten und mangelnder Führung des Verlags gehört haben. Der Kauf sei ihm angetragen worden, um den Fortbestand der Verlage zu sichern. «Es sollte alles sehr schnell gehen», sagt er, «aus heutiger Sicht wohl zu schnell, vor allem für das Personal.»

niggli-logoDie sechs Mitarbeiterinnen des Verlags fielen tatsächlich aus allen Wolken. «Von einem Verkauf war nie die Rede gewesen», sagt Programmleiterin Kerstin Forster, die seit sechs Jahren bei Niggli arbeitet. «Kurz vor der Frankfurter Buchmesse wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt. Und dann erhielten wir alle die Kündigung per Ende Jahr.» Eigentlich sollte das Personal vom neuen Eigentümer neu angestellt werden. Diesen habe man zwar auf der Messe getroffen, aber auch in den Wochen danach sei nicht klar geworden, wen Braun für welche Aufgabe übernehmen wolle, sagt Forster. Einen Vertragsentwurf habe niemand gesehen – inzwischen interessiert sich auch keine mehr dafür. Eine nach der anderen räumt ihren Schreibtisch, bezieht Ferien und baut Überzeit ab. In Sulgen ist Kehraus.

«Das Ohr am Markt»

Die Postadresse des Verlags Braun Publishing AG in Salenstein führt zur STG Salensteiner Treuhand-Gesellschaft mbH von Reinhard Suhner. Das Treuhandbüro ist gemäss moneyhouse.ch das Domizil von Braun Publishing AG und einer ganzen Reihe weiterer Firmen. Das Büro des Verlegers Markus Sebastian Braun jedoch befindet sich in Berlin, weitere Redaktionen gibt es in Hamburg und Stuttgart, ein wichtiger Faktor ist der internationale Vertrieb durch Thames & Hudson in London. Braun Publishing verlegt grossformatige Bildbände im Themenbereich Architektur und Design; aktuelle Spitzentitel heissen «Living in Style», «Bars, Clubs & Lounges» oder «Sommeliers‘ Heaven».

Markus Sebastian Braun ist seit mehr als 20 Jahren im Buchgeschäft und alleiniger Inhaber seines Verlags. «Geld und Geist in einer Person», betont er und wendet sich gegen Verlagsmanager, die als Angestellte agierten und nicht als Verlegerpersönlichkeiten. «Dem Niggli-Verlag hat es in den letzten Jahren an einer verlegerischen Leitung gefehlt», so seine Diagnose. Nun will er die Sache selber in die Hand nehmen. Die Inhalte seien werthaltig, versichert er, aber die Buchcover seien oft regelrecht abweisend gegenüber den Käufern und die Ladenpreise der Bücher zu hoch. Mit «dem Ohr am Markt» möchte er einen grösseren Leserkreis ansprechen und damit auch höhere Stückzahlen absetzen, und er will den Verlag internationaler positionieren. «Ich sehe mich da in der Tradition von Arthur Niggli, der schon früh mehrsprachige Ausgaben gemacht hat.»

Im global gedachten Buchmarkt hat Sulgen keinen Platz mehr, Niggli und Benteli werden nach Zürich umziehen. Sie sollen aber als Marken mit einem eigenen Katalog erhalten bleiben. Während Braun Publishing das bildorientierte Segment der Architektur abdeckt, soll Niggli sich im theoretischen Feld profilieren, erklärt Braun. Er hat die Rechte an den Marken Niggli und Benteli sowie an allen lebenden Titeln erworben und will auch einige von ihnen neu auflegen. Ob die Autorinnen und Autoren für künftige Titel wieder diesen Verlag wählen, steht ihnen frei.

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Eines der legendären Bücher aus dem Niggli-Verlag.

Der Wert eines Verlags

«Ich werde das Gefühl nicht los, dass weder der alte noch der neue Besitzer wissen, was sie am Niggli-Verlag haben», sagt Kerstin Forster. Der 1950 von Arthur Niggli in Teufen gegründete Verlag machte sich einen Namen auf den Gebieten Architektur, Typografie und Kunst aus dem Bauhaus-Umfeld. Josef Müller-Brockmann, Armin Hofmann, Jost Hochuli oder Le Corbusier, Luigi Snozzi, Gigon Guyer… die Liste der illustren Namen bei Niggli ist lang, Weltläufiges steht hier selbstverständlich neben Ostschweizerischem.

1992 kam Niggli zur Heer Druck AG nach Sulgen, 2007 auch der Berner Kunstbuchverlag Benteli (gegründet 1902). Viktor Heer war ein Fachmann für den Druck, für die Verlagsleitung holte er Sachverständige ins Haus, druckte aber gern auch einige der aufwendigen Bücher selbst. 2009 verkaufte Heer das Geschäft seinen Nachfolgern Markus Bättig und Daniel Stierli und deren bsmediagroup, die die Verlage nun verkauft haben.

Bei Niggli und Benteli war nach einigen Wechseln seit April 2013 Andrea Wiegelmann die Verlagsleiterin. «Seither hat sich der Verlag strategisch neu ausgerichtet. Wir machen weniger Bücher, aber mit einer klareren Linie», sagt die Pressesprecherin Kirstin Meditz, die seit zehn Jahren für Niggli arbeitet. Sie bedauert, dass der neue Schwung nun abrupt gestoppt wird. Zur Programmstrategie gehört ganz wesentlich das Selbstverständnis als Autorenverlag, in dem jedes Buch auch seinen eigenen Gestalter und damit sein eigenes Gesicht bekommt. «Das ist oft ein langwieriger Prozess, der auf einer vertrauensvollen Beziehung und vielen Gesprächen beruht – und sehr viel Geduld braucht», sagt Kerstin Forster, «aber schneller und billiger kommt man nicht zum gleichen Ergebnis.»

Traditionsbruch

Dass Niggli und Benteli nach Zürich umziehen, ist sicher ein Verlust für die Ostschweiz. Einschneidender für die Verlage ist jedoch der Verlust des Personals und damit genau jener langjährigen Beziehungen zu Autoren und Grafikern, auf deren Basis hochwertige Produkte entstehen konnten. Viele davon holten Auszeichnungen für ihre Gestaltung – so das Buch «Gestaltung der Grundlagen» in der jüngsten Jurierung der Schönsten Schweizer Bücher, die aktuell im Sitterwerk ausgestellt sind. Und einige der Niggli-Bücher sind zu Klassikern geworden, die weitervererbt werden. Gut möglich, dass hier ein Traditionsbruch passieren wird. Der Zufall will es, dass Ende November die Teufner Ortsgeschichte erscheint, in der ein Aufsatz von Hanspeter Spörri unter anderem von der Pionier- und Blütezeit des Niggli-Verlags erzählt. Hoffentlich wird dies nicht zum ungewollten Abgesang auf den Verlag.

www.niggli.ch

www.benteli.ch

www.braun-publishing.ch

www.bsmediagroup.ch

 

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