, 11. September 2021
1 Kommentar

Kellers Löwen

Gegen Barrieren aller Art und für eine Poetik der Vielstimmigkeit: Davon hat der St.Galler Autor und Rollstuhlfahrer Christoph Keller in seinen HSG-Vorlesungen 2020 gesprochen. Jetzt publiziert er sie unter dem Titel «Solange die Löwen nicht schreiben lernen». Am Montag ist Buchvernissage

In der Mitte im Rollstuhl der «Alibikrüppel», rund um ihn 16 Stehende. Das Haus nicht barrierefrei, die Website ebenso wenig. Das Center for Disability and Integration (CDI) der HSG ist Christoph Keller ein Dorn im Auge: will Forschung zur «erfolgreichen Arbeitsmarkt-Integration» von Menschen mit Behinderung treiben und ist selber das Gegenteil von integrierend.

Keller kritisiert die HSG dafür einmal mehr in seinem neusten, eben erschienenen Buch. Und dies pikanterweise in der «Höhle des Löwen», an der HSG selber: Das Buch macht die drei Vorlesungen öffentlich, die Keller im September und Oktober 2020 an der St.Galler Universität gehalten hat.

Christoph Keller: Solange die Löwen nicht schreiben lernen, Limmat Verlag Zürich 2021, Fr. 28.-

Das vierte Kapitel ist die Dankrede zum Alemannischen Kulturpreis, den Keller diesen Sommer erhalten hat. Sie gilt seinem jüngsten Buch Der Boden unter den Füssen und seiner Utopie eines «Zivilisationsmoratoriums»: Der «wahnsinnigen» Umwelt-Zerstörungswut des Homo sapiens setzt Keller das Idealbild des «planetarischen Gartens» entgegen, hofft auf «Bibervernunft» und «Igelwörter».

Besichtigung des eigenen Werks

Die HSG-Vorlesungen reflektieren seine Schreibmethoden, seine Vielsprachigkeit, Vorbilder, die Kunst des Plagiierens und anderes mehr. Und sie sind, wie Kellers Bücher Der beste Tänzer oder Jeder Krüppel ein Superheld und wie seine öffentlichen Wortmeldungen, ein weiteres stimmgewaltiges Plädoyer gegen eine Welt, in der «Behinderung von Nicht-Behinderten verwaltet» wird.

Keller, wegen seiner progressiven Muskellähmungs-Krankheit im Rollstuhl, weiss, wovon er spricht. Und kritisiert, dass dieses Wissen so wenig gefragt ist – erst recht in der Pandemie hätte man vom Knowhow der «Isolationsgeübten» und «Quarantäneexperten» profitieren können und müssen.

Christoph Keller. (Bild: Tine Edel)

Dazu passt das afrikanische Sprichwort, das er zum Auftakt seiner dritten Vorlesung zitiert und das dem Buch den Titel gegeben hat: «Solange die Löwen nicht schreiben lernen, wird jede Geschichte die Jäger verherrlichen.»

Einer, der nicht weggelobt werden will

Über die Diskriminierung von Behinderung müsse in der Schweiz endlich offen gesprochen werden, und dies nicht um sie «abzuhaken», sondern als Teil «einer allgemeinen Diskussion über Rassismus und Diskriminierung», fordert Keller.

Buchpremiere: 13. September 20 Uhr Kellerbühne St.Gallen

In diesem Sinn hatte er unter anderem auch Bundespräsidentin Sommaruga einen Offenen Brief geschrieben – die ihm postwendend für seinen Einsatz dankte. «Und schon war ich weggelobt», sagt Keller in seiner Vorlesung bissig. Er wird sich weiter dagegen wehren, mit Löwenstimme.

Illustriert ist das Buch mit den «Schattenmann»-Fotos, die Keller im Lockdown geschaffen hat und die als Auswahl in der «Blackbox» auf saiten.ch erschienen sind.

 

 

 

1 Kommentar zu Kellers Löwen

  • Peter Honegger sagt:

    Sichtbar werden!
    Wir brauchen starke, intelligente, wortgewandte Menschen wie Christoph Keller. Durch ihre (und unsere) Sichtbarkeit in der Gesellschaft, kann’s nur besser werden. Wir Menschen mit Behinderung, oder auch „Krüppel“, brauchen uns nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil man kann mit uns vieles neu entdecken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!