, 2. Februar 2018
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«Kunst darf nicht elitär sein»

Felix Bächli vom Kunstkiosk über die Suche nach Räumen in der Stadt St.Gallen, die Galerie als Ort des Austauschs und seinen eigenen künstlerischen Forschungsdrang.

Felix Bächli, fotografiert von Andri Bösch.

Saiten: Wie ist der Kunstkiosk entstanden?


Felix Bächli: Im Herbst 2010, aus einem Abschlussprojekt einer Kantonsschulklasse. Das Projekt wurde darauf von neuen Leuten, unabhängig von der Kanti weitergeführt, mit der Idee, eine selbstorganisierte Plattform für junge, angehende Künstlerinnen und Künstler zwischen 15 und 25 Jahren zu schaffen. Eröffnet wurde der Kunstkiosk im April 2011. Jene, die ihn aufgebaut haben, sind aber mittlerweile weg. Wir, die den Kunstkiosk heute betreiben, verstehen uns bereits als dritte Generation.

Sechs Jahre lang war der Kunstkiosk an der Rorschacherstrasse 48 zuhause, seit Anfang Jahr ist er nun im Konsulat an der Frongartenstrasse 9 zu finden. Warum musstet ihr umziehen?

Am alten Ort gab es einen Besitzerwechsel. Die neue Verwaltung vergab den Raum an ein Nagelstudio, statt weiterhin unser Projekt zu unterstützen. Gründe wurden keine genannt. Also mussten wir uns auf die Suche nach etwas Neuem machen.

Nächste Ausstellung:
«Und plötzlich schob mir jemand seine Hand in meine Hose». Erfahrungen mit sexueller Belästigung, sexuellem Missbrauch und Sexismus. Illustriert von Miriam Schöb. Vernissage: 2. Februar, 19 Uhr

Wie finanziert sich denn euer Verein?


Wir werden zum Teil von der Kinder- und Jugendförderung unterstützt, und letztes Jahr haben wir den dritten Platz gemacht beim Jugendprojektwettbewerb, was noch ein bisschen zusätzliches Geld in die Kasse spülte. Einen Mitgliederbeitrag wie in anderen Vereinen gibt es nicht bei uns, beim Verkauf eines Werkes geht jedoch die Hälfte des Ertrags an den Kunstkiosk. Wer uns privat unterstützen möchte, kann Gönner werden oder unseren Spendentopf an einer Ausstellung füttern.

Kannst du das Konzept eurer Plattform noch ein wenig genauer umreissen?

Wir wollen noch nicht etablierten Kunstschaffenden eine Möglichkeit geben, sich zu präsentieren und in die Öffentlichkeit zu treten mit ihrem Schaffen. Der Kunstkiosk will aber nicht nur Galerie sein, sondern auch ein Ort des Austauschs, ein Ort, an dem man Feedback erhält, sich selber wahrnehmen und – sowohl alleine als auch gemeinsam – auf ein Ziel hinarbeiten kann. Wir haben regelmässig Einzelausstellungen, auch von Kunstschaffenden, die nicht im Verein Kunstkiosk sind, und wir planen etwa im Zweimonats-Rhythmus eine gemeinsame Ausstellung zu einem bestimmten Thema. Da können je nach dem «akute» Themen behandelt werden, die sich uns gerade aufdrängen, oder auch solche, die uns generell interessieren – wir versuchen allen möglichen Denkarten und Ansätzen gegenüber offen zu sein. In den vergangenen Jahren haben wir uns zum Beispiel mit dem «Rammeln» auseinandergesetzt, mit der «Dekadenz», dem Thema «Exit» oder kürzlich mit dem Nagelstudio. Die Ausstellung trug den Titel «Nailed it», wobei wir ein Nagelstudio inszeniert haben.

Gibt es eine Kunstform, die euch besonders gut liegt?


Unser Ziel ist es, möglichst verschiedene Arbeiten, Sichtweisen und Ansätze zu präsentieren. In den meisten Fällen haben wir wohl ein ziemlich ausgewogenes Verhältnis zwischen Bildern, Projektionen und Skulpturen. In letzter Zeit gibt es vermehrt auch performative und partizipative Kunst.

Zurück zu den Räumen: War es schwer, einen neuen Platz zu finden für den Kunstkiosk?

Wir hatten Glück, dass das mit dem Konsulat geklappt hat, denn die Alternativen sind rar in St.Gallen, nicht zuletzt, weil die Miete für ein klassisches Ladenlokal viel zu hoch wäre für uns. Wir haben verschiedenes in Betracht gezogen, auch Räume ausserhalb der Innenstadt, beispielsweise das Schulhaus Tschudiwies oder den Bahnhof Bruggen. Sowas kann ja auch ganz spannend sein: in einem durchmischten Quartier zu arbeiten, wo sich Wohnen, Gewerbe und Industrie treffen.

Früher hätten Leute wie ihr sich den Raum vielleicht einfach genommen. Für euch käme eine Besetzung nicht in Frage?

Wir sind alle zwischen 18 und 25 und somit in einer Zeit ohne real existierende Besetzungskultur aufgewachsen, zumindest hier in St.Gallen gibt es keine entsprechenden Vorbilder. Der Gedanke ist zwar reizvoll, aber die Umsetzung wäre wohl eher schwierig. So gesehen halten wir uns lieber an Um- und Zwischennutzungsprojekte wie jetzt im Konsulat oder letztes Jahr im Werkhaus Bruggen. Uns geht es, abgesehen davon, gar nicht um eine Rebellion, sondern vielmehr um das Aufzeigen eines Bedarfs: Wir wollen nicht den Älteren beweisen, dass wir Jungen auch rebellieren können. Wir wollen, wenn schon, zeigen, dass auch aus Leerstand viel Neues entstehen kann.

Das Konsulat wird ja auch abgerissen demnächst und dann müsst ihr wieder eine neue Bliebe finden. Was wäre der Traum?

Der Kunstkiosk entwickelt sich ständig weiter, dasselbe wünschen wir uns auch im Bezug auf die Räumlichkeiten. Am liebsten wären wir in Räumen abseits der Konventionen und eventuell für jede Ausstellung an einem neuen Ort. Der Traum wäre, Ausstellung für Ausstellung neue Räumlichkeiten zu finden und diese zu beleben. Das muss auch gar nicht immer mitten im Zentrum sein. Das Lachen-Quartier zum Beispiel finde ich im Moment sehr spannend, auch St.Fiden hat grosses Potenzial. Das Kursana-Gebäude am Spisertor würde mir auch noch gefallen. Und eben, das Tschudiwies-Schulhaus, das auch bald zwischengenutzt wird. Dort gibt es einen wunderbaren Kohleraum im Keller, in dem wir liebend gerne einmal eine Ausstellung realisieren würden.

Umziehen ist auch immer eine Chance. So ein Tapetenwechsel zwischendurch tut ja in den meisten Fällen ganz gut…

Klar, obwohl wir zufrieden waren in der Rorschacherstrasse, tut es uns unglaublich gut, an einem neuen Ort zu sein. Ich finde es schön, wenn sich Leute weiterentwickeln und nicht sitzenbleiben, weil sie meinen, ihren Stil gefunden zu haben. Das gilt für die Kunst an sich genauso wie für das Umfeld, in dem sie «stattfindet». Was für mich zählt, ist die Neugier, die Freude an der Entwicklung, also gewissermassen die Lust, zu lernen.

Bist du selber auch eine solche Forschernatur?


Ich glaube, wer Kunst macht, muss definitiv einen Willen zur Forschung haben, einen Lernwillen, ein Interesse an der Recherche. Mich interessieren vor allem Arbeiten, die verschiedenste Gebiete miteinander verknüpfen und nicht nur isoliert in der Sparte Kunst gedacht werden. Kunst darf nicht elitär sein, sondern sollte ihren Kern in alltäglichen, relevanten Themen haben. Künstlerische Ansätze kann man ja mit fast allem verknüpfen, zum Beispiel mit Raumplanung, mit chemischen Experimenten oder Physik, mit der Natur, dem digitalen Leben oder der Juristerei. Kunst ist für mich also vor allem ein Weg, mich mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen und verschiedene Aspekte davon zu untersuchen.

Felix Bächli, 1996, hat eine Lehre als Hochbauzeichner gemacht und besucht derzeit den gestalterischen Vorkurs an der Schule für Gestaltung St.Gallen.
Er ist seit letztem Sommer beim Kunstkiosk und eines von 12 Vereinsmitgliedern.
Facebook / Instagram: Kunstkiosk

Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.

 

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