
«Wir wurden in eine Ecke gedrängt. Wenn wir es schaffen, uns da herauszukämpfen, können wir es auch an der Euro schaffen», sagte Nationaltrainerin Pia Sundhage vor dem entscheidenden Nations-League-Spiel gegen Norwegen. Dieses ging 0:1 verloren, und die Schweizer Fussballfrauen sind nur noch B-klassig. Die 65-jährige Schwedin und ihr Team landeten hart auf dem Boden der Realität. Bessere Spielerinnen kann auch die zweifache Olympiasiegerin nicht aus dem Hut zaubern.
Doch vielleicht kann eine andere Schwedin weiterhelfen. Sie ist mutig, selbstbewusst und lustig: Pippi Langstrumpf, das wohl aussergewöhnlichste Kind der Welt, wird in diesem Jahr achtzig. Die freche Göre mit abstehenden Zöpfen ist auch heute noch ein feministisches Vorbild. Pippi hat uns beigebracht, dass Frauen alles können, wenn sie wollen.
Die Geschichte der unangepassten Heldin erschien 1945 zum ersten Mal. Astrid Lindgren hatte Pippi Langstrumpf ursprünglich für ihre kranke Tochter erfunden. Das alleinlebende Mädchen macht den ganzen Tag nur, was ihm gefällt, und erlebt jede Menge Abenteuer. Pippi erhitzt die Gemüter. Generationen von Kindern hat sie mit ihren Superkräften und frechen Sprüchen inspiriert.
Mehr denn je scheint es wichtig, die Welt durch Pippis Augen zu sehen – mit Stärke und dem Mut, Normen zu hinterfragen und sich auf die Seite der Schwachen gegen Tyrannen und Machtmissbrauch zu stellen. Pippi zeigt uns, dass wir immer die Möglichkeit haben, die Welt ein Stück besser und gerechter zu machen. Mit Pippi Langstrumpf hat Astrid Lindgren einen Kontrapunkt zu Krieg und Unterdrückung markiert. Die Kinderbuchautorin wollte mit Pippi eine antiautoritäre Figur schaffen: ein Kind, das Konventionen bricht, aber auch Machtverhältnisse hinterfragt.
Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf – so ihr voller Name – trifft Entscheidungen unabhängig von den Erwachsenen, entwickelt Problemlösungsstrategien und vertraut auf ihre eigenen Fähigkeiten. Weg von der Zeigefingerpädagogik, hin zum freien Menschen. Ganz wichtig ist für Pippi ein fairer Umgang mit anderen: «Wer stark ist, muss auch gut sein», sagt Pippi.
«Less push, more flow», so tönt dies heute bei der Londoner Rapperin und Dichterin Kae Tempest. Die junge Generation braucht auch neue Wortführer:innen. Tempest kennt das harte Pflaster der Gegenwart und spricht die Sprache der heutigen Jugend. 2020 änderte sie ihren Vornamen. Von Kate to Kae. Von sie zu ihnen. «Ich kämpfe schon lange darum, mich so zu akzeptieren, wie ich bin», begann ihre Nachricht an die Fans. Das musikalische und literarische Ausnahmetalent erzählt von Drogen, Verzweiflung und Ungerechtigkeit, aber auch von Selbstsorge, Empathie und Gemeinsinn.
Diese schöpferische Kraft sei auch den Schweizer Fussballerinnen gewünscht – «ruhiger, klarer, näher, geerdeter, verwurzelter, weniger verworren», wie Tempest in More Pressure rappt. Weniger Druck, mehr Kunterbunt.
Der Song zum Text: More Pressure von Kae Tempest
NATHALIE GRAND, 1967, ist freie Journalistin und Projektmitarbeiterin bei der Stiftung Suchthilfe. Sie steht seit über 15 Jahren als Fussballtrainerin auf dem Platz und an der Seitenlinie. Im Herbst 2021 startete sie in St.Gallen ein Projekt zur Förderung des Mädchen- und Frauenfussballs. Seit dem Juniheft 2024 verfasste sie die «Saitenlinie». Monat für Monat hat sie über Frauen, Sport und Gleichstellung geschrieben und die Fehler im System aus verschiedenen Perspektiven kritisch beleuchtet. Mit dem Start der Fussball-EM der Frauen in der Schweiz (mehr dazu im Juli/August-Heft) endet diese Kolumne nun. Wir bedanken uns für die vielen interessanten Einblicke und freuen uns, dass uns Nathalie weiterhin als Autorin erhalten bleibt.
Illustriert wird die Kolumne von LEA LE.