, 11. November 2017
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Lauter Fallen

David Signers Erzählsammlung «Dead End» ist eine Alternative in der oft recht biederen Landschaft schweizerischer Erzählkultur. von Florian Vetsch.

Nach den zwei Romanen Keine Chance in Mori (2007) und Die nackten Inseln (2010) legt der Autor und NZZ-Afrika-Korrespondent David Signer, 1964 in St.Gallen geboren und heute in Dakar zuhause Dead End vor: acht unglaublich spannende Erzählungen, die in Zürich, Berlin, Valencia, im Senegal, in Benares, Marrakesch und an weiteren Schauplätzen spielen.

Den Stories folgen wir in ihren besten Momenten atemlos, ohne zu merken, dass wir schon wieder zig Seiten mehr verschlungen haben. Oft weckt die Erzählung bereits nach wenigen Sätzen unser Interesse, oft bahnt sich ihr Ende allzu abrupt an – was aber nur Lust macht, sie nochmals zu lesen oder in die nächste Story einzutauchen. Souverän und wirklichkeitsgesättigt werden die genannten Endroits bespielt. Schon deshalb lohnt sich die Lektüre von Dead End: Jede Geschichte stösst ein neues Fenster zur Welt auf.

David Signer: Dead End. Erzählungen, lectorbooks 2017, Fr. 31.90.

Immer wieder geht es dabei um die verwirrende Begegnung mit dem Fremden bzw. dem Anderen, um eine Erfahrung, die labyrinthische Tiefen und Abgründe des menschlichen Unbewussten freisetzt; Identitätskrisen, Orientierungsverlust, Sinnentzug sind die Folgen. So sinniert ein Signerscher Anti-Held: «Es gab so viel, das in letzter Zeit an die Oberfläche geschwemmt wurde, nach Jahren der Versenkung. Oft tauchten plötzlich Szenen auf, von denen ich nicht wusste, ob sie passiert waren, ob ich von ihnen gelesen oder sie einst geträumt hatte. Sie ähnelten Fragmenten aus einer hypnotischen Rückführung in ein früheres Leben. Aber jedes Mal, wenn ich sie schärfer ins Auge fassen und packen wollte, entzogen sie sich. Sie existierten nur in der Unschärfe.»

David Signers Erzählungen entwickeln nicht nur Authentizität und Suspense, sondern auch psychologische Tiefe. Im Englischen bedeutet «dead end» ja Sackgasse, was einerseits eine Rolle spielt, anderseits ist es klar, dass in dem Titel auch der Tod mitschwingt, und der erwischt die Protagonisten – lauter weisse Männer, vorwiegend um die 40 Jahre alt – auf dem linken Fuss in unvorhersehbaren Situationen, in die sie sich selbst hineinmanövriert haben. Die Tücke des Objekts, eine falsche Entscheidung, das ungenügende Beachten des Anfangs, heimliche Gier, überspielte Unerfahrenheit – lauter Fallen, in die ein jeder einmal tappen könnte.

Signers Erzählungen schärfen deshalb das kritische Bewusstsein der Leserschaft. Auf lectorbooks.com bietet der Verlag einen zusätzlichen Schlüssel an, einen Soundtrack, der unter anderem Stücke von Leonard Cohen, Enigma, Ravi Shankar, Aretha Franklin oder Bob Dylan auflistet. Auch dank solcher Bezüge stellt David Signers euro-dezentristisches Schreiben eine echte Alternative in der oft recht biederen Landschaft schweizerischer Erzählkultur dar.

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