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«lefzengeiles arschgesicht»
Zwischen Wörtervolten und Erdenschwere: Der Thurgauer Autor und Wortspieler Hans Gysi legt neue Gedichte vor. Am 2. Mai ist in Weinfelden die erste von zwei Buchvernissagen. von Jochen Kelter

Den Thurgauer Autor Hans Gysi begleite ich mehr oder weniger nah seit seinen Anfängen in der Ittinger Schreibwerkstatt seligen Angedenkens. Er hatte es beim Schreiben von Beginn an faustdick hinter den Ohren – diese falsche Metapher würde ihm vermutlich gefallen. Christian Morgenstern, Ernst Jandl oder Eugen Gomringer waren Autoren, an denen er sich orientierte. Den Höhepunkt solch intelligenten Sprachklamauks erreichte er vielleicht in dem Band Zettel und Litaneien aus dem Jahr 2009.
fort nach wummelbüchs
Als Motti-Geber über Gedichten treten im neuen Band mit dem Titel generalprobe auch Mani Matter oder Wilhelm Busch auf, mithin ebenfalls Gesellen, die absurdem Sprachwitz huldigen oder wie Gysi unsere Wirklichkeit und unsere Gewohnheiten kräftig verulken und konterkarieren. Die stärksten Gedichte des Bands sind nach wie vor solche Texte aus Sprachwitz und tieferer Bedeutung:
meine handschelle
die zeit
meine fussschelle
der raum
meine bauchzelle
der schmerz
meine maulschelle
die sprache
Dass er nach wie vor gekonnt mit Absurdem und auch der Auflösung der Sprache in Töne zu hantieren vermag, belegen die im Buch hintereinander gestellten Gedichte goodbye ode, aga khan, mülmürüm, when its tuu leit beiby und schlaflied:
still still still weil die welt nun träumen will
wir ziehen fort nach wummelbüchs
und sprechen dort mit dachs und füchs.
geigerzähler im knopfloch
Als Motti- und Stichwortgeber treten nicht erst in dem neuen Band aber auch Rilke und Goethe auf. So halten Melancholie und Erdenschwere neben verbalen Purzelbäumen und übermütigen Sprachsalti ebenfalls Einzug. Das bekommt den Gedichten nicht immer. Sie lassen den Leser mitunter ratlos, enden nicht wie das Gedicht sommertag im nachvollziehbaren Widerspruch:
pflichtbewusst die sonne geniessen
mit dem geigerzähler im knopfloch.
Sie sind mitunter zu «gesprächig», müssten nach meinem Eindruck komprimiert werden, erreichen nicht durchweg jene Ausgeglichenheit zwischen Feuerwerk und gebremster Melancholie wie die Gedichte galaxien, auf schienen nach innen oder jenes mit dem Titel reiner text, der so endet:
nur blütenweiss und gut
beatmet still
schweigt er.
Dafür entschädigen zwischendurch immer wieder solche furiosen, fast nur Substantive reihenden Wortsalven wie im Gedicht schimpfwörter (mit dem Motto von Mani Matter: «schimpförter sy glückssach»), das mit der Strophe schliesst:
nörgelopa kannenbrunzer
lappermaul du weltverhunzer
lefzengeiles arschgesicht
diese wörter braucht man nicht.
Hans Gysi: Generalprobe, Gedichte, edition 8, Zürich 2015, Fr. 22.-
Mehr zum Autor hier.
Buchvernissagen:
Samsatg, 2. Mai, 20.15 Uhr, Theaterhaus Weinfelden
Donnerstag, 14. Mai, 20.15 Uhr, Eisenwerk Frauenfeld
Titelbild: Hans Gysi bei der Generalprobe im Sogar-Theater. (Bild: Silvia Gysi)