, 19. November 2018
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Legospielen mit der Evolution

Mammutjäger in Sibirien und geklonte Hunde in Südkorea – der Dokumentarfilm «Genesis 2.0» von Christian Frei gibt Einblick in die bizarre, aber reale Welt der «synthetischen Biologie». von Peter Müller

Bilder: Filmstills.

In der Einöde der Neusibirischen Inseln – irgendwo im Niemandsland zwischen Sibirien und dem Nordpol – suchen Mammutjäger Stosszähne der längst ausgestorbenen Tiere. Die Arbeit ist anstrengend und ein Glücksspiel. Niemand weiss, wie viele US-Dollar er am Schluss dieses Tundra-Trips heimbringen wird. Allzu viel ist es in der Regel nicht. Und viele haben ein leicht mulmiges Gefühl. Sie wissen: Diese Arbeit hat etwas «Ungutes» und kann allerlei ungute Geschichten nach sich ziehen, bis hin zum plötzlichen Tod.

Die Mammut-Stosszähne sollten besser in der Erde bleiben. Stattdessen landen sie nun auf dem Markt. Die zweitklassigen werden zu Schmuck oder Souvenirs verarbeitet, aus den erstklassigen werden pompöse Kunstwerke geschnitzt. Ein chinesischer Elfenbeinschnitzer kann durchaus ein Jahr an einem solchen Stück arbeiten, und der Kaufpreis kann gut 1 Million Dollar oder mehr betragen. Beträge, von denen die Mammutjäger nur träumen können.

Evolution im Tiefkühlfach

Christian Freis Dokumentarfilm Genesis 2.0 bietet sehenswerte Einblicke in die Welt dieser Mammutjäger. Auch Skurriles hat da Platz. Einmal setzt ein Mammutjäger einige Knochen eines Tieres passgenau zusammen und meint: «Das ist wie Lego-Spielen». Wirklich spannend wird der Film aber erst durch die Gegenüberstellung mit der Welt der Gentechniker und Klonforscherinnen.

Das Mammut schlägt die Brücke, insbesondere der Mammut-Kadaver, der 2013 im russischen Jakutien gefunden wurde: die Überreste eines 50 bis 60 Jahre alten Wollhaar-Mammut-Weibchens, gestorben vor rund 10’000 Jahren. Die sibirische Kälte legte das Tier gleichsam ins Tiefkühlfach. Beim Ausgraben und Auftauen gerieten die Wissenschaftler in Verzückung: Da gab es sogar Muskelgewebe und flüssiges Blut.

Bietet sich hier nicht die Gelegenheit, mit dem Gedanken der Jurassic Park-Filme ernst zu machen und das längst ausgestorbene Mammut auferstehen zu lassen? Christian Frei geht in seinem Dokumentarfilm dieser Frage nach. Eine klare Antwort gibt er nicht. Zu den grossen Schwierigkeiten gehört, im tiefgefrorenen Mammut eine lebende Zelle zu finden – ohne eine solche funktioniert das Klonen nicht.

 

Doch letztlich ist das nicht von Belang. Viel wichtiger ist die Frage, was die synthetische Biologie kann und wie weit sie es noch bringen wird: die Biologie also, die lebendige Wesen ingenieur-mässig herstellt, die in die DNA des Lebens eingreift und die Evolution beeinflusst. Oder wie es im Film Yang Huanming formuliert, einer der führenden Genforscher Chinas: «God’s word is still imperfect. But if we work together we can make God perfect.»

Lachen oder weinen?

Christian Frei zeigt, was da schon alles im Gang ist, und im Spiel: finanzielle und politische Interessen, Weltbilder und persönliche Interessen, PR und Lobbying – die ganze Palette. Das Mammut-Projekt erscheint als PR-wirksame Geschichte, die Goodwill und Sympathie schaffen soll. Ähnliches gilt für die Verweise, wie wichtig dieses «Engineering» für die Belange von Ernährung, Gesundheit und Medizin ist.

Nächste Vorstellungen:
19., 24. und 28. November, Kinok St.Gallen
kinok.ch

Wie weit ist man mit diesen Klon-Geschichten konkret? Das Beispiel, das Christian Frei am ausführlichsten zeigt, ist das Klonen von Hunden. Ein südkoreanischer Gentechniker erschafft seinen Kunden Klone ihres verstorbenen Lieblings. 100’000 Dollar kostet das Ganze, und als Goody gibts den zweiten Klon gratis. Als Zuschauer weiss man bei diesen Szenen nicht: Soll man lachen oder entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen?

Genesis 2.0 pendelt zwischen diesen zwei Erzählsträngen hin und her und öffnet damit einen interessanten Raum an Bezügen und Assoziationen. Die Welt der Mammutjäger vermittelt zum Beispiel eindringlich etwas von der Schönheit, Rätselhaftigkeit und Abgründigkeit des Phänomens Evolution. In diesem Ozean von Jahrtausenden, ja Jahrmillionen ist unsere eigene Gegenwart nur ein Klacks, ein Wimpernschlag. Was wird in 10’000 Jahren von unserer Gegenwart noch vorhanden sein? Und überschätzt sich die ganze «Wissenschaft 2.0» nicht masslos, wenn sie meint, die Evolution gefahrlos überspringen zu können, mit direkten Eingriffen in die DNA, geplant am Schreibtisch?

Realisiert hat Christian Frei den Film übrigens zusammen mit dem jungen russischen Dokumentarfilmer Maxim Arbugaev. Die Neusibirischen Inseln liegen in militärischem Sperrgebiet und dürfen von keinem Ausländer betreten werden.

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