, 1. Februar 2016
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Leiden und Wahn eines Tuttischweins

Matthias Flückiger verwandelt das kleine St.Galler Theater Parfin de siècle in eine grosse Bühne. Und bietet im Soloklassiker «Der Kontrabass» eine satte Lektion in Instrumentenkunde und Künstlerpsychologie. Daniel Fuchs war an der Premiere.

Flückiger in Aktion (Bilder: Sämi Forrer)

Im Duden Bücher die man kennen muss – Populäre Bestseller ist nachzulesen: «Patrick Süskind, erster Erfolg mit dem Einpersonenstück Der Kontrabass. Der peinlich-amüsante Monolog eines mit sich und seinem Instrument hadernden Musikers über Musik und das eigene Leben. Uraufführung, 1981. In der Spielzeit 1984/85 das meist gespielte Stück im deutschsprachigen Raum. Übersetzt in 28 Sprachen.»

Zeit, also, nach gut dreissig Jahren das Stück einer Revision zu unterziehen.

Kluge Regie

Vorweg lässt sich sagen, dass das Stück dramaturgisch dort am besten ist, wo Süskind mit Elementen des Absurden Theaters arbeitet. Nachträglich ist auszumachen, dass die kluge Regie von Regine Weingart, dank bewusster Striche, dem Stück mehr Stringenz verleiht. Manche Wiederholungen und Biederes, ja Anbiederndes fällt weg.

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In den monologisierenden, hassliebenden Phantasien unseres Kontrabassisten erfährt man einiges über das Instrument, über Grössen, Stimmungen, Saiten und Stege und Schnecken. Über Komponisten, Solisten über die eigene Befindlichkeit und den Wunsch, endlich der Frau des Lebens, einer Mezzosopranistin, die Liebe zu gestehen, und sei dies mit einem Schrei!

Rückschauend will bemerkt sein, dass es heute zum Kanon gehört, dass Mozart auch ein «freches Kind» sein konnte; ebenso sind wir der Mode müde geworden, Wagner immer unter dem Aspekt des Antisemitismus zu beurteilen, und wir wissen auch, dass in den KZ der Nazis Opern komponiert und aufgeführt wurden. (Die argentinischen Militärs liessen übrigens die Gefangenen unter Beschallung von Verdi-Opern stundenlang in der Sonne stehen.). Auch die Erotisierung des Instruments zum weiblichen Körper ist spätestens durch die Fotos von Man Ray bekannt.

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Dennoch gehört die «Walküren»-Szene zu den Höhepunkten der Aufführung und zeigt die sensible, konzentrierte Handschrift der Regie; beispielsweise so: Unser Kontrabassist mausert sich zum GMD, sein Dirigat gerät ihm auf dem Höhepunkt zum Hitlergruss. Oder er wälzt sich unter der Last der drückenden Wagnerklänge – mit der CD (die das Bild des Meisters zeigt) auf dem Rücken – über die Bühne. Grossartig!

Klassik kontra Jazz

Als Klassiker des Repertoires für Solo-Kontrabass gilt das Konzert in E-Dur von Karl Ditters (von Dittersdorf). Neben seiner kompositorischen Tätigkeit amtete dieser auch Forstmeister. Man hört diese Musik hier als das was sie ist: einfach kläglich und grottenschlecht. Das gibt zu denken. Ist es nicht so, dass im Jazz der Kontrabass als Soloinstrument seine eigentliche Würdigung erfährt? Die unsterblichen Soli eines Ron Carter, eines Eberhard Weber oder die unvergleichlichen E-Basslines von Jaco Pastorius, der den Bass ins elektronische Zeitalter geführt hat, seien stellvertretend verzeichnet.

Nächste Vorstellungen: 12., 13. und 14. Februar, alle Termine und Infos hier.

Da phantasiert Einer im schalldichten Raum, will über sich hinauswachsen, dem reinen Klang entgegen, und endet doch wieder als Beamter, als «Tuttischwein» am dritten Pult eines Staatsorchester. Aus mit den Solistenträumen. Er, der sich im klassischen Sinn als ein am Schönen, Guten und Wahren ausgerichteter Künstler empfindet und sich vor nichts so sehr hütet wie vor der freien Anarchie, versinkt in Frustration und Grössenwahn.

Heiss gespielt

Matthias Flückiger, in der Rolle des Kontrabassisten, brilliert. Da spielt sich ein Schauspieler richtig warm, richtig heiss. Dass hinter der Leichtigkeit, mit der Monolog über die ganze Dauer fliessen kann, eine Parforceleistung steht, macht Flückiger völlig vergessen. Als wäre ihm diese Rolle auf den Leib geschrieben. Flückiger trägt den Stoff lebendig, mit wenigen Gesten, ins Publikum. Eine Flückiger-Rolle und eine starke und mitreissende Aufführung – das Premierenpublikum dankte ihm, dem Kontrabassisten (und dem Kontrabass) sowie der Regisseurin mit frenetischem Applaus.

Unbedingt hingehen!

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