, 10. September 2021
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Leinen los!

Der Dachstock ein Schiffsrumpf, die Dielen knarzende Planken, die Fenster ein Ausguck – die Propstei St.Peterzell sticht in See. Die diesjährige Ausstellung behandelt ein altes Thema: die Sehnsucht nach dem Meer. Am Sonntag geht die Reise zum Nullpunkt der Erde.

Thomas Stüssis gestrandetes Boot in der Propstei. (Bilder: Johannes Stieger)

«Sonne, Meer und Sterne – Von Toggenburger Matrosen und Brandungsgeräuschen in den Alpen» nimmt die Reisenden, denn eigens angereist sind wohl die meisten Gäste dieser Ausstellung, mit aufs grosse Wasser. Auf den Spuren Toggenburger Seefahrer geht es in der Propstei hinaus in die weite Welt, die mitunter erstaunlich klein ist.

Seesack und Weltkarte

Wochenlang spielen sich für Seeleute Leben und Arbeit auf und unter Deck ab. «Schaffe, esse, suufe», fasst es Erich Näf zusammen. Von 1981 bis 1983 fuhr er als Seemann Häfen auf der ganzen Welt an. Freilich nicht auf hölzernen Planken und unter Segel, aber abenteuerlich klingen seine Berichte in den Ohren von Landratten trotzdem. Zu hören sind sie in Interviewform in der Ausstellung.

Anschaulich erzählt Näf über das Leben an Bord, über Arbeitsbedingungen, Landgänge, Exzesse und die Mannschaft. Persönliche Gegenstände wie Seesack, Weltkarte und Nähzeug ergänzen den anekdotischen Zugang zum Matrosenleben.

Sehr gelungen ist auch die Präsentation der Fotografien von Bruno Näf, Bruder von Erich, auch er fuhr zur See: Aufnahmen von ihm können in der Ausstellung in die Hand genommen werden – in Zeiten omnipräsenter Digitalfotografie ein ebenso sinnliches wie nachhaltiges Erlebnis und ein Zeugnis eines grossen persönlichen Aufbruchs.

Daneben gibt es individuelle Berichte anderer Seeleute, aber auch Bekanntes und weniger Bekanntes über den grossen Kontext. Publikationen liegen aus zu Themen wie dem Sklavenhandel, der überaus eng mit der Seefahrt verknüpft ist, zum Mittelmeer als Flüchtlingsroute oder zur grossen Sehnsucht der Schweiz nach einem direkten Seezugang. So waren Ansätze für einen Transhelvetischen Kanal bereits im 17. Jahrhundert gebaut und weiterführende Pläne recht weit gediehen. Sie versandeten nicht zuletzt durch den Ausbau der Transitstrassen, wurden aber erst 2006 endgültig begraben.

Bücher, Objekte und Begleitinformationen werden auf eigens gebauten Holzregalen präsentiert. Maritimes Ambiente klingt ebenso zurückhaltend wie poetisch an, etwa wenn der Maserung des Holzes eine grüne Lasur wellenförmig antwortet.

Von einem, der nie ankam

Zwiegespräche gibt es auch zwischen den dokumentarischen und den künstlerischen Ausstellungsteilen. Letztere illustrieren nicht einfach das Thema, sondern sind assoziativ gesetzt, öffnen den Gedankenraum und ermöglichen neue Sichtweisen.

Monika Sennhausers Spiegel.

Monika Sennhauser hat beispielsweise eine präzise Installation eigens für den Dachraum entwickelt. An hauchdünnen Schnüren hängen rechteckige Spiegel horizontal im Raum. Wie Fenster öffnen sie Blicke in die hölzerne Dachkonstruktion. Der Dachstock scheint unterhalb der reflektierenden Oberflächen zu liegen und wird durch das leichte Schwingen der Spiegel zum schaukelnden Schiffsrumpf.

Die St.Galler Künstlerin setzt sich seit langem mit den Horizonten und Sonnenbahnen auseinander. Auch zwei ihrer umfangreichen Videorecherchen sind in der Ausstellung zu sehen.

«Sonne, Meer und Sterne – Von Toggenburger Matrosen und Brandungsgeräuschen in den Alpen»: bis 19. September

12. September, 14 Uhr: Vortrag «Gegen Null – Eine Expedition zum geografischen Nullpunkt der Erde». 16 Uhr: Filmvorführung Blue My Mind

ereignisse-propstei.ch

Wasser hat keine Balken und vielen ist das Meer schon zum Verhängnis geworden. Der in Teufen lebende Künstler Thomas Stüssi erinnert mit seiner Installation an den holländischen Künstler Bas Jan Ader, der 1975 mit einem kleinen Segelboot den Atlantik überqueren wollte, aber niemals ankam: Stüssi baute einen Sperrholzkörper und legte einen Mantel aus Salz darum. Letzterer ist teilweise abgefallen, zerbrochen wie nach einer unsanften Landung.

Damit bezieht sich Stüssi zugleich auf Astronautenkapseln, die in den 1960ern und 1970ern auf abenteuerliche Weise getestet wurden. Auch die Reise durch die Luft erwies sich dabei mitunter als verhängnisvoll.

Installation von Laura und Joana Locher.

Aber auch die Tiefe hat es in sich, lauern doch dort die unbekannten Wesen. Zumindest beherrschten sie lange Zeit die Vorstellungen vom Meer. Nicht Riesenkraken, Monsterfischen oder Klabautermännern errichtete Blue My Mind ein filmisches Denkmal, sondern einer Meerjungfrau. In der Propstei sind die Zeichnungen der Kostümdesignerin Laura Locher für diesen Film zu sehen.

Zudem hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester Joana die Installation Horizont sieben für die Ausstellung entworfen: Wer möchte, wird dank ihr zur Galionsfigur, um die durchs Toggenburg segelnde Propstei vor Unglück zu bewahren.

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