, 9. September 2016
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Wahlen I: Letzte Hoffnung Stadt St.Gallen

Der Wahlkampf in der Stadt St.Gallen verläuft eher ereignislos. Die Brisanz liegt im Verhältnis zum Kanton. Und gerade darum heisst es: wählen!

Der Kantonsratssaal, Ort der Blockaden.

Natürlich kann man den Wahlkampf in der Stadt St.Gallen flau finden.

Aber es gibt ein paar bemerkenswerte Eigenheiten: So muss nicht wie sonst fast überall über Kopftücher, Burkas  oder den Zwang zum Händeschütteln diskutiert werden. Und niemand behauptet, die Stadt sei zu wenig sicher oder sauber.

Die Anwürfe, Sozialmissbrauch zu begünstigen, kommen aus Rorschach, nicht aus der Stadt.

Wenn stattdessen Themen aus den 80er-Jahren neu lanciert werden und CVP, FDP und SVP mit einer Art Autopartei-Gedächtnis-Initiative mehr Platz für den motorisierten Individualverkehr in der Innenstadt fordern, dann ist das vielleicht absurd, aber vergleichsweise harmlos.

Man könnte deshalb in der Stadtpolitik quer durch die politischen Lager eine mittlere Zufriedenheit konstatieren – und die Dringlichkeit vermissen.

Geht es überhaupt um etwas?

Die Antwort findet sich weniger in der politischen Situation innerhalb der Stadt St.Gallen als im Verhältnis zum Kanton. Am 25. September geht es deshalb vielleicht nicht unbedingt um die Frage, welche Visionen für die grösste Stadt im Bodenseeraum existieren – sondern darum, ob es  im rechtsbürgerlichen Kanton überhaupt Entwicklungsmöglichkeiten gibt.

Der 2011 in der NZZ formulierte Satz, «der Kanton St.Gallen erspart sich seine Zukunft» ist weiterhin eine exakte Beschreibung der Politik der rechtsbürgerlichen Mehrheit im Kantonsrat, seit den Wahlen im Februar ausgeprägter denn je. Inzwischen sind die Strategen von FDP und SVP mit Hilfe der CVP dazu übergangen, ihre Macht konsequent auszuspielen. Das zeigte sich exemplarisch bei der Budgetberatung im letzten November, als es eine Absprache gab, keine der beantragten Stellen zu bewilligen. So wurden selbst Personalaufstockungen abgelehnt, die vom Bund finanziert worden wären.

Die Mehrheitsverhältnisse sind mehr als zementiert: Entscheidende Abstimmungen enden stereotyp im Verhältnis von 80 gegen 30 Stimmen. Allianzen zwischen der links-grünen Fraktion und dem sozialen Flügel der CVP, die früher ab und zu möglich waren, gibt es praktisch keine mehr. SP und Grüne können keine eigenen politischen Ziele mehr verfolgen. Ihnen bleibt nur, den Kurs der bürgerlichen Regierung zu stützen, aber auch damit unterliegen sie in Abstimmungen regelmässig.

Im Gegensatz dazu heisst es, Bahn frei für die rechtsbürgerliche Politik. Der Fahrplan der nächsten Jahre zeichnet sich bereits ab: Zuerst kommt die Unternehmenssteuerreform, dann folgen neue Sparpakete. Sie werden weitere Einschnitte im sozialen Netz bringen, Kürzungen bei der Bildung, beim Personal, weitere Reduktionen der Kulturbudgets.

Hoffnung ist nicht in Sicht. Eine markante Verschiebung der Machtverhältnisse im Kantonsrat wäre ein Generationenprojekt.

Hoffnung auf die Städte

Wie sich die Ausgangslage trotzdem verbessern könnte, zeigten zuletzt die Ständerats- und Regierungswahlen sowie diverse Abstimmungen: In der Stadt St.Gallen, aber auch in anderen urbanen Zentren im Fürstenland, in Rapperswil-Jona wird oft anders gewählt, anders abgestimmt als im Rest des Kantons.

Damit zeichnet sich ein möglicher Weg für eine fortschrittlichere Politik im Randkanton ab: Die Städte, allen voran St.Gallen, müssen als wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zentren ihren Einfluss vergrössern, selbstbewusster auftreten und so zu einem bedeutenderen Machtfaktor innerhalb der kantonalen Politik werden.

Die Wahl heisst: Rückschritt oder Fortschritt, Resignation oder Aufbegehren.

Es geht dabei ganz konkret um die Höhe von Sozialleistungen, um Gelder für das Kunstmuseum, um den weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs, um eine definitive Bibliothek, um neue Ausbildungen im kreativen Bereich, um mehr Gelder für die Integration von Flüchtlingen, um höhere Stipendien statt Darlehen, um Klanghaus statt Heididorf, Velowege statt Stadtautobahnen.

Gefragt sind Lärm, Druck, öffentliche Debatten.

Und immer wieder auch Symbolpolitik. Da wirkt es sich allerdings fatal aus, wenn wie in der letzten Februarsession im Kantonsrat FDP und SVP eine faktische Plafonierung der Kulturausgaben für die Jahre 2017 bis 2019 durchsetzen wollen – ­und der Stadtpräsident und Kulturchef Thomas Scheitlin im Rat sitzt und dazu keinen Ton sagt.

Vollständigkeitshalber muss man ergänzen, dass sich Nino Cozzio – Direktion Soziales und Sicherheit – für die Kulturinstitutionen der Stadt (Lokremise, Stiftsbibliothek, Theater) mit einem Votum wehrte und Scheitlin immerhin dagegen stimmte. Die Plafonierung wurde übrigens mit 65 gegen 50 Stimmen beschlossen.

Um den Kreis zu den anstehenden Wahlen in der Stadt St.Gallen zu schliessen:

Am 25. September müssen diejenigen Kräfte gestärkt werden, die einen Gegenpol zur rechtsbürgerlichen Dominanz im Kanton bilden. Es braucht selbstbewusste und lautstarke Vertreterinnen und Vertreter der Stadt. Sie müssen nicht nur St.Gallen verändern – sondern gleich den ganzen Kanton.

 

1 Kommentar zu Wahlen I: Letzte Hoffnung Stadt St.Gallen

  • Jedes Wort stimmt. Es schnürt mir grad wieder die Luft ab, wenn ich an meine nicht lange zurückliegende Zeit im KR zurückdenke. Eine tolle Analyse; jedeR linke StadtparlamentarierIn und Stadtpartei muss sie sich vor Augen halten und sich nicht in der städtischen Beschaulichkeit zurücklehnen; es genügt nicht, wenn Herr Scheitlins gerngesehenen Besuche bei Hundertjährigen wohlwollend im Tagblatt erwähnt werden und Frau Adam den Charme partizipativer Prozesse entdeckt. Vielen Dank, Andreas Kneubühler, für die aufrüttelnden Worte!

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