, 6. April 2022
keine Kommentare

Lokaljournalismus neu denken

In Konstanz wird ein neues Onlinemedium lanciert. Die Initiant:innen von «karla» haben sich einiges vorgenommen und wollen den gemeinnützigen Lokaljournalismus am Bodensee etablieren.

Wollen mit dem «Projekt K» neuen Journalismus nach Konstanz bringen (von links): Thomas Buck, Birgit Niederhafner, Moritz Schneider, Michael Lünstroth, Anna Kulp, Peter Magulski, Nik Volz und Saskia Baumgartner. (Bild: pd)

2020 war Wahlkampf in Konstanz. CDU-Mann Uli Burchardt trat nach achtjähriger Amtszeit erneut als Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters an. Sein stärkster Herausforderer war der links-grüne Kandidat Luigi Pantisano. Nach dem ersten Wahlgang lag Pantisano noch in Führung. Die Überraschung schien perfekt. Doch im zweiten Wahlgang holte Burchardt auf, liess seinen Widersacher um vier Prozentpunkte hinter sich und durfte sein Amt behalten.

Nebst den Parteien, die Burchardt unterstützten, habe vor allem auch die Berichterstattung des Konstanzer Monopolblatts «Südkurier» zu seinem Sieg beigetragen. Das fanden damals zumindest einige kritische Geister in der Grenzstadt am Bodensee. Einer davon ist Michael Lünstroth, Chefredaktor bei thurgaukultur.ch, der damals auch für «Saiten» pointiert über die Konstanzer Wahlen berichtete.

Ein paar Monate später fand sich eine achtköpfige Gruppe zum «Projekt K» zusammen – darunter auch Lünstroth. Ihr Ziel: mehr Medienvielfalt für Konstanz und das Weiterdenken des digitalen Lokaljournalismus. Sie entwickelte ein Konzept und gründete eine gemeinnützige Gesellschaft. Früh war klar: Man will sich nicht als Oppositionsmedium zum «Südkurier» oder zum Oberbürgermeisteramt positionieren. Vielmehr sollen die alten Gräben überwunden werden.

Von der Teilnahme zur Teilhabe

Nach etwas über einem Jahr ist die Idee nun reif für den Markttest und der Name steht fest: «karla». Karla, die Freie. Unabhängigkeit ist den Macher:innen wichtig. Ab Sommer 2022 soll somit ein abopflichtiges, werbefreies Onlinemedium für Konstanz erscheinen, das sich mit Themen befasst, «die die Stadt bewegen», wie Michael Lünstroth es formuliert. Das wird sicherlich Politisches sein, aber auch gesellschaftliche, kulturelle und ökologische Themen sollen ihren Platz haben.

Der definitive Name des lokaljournalistischen Magazins wird erst im Verlauf des Monats kommuniziert. Eine gedruckte Ausgabe wird es nicht geben, aus Kosten- wie aus Vermittlungsgründen. Nicht nur Texte mit Bildern, auch Podcasts, Videos und multimediale Inhalte sind vorgesehen. Der Serviceteil inklusive Veranstaltungskalender wird wohl gratis zur Verfügung stehen, der wertige Journalismus bleibt hinter der Pay Wall.

Hinzu kommt eine breite Palette an Veranstaltungen: Vor-Ort- Gespräche zu Themen der Stadtentwicklung, Podien, aber auch Werkstatt-Gespräche in Sachen Medienkompetenz, Journalismus und Recherchemethodik sind angedacht. Student:innen der Uni Konstanz werden hier künftig ECTS-Punkte sammeln und Redaktionspraktika absolvieren können. Ein entsprechendes Abkommen ist bereits vereinbart. Und das Publikum wird eingeladen, sich aktiv in Themen und Recherchen einzubringen, gecoacht durch die Redaktion.

«Demokratieförderung», «Partizipation» und «von der Teilnahme zur Teilhabe» sind Stichwörter, die im Gespräch fallen. Mit dem «gemeinnützigen Journalismus», der auch im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Regierung erwähnt ist, versteht man sich als Teil einer Bewegung. Ein spannender Ansatz in Zeiten sinkender Werbeerträge und um sich greifender Politik- und Medienverdrossenheit. Während die Schweiz eine verstärkte Medienförderung ablehnt – zugegeben, die Abstimmungsvorlage war letztlich ein wenig überzeugender Kompromiss –, denkt die deutsche Bundesregierung über die Förderung von gemeinnützigem Journalismus nach. «Gemeinnützigkeit» – hierzulande ein selten benutzter Begriff, wenn nicht grad nach einer eleganten Möglichkeit zum Steuersparen gesucht wird.

Da hat man sich also einiges vorgenommen in Konstanz. Wie finanziert sich das Ganze? Anna Kulp, Leiterin des Internationalen Literaturfestivals Leukerbad und eine von drei Geschäftsleiterinnen der neu gegründeten gGmbH, erklärt: «Vorher wusste ich gar nicht, dass es diese Geschäftsform überhaupt gibt, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Wir hatten zunächst eine andere Organisationform im Auge. Wir lernen im Prozess ständig dazu.» Zunächst werde man sich über Förderbeiträge und ein Crowdfunding, das diesen Monat startet, finanzieren. Ist das Crowdfunding erfolgreich, stehen weitere Förderbeiträge in Aussicht.

Das Soli-Abo gibts während des Crowdfundings für 4 Euro im Monat, regulär kostet es 8 Euro, auch Gönner:innenabos für 12 oder 20 Euro wird es geben. Die Jahresabos, die später verkauft werden, werden leicht teurer sein. Ein erstes Ziel ist der Verkauf von 700 Abos durchs Crowdfunding. Bis Ende Jahr sollen es 1000 sein. «Wichtig ist uns, dass die Leute, die wir dereinst einstellen wollen, sich nicht selbst ausbeuten und wir ein halbwegs anständiges Gehalt bezahlen können», sagt Kulp.

Kein Anti-«Südkurier»

Schon heute verfügt das «karla» über ein breites Netzwerk an freien Schreiber:innen. Lünstroth wird Chefredaktor im Teilpensum, bei thurgaukultur.ch wird er deswegen in absehbarer Zeit aber nicht kürzertreten. «Ideal wäre, wenn wir insgesamt mit einem Redaktionspensum von 200 Prozent starten könnten, das auch auf drei oder vier Personen verteilt sein kann», sagt Kulp. «Damit tragen wir den heutigen Lebensrealitäten Rechnung. Die meisten von uns Gesellschafter:innen kennen das und arbeiten selber in verschiedenen Teilpensen.»

«Der Lokaljournalismus steckt in der Krise», sagt Michael Lünstroth. «Relevante Themen verfangen nicht mehr so gut.» Andere, neue Wege der Vermittlung müssten gefunden werden, um gerade auch beim jüngeren Publikum wieder ein grösseres Interesse an politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu wecken. Orientiert hat man sich etwa am «Rums» in Münster, das vor allem auf gut recherchierte Newsletter setzt, oder am «Relevanzreporter» aus Nürnberg – also an Projekten in mittelgrossen Städten, wo der potenzielle Abonnent:innenstamm nicht einfach gegeben ist wie in den Metropolen. «Aber ‹karla› muss vor allem hier vor Ort funktionieren», so Lünstroth. Darum wird man eigene Wege suchen.

Gegenöffentlichkeit ist nicht das Ziel. Ein Anti-«Südkurier» ist «karla» nur schon deshalb nicht, weil nicht tagesaktuell berichtet wird, sondern der Fokus auf Recherchen und Hintergründen liegt. Politisch wird man wohl ein paar Grundwerte vertreten, die man als «links» apostrophieren könnte, aber ein linkspolitisches Blatt wird es definitiv nicht. Der Fächer soll breit sein. Lünstroth dazu: «Wir werden einen konstruktiven Ansatz verfolgen und versuchen, einen frischen Blick auch auf alte, konfliktbehaftete Themen wie Stadtentwicklung, Einkaufstourismus oder die Klimadebatte zu werfen.»

Hier Newsletter von «karla» abonnieren: karla-konstanz.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!