, 30. Mai 2022
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Lyrik lohnt sich

Volle Säle, grosser Andrang: Gestern sind die 44. Solothurner Literaturtage zu Ende gegangen. Hier ein flüchtiges Streiflicht auf das Festival: Schlange stand man in Solothurn auch für eine Debatte mit dem Titel «Achtung, Lyrik!» Von Gabriele Barbey

Diese Szene an den Solothurner Literaturtagen 2022 prägt sich ein: Für das Podiumsgespräch «Achtung Lyrik!» bildet sich eine lange Publikumsschlange, das nostalgisch-hübsche Stadttheater füllt sich schnell. So geht es im Solothurn der Nach-Coronazeit überhaupt zu und her: «Volle Säle und mehr als 140 teils ausverkaufte Veranstaltungen» meldet das Schlusscommuniqué des Festivals; nach zwei Jahren sei den Literaturtagen «ein fulminantes, vielstimmiges und farbiges Comeback» gelungen.

Schlange stehen für Literatur. (Bild: pd)

Bei «Achtung Lyrik!» ist der Andrang besonders auffällig, weil hier nicht etwa Gedichte gelesen, präsentiert oder performt werden. Nein, man redet «nur» darüber, angeregt von Manfred Papst, Journalist und Moderator.

Dieser betont mehrfach, ja überdeutlich, dass es hier nicht um Lyrik der naiven Art gehe. Sondern um ausgeklügelte, solche mit Konzepten – falls dies jemand im Publikum bezweifeln würde oder gar konservativ und ewiggestrig an Reime denkt.

Einen Reim, so Simone Lappert lachend, lasse sie sich nur sehr ausnahmsweise durchgehen, und auch Rolf Hermann gestattet sich ihn nur ganz, ganz selten. Auffällig, diese Distanzierung zu Altem, auch die Angst vielleicht, als Lyriker:in in die Schublade von konzeptloser, ja unintellektueller Gefühlsduselei gesteckt zu werden? (Wetten, dass Tage kommen, wo Reimen subversiv wird…)

Auf der Bühne sitzen neben Moderator Papst also Simone Lappert (geboren 1985), bisher vor allem als Romanautorin bekannt. Dann Rolf Hermann (1973), der Walliser aus Leuk, der sich mit späten, französisch geschriebenen und im Wallis entstandenen Gedichten von Rilke auseinandergesetzt hat – durch den Fleischwolf gedreht, nennt es Moderator Papst zugespitzt und provokant. Und Eva Maria Leuenberger (1991), deren Stoff Leben und Tod der Avantgardekünstlerin Theresa Hak Kyung Cha ist. Die koreanisch-stämmige Cha war 1982 mit 31 Jahren in New York vergewaltigt und ermordet worden.

Solothurner Literaturtage im Netz: literatur.ch

Es ist offensichtlich, dass Stoffe und Vorgehensweisen kaum vergleichbar sind, auch nicht die Inhalte. Aber eines zeigt sich deutlich: Alle drei Podiumsteilnehmenden locken das Publikum mit prägnanten, griffigen Statements, klug als Köder gedacht.

Hier ein paar Beispiele:

Rolf Hermann, auf die Frage, wie er arbeite, sagt es gmögig: «Mein Herz ist ein grosses Hotel. Ich gärtnere in verschiedenen Beeten, so spriesst immer irgendwo etwas.» Gerne macht er literarische Querverweise (abgesehen von Rilke), etwa auf Manuel Stahlberger.

Eva Maria Leuenberger auf die Frage, ob Lyriker:innen während der Arbeit an ein konkretes Publikum denken, nach reiflichem Überlegen: «Nein, am Anfang muss man ins Nichts schreiben.»

Simone Lappert formuliert es so: «Ich schreibe mit den Ohren.» Zurzeit ist sie unterwegs mit ihrer Spoken-Poetry-Performance, zusammen mit der E-Bassistin Martina Berther. Man darf gespannt sein auf den bevorstehenden Auftritt mit längst fällige verwilderung, so der Titel ihres jüngsten Gedichtbands – im Keller der Rose in St.Gallen am Mittwoch, 8. Juni um 19.30 Uhr.

Volle Treppe vor der neu und perfekt platzierten Aussenbühne: Anna Rosenwasser moderiert die Kurzlesung von Romanautor Catalin Dorian Florescu. (Bild: Gabriele Barbey)

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