, 7. Juli 2022
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«Mächtiger Verkehrsknoten»

Kanton und Stadt St.Gallen haben die Testplanung für das Güterbahnhof-Areal abgeschlossen. Der Schlussbericht macht klar: Es gibt noch viele ungelöste Probleme, vor allem mit dem Autobahnanschluss. Die Reaktionen von links fallen entsprechend harsch aus.

So könnte es in 20 Jahren am St.Galler Güterbahnhof aussehen: Modell der Testplanung von Andy Senn. (Bilder: pd)

Wie könnte das Güterbahnhof-Areal im Jahr 2040 aussehen? Welche Nutzungen sind denkbar? Wie können die Arealentwicklung und der neue Autobahnanschluss bestmöglich aufeinander abgestimmt werden? Dies waren die Fragen, die die nun abgeschlossene Testplanung untersuchen wollte.

Vier Teams machten sich an die Aufgabe. Das Beurteilungsgremium gab schon anlässlich des letzten «Sounding Boards» im Mai bekannt, dass es die Vorschläge des St.Galler Architekturbüros Andy Senn als die besten beurteile.

Vielspurig in die Stadt

Der Schlussbericht zeigt nun aber, dass selbst dieser Vorschlag eines lokalen Büros, dem die Stadtentwicklung am Herzen liegt, nicht frei von Problemen ist. Die grösste Krux: der Autobahnanschluss an den unterirdischen Kreisel. Das Beurteilungsgremium schreibt von einem «mächtigen Verkehrsknoten» an der St. Leonhardbrücke. «Dieses sechsspurige Verkehrsbauwerk wäre aufgrund seiner Dimensionierung dominierend, selbst wenn der Portalbau konzeptionell und gestalterisch gut gelöst werden könnte.»

Der Knoten: in der Mitte Ein- und Ausfahrt zur Autobahn, oben die Leonhardsbrücke, von unten die Geltenwilenstrasse. (Bilder: pd)

Die Rede ist von einer ziemlich steilen Rampe – der Plan zeigt allerdings nur fünf Spuren. Damit sie Platz haben, muss das Restaurant «Gartenhaus» und das dahinter am Bahngleis stehende Haus Geltenwilenstrasse 4 zuerst vom Kanton oder der Stadt erworben und dann abgebrochen werden. Auch das denkmalgeschützte Transformatorenhäuschen neben der Brücke wäre tangiert: Seine aktuell fünf Achsen müssten auf drei Achsen zurückgebaut werden – was der ursprünglichen Grösse entspricht. Wie weit damit der Ortsbildschutz tangiert wird, sei noch genauer zu prüfen.

Die Verbindung zwischen dem unterirdischen Kreisel – er soll stadtauswärts der neuen Haltestelle Güterbahnhof der Appenzeller Bahnen zu liegen kommen – und der Aus-Einfahrt ist ebenfalls unterirdisch geplant, teils unter der Güterbahnhofstrasse, das denkmalgeschützte Expeditionsgebäude unterquerend, bis vor die St. Leonhardsbrücke. Die Brücke selbst müsste auf sechs Spuren verbreitert werden, um den Verkehr zu bewältigen.

Ob dieser Plan stadtverträglich ist, bezweifelt selbst das Beurteilungsgremium, mindestens wenn man zwischen den Zeilen liest. Die Rede ist von einer aus «städtebaulicher Sicht anspruchsvollen» Lösung. Das grosse Bauwerk würde das Stadtbild massgeblich prägen und wirke «unwirtlich». Der Fuss- und Veloverkehr sowie der öffentliche Verkehr würden an dieser Stelle benachteiligt, die Fussgängerverbindung zum Stadtzentrum fast gekappt, was den Zielen des Mobilitätskonzeptes 2040 zuwiderlaufe.

Doch das Gremium kann den Zubringer nicht grundsätzlich in Frage stellen, denn er ist der Auslöser für die Planungen. Er führe im Jahr 2040 gegenüber der Situation ohne Zubringer zu einer wesentlichen Entlastung des städtischen Verkehrsnetzes, steht im Schlussbericht. Aber: «Die Verkehrsbelastungen im Stadtnetz werden in gewissen Abschnitten – insbesondere im Anschlussbereich – auch mit dem Zubringer über dem heutigen Niveau liegen.»

Chancen für die Arealentwicklung

Bei allen Zweifeln an diesem Verkehrsbauwerk empfiehlt das Beurteilungsgremium die Variante mit der Tunnelausfahrt neben den SBB-Gleisen, denn diese bringe für die Arealentwicklung die meisten Vorteile. Bebauung und Autobahnanschluss können – mindestens theoretisch – unabhängig voneinander realisiert werden. Oder in den vorsichtigen Worten des Schlussberichts: «Mit einem optimierten Bauablauf mit entsprechender Baumethode für die Verbindung zwischen dem unterirdischen Kreisel und dem Knoten St. Leonhard könnte eine weitestgehend unabhängige Entwicklung zwischen Zubringer und zukünftiger Arealbebauung gelingen.»

Das Beurteilungsgremium rät jedenfalls dazu, mindestens einen Teil des Areals vor der Fertigstellung des neuen Autobahnanschlusses – er ist um das Jahr 2040 geplant – zu überbauen. Dafür erarbeiten Kanton und Stadt in einem nächsten Schritt den Bauablauf und die Baumethode.

Alle Vorschläge haben das denkmalgeschützte Güterexpeditionsgebäude erhalten. Im konkreten Vorschlag würde darunter allerdings der Autobahnzubringer gebaut werden, obwohl man Denkmäler grundsätzlich nicht unterbauen sollte, denn das berge auch ein gewisses Risiko, wie das Beurteilungsgremium festhält. Die technische Machbarkeit und die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Variante bedürften deshalb einer vertieften Prüfung.

Das gesamte Areal im Entwurf – ganz links der unterirdische Kreisel, rechts der Knoten St.Leonhard.

Der Vorschlag des Teams von Andy Senn schaffe innerhalb des Areals Platz für den Fuss- und Veloverkehr und ermögliche eine attraktive Bebauung mit Aufenthaltsmöglichkeiten, unter anderem mit öffentlichen Plätzen. Teil des Projekts ist auch die Zyli-Passerelle über die Gleise in Nord-Süd-Richtung. Sie ist seit 1899 geplant, wurde aber bisher nie gebaut.

Die vorgeschlagene Überbauung – allenfalls mit einem Hochhaus bei der Haltestelle Güterbahnhof – gibt sich zugunsten eines lebenswerten Quartiers mit grosszügigem Grünraum mit einer weniger hohen Ausnützung zufrieden als die anderen drei Projekte. Ob die vorgeschlagenen, parallel zum Hang stehenden Gebäude aber so stehen sollen, stellt das Beurteilungsgremium in Frage, denn das verhindert die Luftzirkulation am Hang – ein aus Klimasicht heute wichtiges Kriterium.

Insgesamt sind Massnahmen zur Hitzeminderung durch Begrünungen vorgesehen. Über dem unterirdischen Kreisel soll eine Ruderalfläche entstehen, denn dort drauf zu bauen würde eine aufwendige Brückenkonstruktion nötig machen. Damit nicht wegen der unmittelbaren Nähe des Autobahnanschlusses ein Druck durch «autoaffine» Nutzungen auf das Areal entstehe (z.B. Tankstellen, Garagen), brauche es einen Sondernutzungsplan – ein solcher existiert bisher nicht.

Der Ball liegt jetzt bei der Politik

Trotz der kritischen Bemerkungen stellt das Beurteilungsgremium als Fazit fest, es sei nicht Ziel der Testplanung gewesen, zu beurteilen, ob ein Autobahnanschluss siedlungs- und verkehrsverträglich ist oder nicht, sondern wie der vorgegebene ost- und westseitige Anschluss am besten integriert werden könne.

«Dennoch muss man sich bei den weiteren Schritten der städtebaulichen Problematik des Anschlusses im Innenstadtbereich bewusst sein. Die Diskussion über die übergeordneten verkehrlichen und städtebaulichen Rahmenbedingungen und die Verantwortung für deren Beurteilung wird in einem nächsten Schritt bei der Politik und der Bevölkerung liegen.»

Kritische Reaktionen

Erste Reaktionen der Politik lassen erneute Auseinandersetzungen erwarten. «Der Schlussbericht zur Testplanung Güterbahnhof legt die Probleme im Zusammenhang mit dem geplanten Autobahnanschluss in der St.Galler Innenstadt gnadenlos offen», kommentierte die SP. Die Ergebnisse würden von Kanton und Stadt mit «abenteuerlichen Argumenten» schöngeredet.

Die Grünliberalen loben die überzeugende Arealplanung, zu der auch die Erhaltung des Güterbahnhof-Gebäudes gehört – und gehen mit der «schlechten Verkehrslösung» umso härter ins Gericht. Diese belaste die angrenzenden Innenstadt-Quartiere, biete keine Lösung für den Verkehr aus dem Appenzellerland Richtung Osten, und behindere den Langsamverkehr. «Auf den Bau des Zubringers Güterbahnhof-Liebegg ist zu verzichten», schreiben die Grünliberalen.

 

1 Kommentar zu «Mächtiger Verkehrsknoten»

  • Man könnte meinen, dass wir alle auch in den nächsten Jahren andere Probleme lösen sollten. Viel gravierendere.
    Und darum nicht noch mehr Energie in Strassenverbreitungen investieren, sondern doch eher schauen, dass auch unser lokales Energiegleichgewicht in die Balance kommt.
    Jeder Kubik Beton, jede Tonne Stahl in diese Art Bauten ist heute einfach „fehlalloziert“, wie man so schön sagt.

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