, 8. Juli 2014
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Männer und Dancefloors im Bergdorf

Der Dokumentarfilm «A Little Mountain Village» wurde im Palace gezeigt, dazu zwei Diskussionsbeiträge: Barbara Affolter vermisst die Frauen in der Kulturstadt St.Gallen, Johannes Stieger die Visionen.

Barbara Affolter: Da gingen die Frauen vergessen

Wer eignet sich kulturelle Räume an? Wer ist kulturell tätig? «A Little Mountain Village» hinterlässt das Gefühl: In St.Gallen ist das Männersache.

Während des Films entwickelt sich ein unbehagliches Gefühl, nach dem Film bin ich sogar verärgert. Flackert tatsächlich das Wort «Mackertum» in meinem Kopf auf – nein, das kann, das darf nicht sein – das Wort verschwindet, aber das Gefühl, das bleibt. Warum?

Die Doku startet mit einem Rückblick in die 80er. Zwei Grabenhalle-Mitbegründer erzählen von der Eroberung von Freiräumen und den damaligen Kulturanlässen. Spannend, politisch, brachial. Dann Wolfgang Steigers Akzent: «Und etwas möchte ich noch sagen: Es sieht jetzt ein bisschen einseitig aus, wenn man das eher von Männerseite aus anschaut. Die Frauen waren extrem stark, total präsent, die haben das Ganze getragen. Es ist wichtig, dass man das sieht. Das war kein heroischer Männerclub.»

Der Mann gibt die Bühne frei für die starken, präsenten Frauen von damals – Danke! Dies vermittelt zumindest der Schnitt des Films. Dass dann auch zwei heutige Grabenhalle-Aktivistinnen zu Wort kommen, ist natürlich nicht minder wichtig: Iris Betschart stellt fest, dass Grabenhalle-Männer und -Frauen durchmischt, gleichwertig seien. Die Frauen hätten aber keine interne Gruppe, die aktiv sei und spezifisch auf das «Frauenproblem» reagiere. Arion Gaspart ergänzt: «den Kampf für die Frauenrechte machen wir im Kleinen». Wenn Veranstalter oder Securities sie nicht ernst nähmen, wenn Gäste an der Bar ihr Trinkgeld gäben wegen des schönen Lachens oder der engen Hose, dann gebe sie schon mal den Tarif durch. «Wenn ein Act auf der Bühne war, hinter dem wir Frauen nicht stehen konnten, haben wir hinter der Bar auch schon aufgehört zu arbeiten».

Ja hoffentlich wehren sich die Grabenhalle-Aktivistinnen (und Aktivisten – wir alle) gegen Sexismus! Aber ist denn Sexismus das Hauptproblem? Und warum habe ich das Gefühl, dass der Film in knapp zwei Minuten noch kurz zwei Frauen etwas zu «Frauenproblemen» sagen lässt, sozusagen als Feigenblatt? Wo sind denn jetzt diese Grabenhalle-Pionierinnen? Sie kommen im Film nicht vor.

Und heute? Die Doku vermittelt, dass Frauen im Aneignen und Nutzen sozialer Räume für kulturelle Zwecke in der Stadt St.Gallen auch nicht vorkommen. Die betonte Präsenz und Wichtigkeit der Frauen zu Beginn des Films war gut gemeint von Wolfgang Steiger. Steilpass nicht aufgenommen – so verstärkt sich der Eindruck ihrer Absenz sogar noch.

Der Film lässt Männer über relevante Themen reden. Lässt sie ausführen, heroisch die Vergangenheit beschreiben. Sie analysieren die Lage und zeigen Zukunftsszenarien auf. Sie werden an den Orten des Geschehens – bei der Bühne der Grabenhalle, vor der Frohegg, beim WegDüDa-Fest-Platz oder im Büro – gefilmt. Frauen lässt man über «das Frauenproblem», über ästhetische Aspekte der Grabenhalle und des Bahnhof-Areals reden. Sie werden gemütlich inszeniert, auf der Parkbank oder dem Sofa. Ausser Madeleine Herzog. Sie sitzt im Büro. Sie darf auch ausführen, analysieren und Visionen aufzeigen – muss ja, als zufällig weibliche Kulturbeauftragte der Stadt St.Gallen, im Film neutral als «Kulturförderung Stadt St.Gallen» betitelt.

Das diffuse Gefühl «unpräsenter» Frauen muss verifiziert werden. Formal sieht das dann so aus: Bei rund 54 Interview-Einstellungen sieht das Publikum zu 23 Prozent Frauen, zu 77 Prozent  Männer. Bei einer reinen Redezeit von rund 57 Minuten hört das Publikum zu 18 Prozent Frauen, zu 82 Prozent Männer. Inklusive Musik und Regie sind am ganzen Filmprojekt 22 Prozent Frauen und 78 Prozent Männer beteiligt. Man sieht und hört und beteiligt Frauen zu rund einem Fünftel – Gefühl bestätigt.

Da frage ich mich: Wem gehört der soziale Raum? Wer engagiert sich für Kultur? Eignen sich Frauen keine Kulturräume an? Gibt es keine Frauen in Kulturinstitutionen? In welchen Funktionen sind sie dort aktiv? Warum erhalten Frauen nicht dieselbe Plattform für Relevantes? Haben sie nichts zu sagen? Wollen sie nichts sagen? Nimmt man sie nicht wahr? Sind sie keine Exponentinnen? Wenn ja, warum?

Leider täuscht sich Iris Betschart, der man das Schlusswort überlässt: «Schön, wenn man merkt, dass Menschen dahinter stehen – manchmal geht das vergessen.» Die Hälfte der Menschen ging hier tatsächlich vergessen!

Dass es auch anders geht, lebt das Rümpeltum Kollektiv vor: zwei Frauen und drei Männer sitzen gemeinsam an einem grossen Tisch und reflektieren reihum. Sie sagen es selbst in ihrem Votum zum Rümpeltumbetrieb: Konzept? Struktur? Die käme vom Leben, wenn man sich natürlich einordne… Aha! Immerhin 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männer – sagt das Leben!

Last but not least: eine kleine, nicht vollständige Auswahl an Raumaneignerinnen im Kulturbereich:

Judith Eisenhut, Chantal Vergunst, Rosa Schwarz (Grabenhalle), Anna Tayler (Grabenhalle-Parkplatzfest), Anna Frei, Rita Kappenthuler (Frohegg), Eva Fuchs (Palace), Moni Lieberherr (K59), Sandra Meier (Kinok), Brigitte Kemmann (Kinok, gefühlt überall), Nadine Wismer, Kathrin Rieser, Hapiradi Wild (Varieté Tivoli), Nathalie Hubler (Theater 111), Bea Heilig, Andrea Hornstein (Frauenpavillon), Selina Buess (Unraum), Maja Dörig (Engel, Tankstell), Sawitri Benini (Buena Onda), Nadia Veronese, Kathrin Dörig (Guerilla Galerie), Anna Lena Zimmermann (Kunstkiosk) und so weiter.

Barbara Affolter, 1975, ist Historikerin und arbeitet in der Kulturförderung des Amtes für Kultur des Kantons St.Gallen.

 

Dancefloor

Filmstill «A Little Mountain Village»

 

Johannes Steiger: Einhellig auf dem Dancefloor

Eine Kulturstadt ist mehr als die Summe ihre Tanzflächen. Vergangenheit in Ehren, aber St.Gallen braucht vor allem eines: Visionen. Auch abseits vom Dancefloor.  

«A Little Mountain Village» nutzt die Power der Andeutung und Ankündigung: Deutet Madeleine Herzog bereits beim Dreh an, dass sie nach Zürich geht? Was hat es zu bedeuten, wenn es im Film heisst, es sehe gut aus fürs KuGl? Auch die Reithalle wird erwähnt. Die gewagteste Aussage ist aber wohl das Zusammendenken verschiedenster Räume und Menschen zu einem Ganzen, quasi zur Ausgangsstadt St.Gallen.

Will heissen: Beim Beitrag über die Grabenhalle blitzen die Stroboskope, im Kugl funkt die Band, im Backstage wird eh getanzt, im Palace just die Lesung aus Jürgen Teipels Technobuch gezeigt oder Tanzende bei der Partyreihe Soul Gallen – die Kulturschaffenden sprechen dabei von Kulturpolitik, der Film legt die Atmosphäre aber mehrheitlich rund um den Dancefloor an.

Die Dokumentation legt viele Fährten. Manchenorts bleibt es aber bei den Auslassungen. Es fehlt beispielsweise auch die Gegenwart der 30-Jährigen, die sich ihren Platz schon erobert haben: Wir haben einen Laden aufgemacht / an unserem Platz, singen die Goldenen Zitronen, lecker Kaffee / lecker Kuchen, singen sie weiter, und: ihr macht das Kulturprogramm / ihr seid so schön skurril.

In so einer «coolen Stadt», wie sie Stadtpräsident Thomas Scheitlin nennt, wird der kulturelle Freiraum nicht nur vom DJ-Pult aus abgesteckt, sondern eben auch von der Buchhandlung, wo es nicht nur in den Büchern politisch ist, oder in der Beiz, wo am Nebentisch mit Antiquitäten gehandelt wird, im arabischen Imbiss, wo über die Angst um die Heimat gesprochen wird. Und nicht zu vergessen: das Solidaritätshaus oder auch der Fussballclub im Osten, wo ein durchmischtes Quartierleben und ambitionierter Fussball unter einen Hut gebracht werden.

Im Film wird oft davon gesprochen, was war. Die Gegenwart und die Zukunft werden meist nur angedeutet. Dabei wäre gerade das Verhandeln der künftigen Kulturstadt eigentlich das Wichtige, zum Beispiel: Was für eine Kulturpolitik braucht eine Stadt wie St.Gallen in den nächsten Jahren, wo sind die spontanen und ein wenig gefährlichen Bars alle hinverschwunden, wer wagt es noch – abgesehen von der Juso – auf die Strasse zu gehen? Kann man gegen die Reithalle, aber trotzdem für die Kultur sein?

Am Anfang und im Abspann wird dem berühmtesten Einsprecher der Stadt die zweifelhafte Ehre erwiesen. Es ist zu hoffen, dass sich Dani Weders knappe Ankündigung bewahrheitet und sich die Lage auf dem KuGl-Dancefloor beim Güterbahnhof tatsächlich demnächst endlich beruhigt, denn die Kräfte werden auch andernorts benötigt; das Rümpeltum-Kollektiv braucht zum Beispiel ein neues Haus und dann soll ja noch mitten in der Stadt eine Autobahnausfahrt gebaut werden…

Johannes Stieger, 1979, ist Ausstellungsgestalter. 

 

Der Dokumentarfilm «A Little Mountain Village» von Angelo Zehr und Matthias Fässler ist am Dienstag, 8. Juli um 20 Uhr im Palace zu sehen. Nach der Vorführung wird er auf little-mountain-village.ch veröffentlicht. 

2 Kommentare zu Männer und Dancefloors im Bergdorf

  • Matthias sagt:

    Danke für den kritischen Beitrag! Gerne diskutieren Angelo und ich die aufgeworfenen Fragen auch noch persönlich. Als Ergänzung zum Beitrag und zur Diskussion möchte ich aber doch an dieser Stelle bereits einige Überlegungen anfügen:

    – Die Beobachtung trifft nicht nur quantitativ zu, dass der Film äusserst männerdominiert ist. Das hat verschiedene Gründe. Drei Beispiele: Eine weibliche Person aus dem früheren Grabenhallenumfeld haben wir angefragt, sie hatte aber leider keine Kapazitäten und Lust, am Film teilzunehmen. Weiter hat die Fokussierung auf fünf grössere Kulturinstitutionen (Grabenhalle, Palace, Backstage, Rümpeltum, KuGl) sicherlich zur Männerdominanz beigetragen, Da sind es meist Männer, welche Hauptfunktionen und -rollen tragen. Das kann und sollte man kritisieren, wie du es hier machst. Insofern funktioniert der Film. Im Rümpeltum wollten zuerst lediglich Männer mit uns reden. Erst als wir darauf hingewiesen hatten, dass im Film erstaunlich wenig Frauen vorkämen, haben sich nach internen Diskussionen noch zwei bereit erklärt, am Film teilzunehmen.

    – Das Schlusswort von Iris Betschart drückt natürlich eine andere Relevanz aus als die hier angedeutete. Sie richtet sich gegen ein Kulturverständnis, welches Räume (seien es soziale oder kulturelle, ohne eine klare Trennung machen zu wollen) als gegeben und in Stein gemeisselte Konsumgüter versteht und das oftmals stark idealistischen Engagement von den Menschen dahinter verkennt.

    – Dass man die „Frauen-Thematik“ nur kurz anschneidet, kann als Schwäche des Filmes angesehen werden. Es ist aber – wie Johannes bemerkt – ein Grundprinzip des Filmes, dass es Themeneblöcke aufgreift und Kontroversen aufwirft, ohne diese in der ganzen – und zweifelsfrei für eine differenzierte Diskussion nötigen – Bandbreite zu besprechen. Wir wollten Fährten legen, wollten ein Stimmenwirrwarr. Jeder und jede kann sich daraus herauspicken, was er oder sie spannend findet (alleine die von Damian Hohl aufgeworfene Debatte über private Sicherheitsdienste und Türsteher oder die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums wären je ein Film wert, können aber schnell untergehen). Und natürlich ist es richtig, dass wir uns die Frage nach Frauen in der Kultur stellen müssen. Wahrscheinlich verhält es sich in Analogie zu sozialen Bewegungen, wo Frauen häufig – gerade im Entstehungsprozess – wichtige und zentrale Rollen spielen, aber in der Aussenwahrnehmung und im Prozess der Institutionalisierung häufig marginalisiert werden.

    – Uns war von Anfang an klar, dass es ein Film werden wird, der für kulturaffine Menschen nicht viel Überraschendes, oder wie Johannes schreibt, (zu) wenig Konkretes in Bezug auf aktuelle oder zukünftige Entwicklungen, bringt. Vielmehr soll sich der Film bewusst auch an Leute richten, die sich vorher noch gar keine Gedanken über Quartiersentwicklungen (Bahnhof Nord, Güterbahnhof, usw.) gemacht haben, die sich des kulturpolitischen Kampfes für Räume nicht bewusst sind/waren und Kultur vielleicht primär als Konsumgut verstehen. Die Reaktionen auf den Film haben uns darin bestärkt, dass der Film einige für neue Themen sensibilisieren konnte. Dass die aufgeworfenen Kontroversen für kulturinteressierte Personen, die z.B. regelmässig Saiten lesen, altbekannt sind (Grabenhallen Entstehungsgeschichte, Wegweisungsartikel, Quartiersentwicklung, Parkgaragen, etc.), ist uns klar. Es gibt aber auch andere Kreise, die man durch solche Filme erst einmal wachrütteln und aus ihrer Selbstgenügsamkeit lösen muss. Dafür eignet sich der nostalgische Blick in einem ersten Schritt nicht schlecht. Wenn sich die 30-jährigen ihren Platz schon erobert haben, so muss das die Generation der 18-25-jährigen vielleich erst noch tun. Dafür muss man unserer Ansicht nach zeigen, dass Räume erkämpft werden müssen und mussten, dass es Strategien und Aktionsformen gibt und gab, sich neue Räume zu schaffen und dass auch Ausgehkultur politisch ist und damit Teil der Stadtkultur ist.

    – Der (zu) starke Fokus auf Ausgehkultur rührt daher, dass es am Anfang hauptsächlich ein Film darüber werden sollte. Dass der Einbezug weiterer Themenefelder nicht ideal geglückt ist und vielleicht auch versucht wurde, den Film politischer darzustellen als seine vermittelten Bilder es sind, kann ihm zu Recht vorgeworfen werden. Unter anderem darin manifestiert sich sicherlich die kurze Produktionszeit des Filmes. Und die Beobachtung, dass dem Film etwas gar viel Lamento anhaftet, ist durchaus treffend. Höchste Zeit also sich daraus zu lösen!
    Wir hätten auch noch kleinere Orte, fernab der kulturellen „Zentren“ beleuchten können und sollen. Darin spiegeln sich nicht selten feinstofflichere und genau so brisante Entwicklungen und Prozesse. Insofern muss ich Angelo Zehr auch widersprechen, der im Gespräch mit Saiten für eine „Kulturzone“ plädiert. Kultur lebt von Nischen, von Spontanität und von dezentralen Räumen. Eine „programmierte“ Kulturzone könnte dem nie gerecht werden und kleine Orte würden damit aus dem Rahmen fallen.

    Bleibt zu hoffen, dass der Film einen Beitrag dazu leisten kann, dass mehr Leute sich aktiv in die Kulturpolitik einmischen und im Film aufgeworfene Ideen auch konkret umsetzen. Jetzt liegt es an politischen Gruppierungen und Initiativen, diese in Aktionen umzusetzen. Der Film verändert schliesslich nichts Konkretes. Wenn, dann kann er „Bewusstseinsarbeit“ leisten.

  • […] zwei Kommentare dazu von Barbara Affolter und Johannes […]

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