, 11. November 2022
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Magische Nächte am Pantalla Latina

Dramen jenseits der US-Südgrenze, starke Frauen und ein schreiend komischer Weihnachtsfilm: Nächste Woche startet im Scala in St.Gallen wieder das Filmfestival Pantalla Latina. Es ist bereits die 14. Ausgabe dieser traditionellen Ostschweizer Spätherbstschau aktuellen Filmschaffens aus Lateinamerika. Von Geri Krebs

Weihnachtsmann oder Einbrecher? Beides: Diego Peretti mit Isabella Palópoli in der durchgedrehten Weihnachtskomödie La noche mágica. (Bild: pd)

Nach zwei Ausgaben unter den Bedingungen der Pandemie erstrahlt Pantalla Latina dieses Jahr wieder ohne Einschränkungen. 12 lange Spielfilme, 15 Kurzfilme und ein Rahmenprogramm bietet das lateinamerikanische Filmfestival, das in diesem Jahr seinen geografischen Schwerpunkt auf Filme aus Zentralamerika und der Karibik gelegt hat.

Vier lange Spielfilme stammen von Filmschaffenden aus dieser Region – und zählt man das traditionell starke Filmland Mexiko auch zu Zentralamerika, sind es sogar deren sechs.

Mexikanische Polit- und Sozial-Dramen

Und weiter steht mit dem Politdrama Llegaron de noche des renommierten spanischen Regisseurs Imanol Uribe ein Film auf dem Programm, der sich um ein einschneidendes Ereignis in der jüngeren Geschichte Zentralamerikas dreht: die Ermordung von sechs Jesuitenpatern, die als Professoren an der Universität von San Salvador, der Hauptstadt El Salvadors, tätig gewesen waren, am 16. November 1989.

Der sechsfache Mord schockierte damals die internationale Öffentlichkeit, zumal sich unter den Ermordeten auch der Rektor der Universität befand, Pater Ignacio Ellacuria, einer der herausragendsten katholischen Intellektuellen Lateinamerikas und ein führender Vertreter der Befreiungstheologie. Und als später herauskam, dass es eine Spezialeinheit der salvadorianischen Armee gewesen war, die die Mordtaten begangen hatte, war die Empörung noch grösser.

Der Regisseur Imanol Uribe und der Drehbuchautor Daniel Cebrián werden am Freitagabend, 18. November, anlässlich der Vorführung von Llegaron de noche für ein Publikumsgespräch im Kino Scala anwesend sein.

Eröffnet wird Pantalla Latina 2022 zwei Tage davor, am Mittwochabend, mit La Civil, einem Film aus Mexiko, in dem es um die Tragödie der alltäglich gewordenen Entführungen in den von rivalisierenden Drogenkartellen beherrschten nördlichen Bundesstaaten geht. Die Regisseurin Teodora Ana Mihai, gebürtig aus Rumänien und aufgewachsen in Kalifornien, hat in Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Autor Antonio de Rosario ein brennend intensives Drama um eine Frau geschaffen, die in einem gesetzlosen Land das Gesetz des Handelns selber in die Hand nimmt.

Produziert hat den 2021 im Wettbewerb des Filmfestivals Cannes uraufgeführten Film übrigens Michel Franco, einer der international bekanntesten mexikanischen Regissseure und Produzenten. Francos letzte beiden Filme, Nuevo Orden und Sundown, liefen auch bei uns erfolgreich in den Kinos.

Ein weiterer beeindruckender Beitrag aus Mexiko, ebenfalls von einer Frau realisiert ist Noche de fuego. Die salvadorianisch-mexikanische Regisseurin Tatiana Huezo, die bisher mit Dokumentarfilmen auf sich aufmerksam machte, darunter dem unter die Haut gehenden El lugar más pequeño über die Überlebenden eines Massakers im salvadorianischen Bürgerkrieg (Gewinnerfilm des Festivals Visions du Réel 2011), hat nun mit Noche de fuego erstmals einen Spielfilm realisiert. Sie schafft es hier, in der Geschichte einer Mutter, die ihre ins Visier einer Drogenbande geratene Tochter schützen will, eine fast physisch spürbare Atmosphäre von Bedrohung zu erzeugen.

Frauen erobern den lateinamerikanischen Film

Frauen und ihre Geschichten haben derzeit generell im Kino Lateinamerikas eine noch kaum zuvor dagewesene Präsenz und Erfolgsserie. Das zeigte sich etwa in den letzten Monaten an grossen europäischen Festivals, wo gleich mehrere Filme von lateinamerikanischen Regisseurinnen den Hauptpreis erhielten.

So etwa im vergangenen September und Oktober wo an den Festivals von San Sebastián und Zürich das Jugenddrama Los reyes del mundo der Kolumbianerin Laura Mora an beiden Orten mit dem Hauptpreis, der Goldenen Muschel, respektive, dem Goldenen Auge, ausgezeichnet wurde.

Und im August hatten am Filmfestival Locarno gleich zwei Filme von Regisseurinnen aus Lateinamerika triumphiert: Während das erotische Drama Regra 34 der Brasilianerin Julia Murat den Goldenen Leoparden erhielt, wurde das Adoleszenzdrama Tengo sueños eléctricos von der aus Costa Rica stammenden Regisseurin Valentina Maurel gleich dreifach prämiert: Regiepreis, beste Hauptdarstellerin und bester Hauptdarsteller.

In Locarno war in diesem Jahr aber auch die traditionlle Sektion «Open Doors» erstmals Filmen aus der Karibik gewidmet – und drei dieser Filme, die in Locarno alle nur ein einziges Mal zu sehen waren, präsentiert jetzt auch Pantalla Latina.

Gehaltvolles fürs Gemüt

Herausragend, gerade auch als Gegensatz zu all den eher düsteren Polit- und Sozialdramen, ist dabei der umwerfend originelle Beitrag aus der Dominikanischen Republik mit dem schlichten Titel Una película sobre parejas (Ein Film über Paare) des dominikanisch-spanischen Regieduos Natalia Cabral und Oriol Estrada.

Die beiden, die auch im realen Leben ein Paar sind, reflektieren hier in einem wilden Mix aus Homemovie, Sozialstudie und Beziehungssatire das Filmemachen in Zeiten der Krise. Dabei nehmen sie nicht nur die Mechanismen des Filmbusiness, sondern auch sich selber immer wieder in einer Art und Weise auf die Schippe, dass es eine wahre Freude ist.

Und wer im diesjährigen Programm von Pantalla Latina nach noch mehr eher Komödiantischem sucht, sollte sich unbedingt La noche mágica des argentinischen Regisseurs Gaston Portal ansehen. Die Tatsache, dass bereits in wenigen Wochen ja wieder der Weihnachtszirkus ansteht, macht aus dieser schwarzen Komödie mit einer gehörigen Portion Klassenkampf, nebenbei auch noch einen Film mit gewissem Aktualitätsbezug.

Dabei ist La noche mágica so ungefähr der schrägste Weihnachtsfilm, den man sich vorstellen kann. Er beginnt damit, dass ein unter einer Samichlausmütze schwitzender bewaffneter Einbrecher an Heiligabend in das von Mauern und einem Portier gesicherte Haus einer Grossbürgerfamilie einsteigt. Dabei trifft er unverhofft auf den heimlichen Liebhaber der Ehefrau des Hausherrn, der das Haus gerade durch ein Fenster verlassen will. Worauf der Einbrecher den Mann mit vorgehaltener Pistole dazu zwingt, sich ebenfalls zu verkleiden und fortan als sein Komplize zu agieren.

Fast im gleichen Augenblick entdeckt die sich allein in einem Zimmer aufhaltende kleine Tochter der Familie den Einbrecher und ist entzückt, den leibhaftigen Weihnachtsmann vor sich zu haben. Dieser reagiert blitzschnell und beginnt für das Mädchen sofort die Rolle zu spielen. Ein verrücktes Katz-und-Maus-Spiel beginnt – in einem Film, der sich in raffinierter Weise und ganz leise vom überdrehten Klamauk – mit bisweilen zotigem Humor – in ein totales Drama verwandelt.

Der Hauptdarsteller Diego Peretti, einer der grossen Komödianten Argentiniens, spielt hier den Einbrecher mit ebenso grossem Vergnügen und Variantenreichtum wie man ihn zuletzt auch als Mastermind in dem Heist-Movie El robo del siglo gesehen hat, dem Publikumshit am Pantalla Latina 2020.

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