, 23. Februar 2017
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Meditationen übers Nichts

Daniel Fuchs aka The Thoughtfox liest den letzten Roman Becketts in voller Länge. Eine Herausforderung, selbst mit reicher Erfahrung.

Samuel Beckett.

«alter Traum ich mache nicht mit oder ich mache mit es hängt davon ab man sagt nicht wovon von den Tagen es hängt von den Tagen ab adieu Ratten das Schiff ist gescheitert etwas weniger das ist alles was man erfleht»

Ein ganzes Buch, ohne Punkt und Komma, geschrieben, um den Fans von Schubladen Verzweiflung zu lernen, gehandelt als Becketts letzter Roman: Wie es ist heisst dieser, nicht weniger versprechend als die grösste aller ontologischen Fragen zu klären. «Wie» «es» «ist» – eine veritable Anmassung, die niemand auf einen Buchdeckel schreibt, ausser vielleicht man ist mitten in der Pubertät, besoffen, hat gerade das erste Mal Sex gehabt oder höchstpersönlich den Tractatus Logico-Philosophicus geschrieben. Oder aber es ist Überschrift einer radikalen Prosa des späten Beckett, die vermutlich alles beabsichtigt, ausser eben festzulegen, «wie es ist». Dazu kommt, dass man schwerlich sagen kann, wie es – das Buch – ist.

Endlich Anomalie!

Als «letzter Roman» wird das Ding mangels anderer Bezeichnungen beschrieben. Die Länge deutet tatsächlich auf eine gewisse Romanform hin, doch ist damit niemandem geholfen. Was man von einem Roman üblicherweise erwartet, geht dem Text komplett ab. Es fehlt die eigentliche Handlung, es gibt zwar Namen, aber wirkliche Figuren sind das auch nicht. Eine Art surrealer Begegnung beschrieben «vor Pim mit Pim nach Pim», wer das wiederum ist, ist keineswegs klar, man könnte stattdessen sagen: «es ist», irgendwie.

Der Thoughtfox in der Macelleria d’Arte: am 24. Februar und 26. Mai, jeweils 19:30 Uhr. Vorkenntnisse des ersten Teils sind nicht nötig, ebenso darf man kommen und gehen und wiederkommen – Getränke gibt es auch.

Becketts letzter Roman könnte auch ein Gedicht sein, dafür ist er aber nun wirklich zu lang. Es hat etwas von Theater, sehr kulissenhaft muten die Szenen an, in der die erzählende Person mit dem Gesicht im Dreck liegend Dinge erzählt wie «endlich Anomalie Anomalie ein Sack hier mein Sack wenn er leer sein wird bah ich habe Zeit Jahrhunderte». Eine Anmerkung warnt schliesslich, dass Wie es ist keineswegs wie ein gewöhnlicher Roman konsumiert werden kann und man nur richtig hinein kommt, wenn man sich überwindet, es laut zu lesen. «Sprachmusik» beschreibt die Sache am treffendsten und Sprachmusik aufzuführen verlangt nach einer Partitur.

Imaginäre Reisen

An dieser arbeitete Daniel Fuchs aka The Thoughtfox eine geraume Zeit. Er liest das ganze Stück an drei Abenden in der Macelleria d’Arte – diesen Freitag geht der zweite Teil über die Bühne. Der erfahrene Literatur-Performer arbeitet dabei zum ersten Mal mit Mikrofon und zurückhaltend eingesetzten Effekt-Geräten wie einem leichten Echo, was den musikalischen Charakter der Lesung untermalt. Betonungen hält Fuchs durchgehend zurück, wodurch ein Sprach-Sound entsteht, der an gebetsartige Mantras oder die Vorlesungen Adornos erinnert: alle Wörter sind gleichwertig und jedes davon ist wichtig, durch die minimalistische Betonung wird gewissermassen alles betont.

Bild: Daniel Fuchs (Klick zum Vergrössern)

Die Lesung der Vorlage ohne Punkt und Komma muss ohne Pausen auskommen, etwa drei Stunden dauert jeder Teil. Dass er so zu keiner Zigarettenpause kommt, schreckte Fuchs zuerst natürlich ab, doch auf den Flügen, die der Spezialist für karibische Lyrik gelegentlich unternimmt, ginge das ja auch nicht. Ein passendes Bild, schliesslich ist auch Becketts Prosa eine Art von Reise.

Wo diese hinführt, ist eine andere Frage. Ähnlich wie beim Tätowieren, sei er nach ein paar Stunden Lesung durchaus froh, wenn es zu Ende ist, sagt Fuchs. Auch Becketts imaginäre Reise sucht sehnsüchtig nach einem Schluss, findet diesen aber nicht unbedingt. Stattdessen wird viel gemurmelt, in den Dreck gemurmelt und Büchsen aus dem Lumpensack verkocht. Überall sind Stimmen – im Kopf des Erzählers. Unklar ob dieser wacht oder träumt.

Die Augen des Fuchses

Als langjähriger Beckett-Fan hat Fuchs Wie es ist alle 10 Jahre in den Händen gehabt. Der einstige Mitgründer der Literaturzeitschrift «Noisma» hat einige Erfahrung mit schwierigem Stoff, so las er im Rahmen von «Noisma im Kult-Bau» James Joyces Ulysses, Gertrude Stein und John Cage (neben vielen Anderen); allesamt Stücke, die gewissermassen mit diesem Beckett in Verbindung stehen. Unter dem Label Thoughtfox ist Fuchs nun selbst unterwegs, hat einerseits verlegerische Absichten und andererseits die Möglichkeit, solche «liegen gebliebenen Projekte» wieder aufzugreifen.

Namengebend für das Label ist ein Gedicht von Ted Hughes – der Gedankenfuchs – oder in einer für Fuchs gelungenen Neuübersetzung: der Sinnfuchs. Darin geht es, kurz zusammengefasst, um einen Schreibenden, der ohne Inspiration vor einem leeren Blatt Papier sitzt, worauf es zu einer Begegnung mit einem Fuchs kommt, dessen Blick den Prozess auslöst, das Blatt füllt. «The page is printed» – «die Seite ist gespurt», ein Gedicht über Kreativität.

Trocken «ist es» nicht

Beschreibt Wie es ist zwar eine gescheiterte Existenz, so sei der Verdacht auf einen etwaigen Nihilismus Becketts doch völlig daneben. Das sei es überhaupt nicht. Pessimistisch ist das Stück allerdings schon, passend zur Philosophie Schopenhauers, die Beckett gut kannte. Andere Bezüge haben etwas Existenzialistisches, darin war er auch ein wenig Kind seiner Zeit. Doch ist es keine Philosophie, die Beckett ausbreitet, sondern Sprache, die zum eigentlichen Handlungsträger wird. Nur darf man niemals meinen, das könnte dann zu trocken sein.

«kurzes Dunkel und da sind wir wieder da auf dem Gipfel der Hund setzt sich schräg ins Heidekraut senkt die Schnauze auf seinen schwarz-rosa Lümmel keine Kraft ihn zu lecken wir hingegen Kehrtwendungen einwärts flüchtiges Auge in Auge Übertragungen Wiederverbindungen der Hände Schwingen der Arme schweigend Genuß der See und Inseln Köpfe die sich wie ein einziger drehen auf die Dünste der Stadt zu schweigendes Ausfindigmachen der Bauwerke Köpfe die wie durch eine Achse miteinander verbunden wiederkehren»

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