Plastikponys, Lavalampe, Sailor Moon-Getränkedose, Nemo-Poster, Hubba-Bubba-Kaugummi, ein fetter Katzenbaby-Sticker und noch ganz viel mehr. In der lebensgrossen Jugendzimmer-Installation Every Night in My Dreams der deutschen Künstlerin Jenny Schäfer ist so einiges los. Zu sehen ist das Werk in der aktuellen Ausstellung «Glitzer» im Gewerbemuseum Winterthur.
Die Schau zeigt, dass das schillernde Material nicht einfach nur Deko ist, sondern auch für Identität, Protest und Selbstbestimmung steht. Entwickelt haben «Glitzer» die beiden Hamburger Kuratorinnen Nina Lucia Gross und Julia Meer für das dortige Museum für Kunst und Gewerbe. Die Idee zur Ausstellung hatten sie durch das Fehlen des schillernden Stoffs im musealen Kontext. Gerade in der Designgeschichte, erklären die beiden am Presserundgang, werde Glitzer oft als überflüssig, billig oder kitschig abgewertet.
Dabei sei Glitzer ein «positives Material» mit einer unterforschten Geschichte und einer Bedeutungsvielfalt, die so flirrend sei, wie das Material selbst. «Durch die Arbeit an der Ausstellung haben wir sofort gemerkt, welches Potenzial Glitzer hat», erklären sie weiter.
Über die schillernde Leihausstellung freut sich nun auch Susanna Kumschick, die Direktorin des Gewerbemuseums Winterthur. Am Presserundgang erklärt sie: «Glitzer vermittelt eine Festlichkeit, die gut zum Ausklingen unseres 150-Jahre-Jubiläums passt.»
Ein glitzernder Haufen
Die sechs Ausstellungskapitel aus Hamburg ergänzt Winterthur um die Perspektive des hauseigenen Materiallabors. Zu sehen gibts rund 40 Arbeiten von internationalen Kunstschaffenden, die allesamt aus dem 21. Jahrhundert stammen. Einzig das Kapitel Glittermania greift zeitlich weiter zurück und erzählt die Geschichte des Glitzers von der Steinzeit bis zu Taylor Swifts Glitzerbody.
Und weil Show und Bühne so oft und gerne glitzern, widmet ihnen die Ausstellung gleich ein ganzes Kapitel. Dabei zeigt Sparkle and Shine, dass Glitzer oft gleichzeitig Inszenierung und Authentizität oder Sichtbarkeit und Verhüllung ist.
Diese Gleichzeitigkeit vermitteln etwa ein Bühnenoutfit von Bill Kaulitz (Tokio Hotel), pompöse Perücken von Drag-Queens (zum Beispiel Olivia Jones), Nail-Art und schillernde Videoarbeiten mit und ohne Ameisen. Die Inszenierung ist multimedial, vielfältig und abwechslungsreich – und doch irgendwie sehr aufgeräumt. Die einzelnen Werke haben Raum, sich zu entfalten. Oder eben zu glitzern.
Bei Gisela Volás Serie «Marea Verde» geht es um Protest (Bild: pd/Gisela Volá)
Fotografie aus Gisela Volás aus der Serie «Marea Verde» (Bild: pd/Gisela Volá)
Im Kapitel Glitter up! gehts genauso um feministische Proteste wie um das Aufbrechen von heteronormativen Rollen- und Körperbildern. In Szene gesetzt wirken die Foto- und Videoarbeiten hier erstaunlich ruhig und das, obwohl in der Raummitte ein riesengrosser magentafarbener Glitzerhaufen funkelt. Dieses reduzierte Präsentationskonzept zieht sich bis zur Hall of Glitter. Dort sind rund 50 Objekte von Privatpersonen ausgestellt, die über einen Open Call ans Museum gelangten: ein mit Strasssteinen besetztes Nokia 3310 oder ein CD-Player, beklebt mit funkelnden Stickern. Dinge, die sofort Erinnerungen wecken.
Jugendzimmer und Bio-Glitzer
In Teenage Glitter gehts dann ums Erwachsenwerden, das Dazugehören und das Nicht-Dazugehören. Bewusst gibts hier mit der Installation eines Schweizer Jugendzimmers von Jenny Schäfer eine totale Reizüberflutung. Wer dann vollends im Glitzerrausch ist, kann sich in Glitter Craft beim Basteln austoben oder im Materiallabor im 2. Stock mehr über das Material selbst erfahren.
Zum Beispiel, dass herkömmlicher Glitzer umweltschädliches Mikroplastik ist. In der EU ist ohnehin (fast) nur noch Bio-Glitzer erlaubt und auch im Gewerbemuseum Winterthur glitzert es nur in Bioqualität. In Bezug auf das Verbot meint Mario Pellin, Leiter des Materiallabors, am Presserundgang: «Plastikglitzer ist unbestritten umweltschädlich, aber ein Mensch verursacht jährlich etwa ein Kilogramm Reifenabrieb. Bis man die gleiche Menge Glitzer verbraucht hätte, bräuchte es schon einiges.»
Die Ausstellung verdeutlicht: Glitzer ist vielfältig und fester Bestandteil von queeren und feministischen Kulturpraktiken. Diese Perspektiven sind in «Glitzer» sehr präsent, und das mit einer angenehmen Selbstverständlichkeit. Plakative Labels sucht man derweil vergebens. Das sei eine ganz bewusste Entscheidung, so die Kuratorinnen im Gespräch mit Saiten, denn es gebe viele Menschen, die bei solchen Schlagworten Vorbehalte hätten. «So können wir einen niederschwelligen Zugang eröffnen für jene, die mit diesen Themen sonst wenig Berührungspunkte haben. Es ist dann einfach da, ganz selbstverständlich, und damit wollen wir auch verschiedene Lebensrealitäten normalisieren.»
Diese Unaufgeregtheit überzeugt, und am Ende der Schau will man nur noch eines: mehr Glitzer (natürlich den biologisch abbaubaren).
«Glitzer»: bis 17. Mai 2026, Gewerbemuseum Winterthur.
Die Installation Every Night in My Dreams von Jenny Schäfer in Hamburg (Bild: pd/Henning Rogge)