keine Kommentare
Meister der Schichtungen
Fennesz, der Pop-Star der Elektronikkünstler, lädt morgen im Palace St.Gallen zu einem seiner raren Schweizer Gastspiele. Ein Pflichttermin, findet Georg Gatsas.
Endless Summer heisst Fennesz‘ Album, welches 2001 auf Mego erschien und welches der elektronischen Musik-Avantgarde eine neue Richtung wies. Den Titel des Albums hat der österreichische Musiker einer Compilation der Beach Boys entliehen. Mithilfe elektronischer Mittel aller Art hört man darauf neben Knistern, Knacksen und Kratzen geisterhafte 60er-Jahre-Pop-Zitate, die sich durch das ganze Album ziehen. Gitarrenklänge lässt er verfremden, zerrauschen und zerfetzen, sie sind der analog-digitale Schleier, durch den immer wieder die Strahlen von Bildern eines nie enden wollenden Sommers dringen: Sonnenuntergänge über dem Meer, das Brechen der Wellen und anschliessendes Auslaufen am Strand, Badende, in gleissendes Licht getaucht. Auf Endless Summer zerbricht die Zeit.
Trilogie vervollständigt
Fennesz zeigte auf dem Album seine eigene fragile Sentimentalität und wagte sich damit von der Welt des Noises und der Drones, von Glitch und Electronica in die Pop-Gefilde. Vor Endless Summer schien dies undenkbar und war unhörbar, elektronische experimentelle Musik war zuvor kalt, harsch und im Extremfall ein schwarzes Loch, das alles aufsaugt. 2006 gab Editions Mego das Album erneut heraus, mittlerweile gilt es als Klassiker. Renommierte Magazine wie «Resident Advisor», «Pitchfork» und «Fact» kürten es zu den 100 besten Alben des vergangenen Jahrzehnts.
Bécs, Christian Fennesz‘ erstes reguläres Album seit sechs Jahren, schliesst nun neben Hotel Paral.lel (1997) und Endless Summer den dritten Teil seiner Trilogie beim Wiener Label Editions Mego ab. Lange hat es gedauert – dazwischen arbeitete er an Alben für Touch Records mit Künstlern wie Ryuichi Sakamoto vom Yellow Magic Orchestra, David Sylvian von Japan und Teilzeit-Sonic Youth-Mitglied Jim O‘ Rourke wie auch an Kompositionen für Ballette und Filme.
Zum richtigen Zeitpunkt
Das von dem Wiener Produzenten Peter (Pita) Rehberg im Alleingang geführte Label hat sich zu einer der wichtigsten Adressen für experimentelle elektronische Musik gewandelt: Mitsamt seinen fünf Sublabels finden sich dort seit zehn Jahren alle, die Rang und Namen haben: Stephen O’Malley von Sunn O))), Oneohtrix Point Never, Wire-Mitglied Edvard Graham Lewis mitsamt seiner Tochter Klara Lewis, aber auch der St.Galler Norbert Möslang. Auch Unentdecktes und Pioniere der elektronischen Avantgarde veröffentlicht Rehberg neu auf Vinyl: Eines der ältesten Stücke stammt aus dem Jahre 1961. Nur eine Regel gibt es bei Editions Mego: Er veröffentliche keinen Hipster-Bullshit, meinte Pita kürzlich in einem Interview zum Plattenfirma-Jubiläum.
Fennesz‘ Rückkehr zu Editions Mego ist zugleich eine Heimkehr nach Wien, denn dort hat er es aufgenommen. Und: Bécs heisst Wien auf ungarisch, spielt also auch auf des Musikers Migrationshintergrund an. Gekoppelt an die beiden Vorgänger ist auch der Einsatz seines Hauptinstrumentes: die Gitarre. Deutlich hörbarer drängt sie sich nun in den Vordergrund. Geblieben sind die statischen Drones, die wogenden und sich langsam steigernden Noise-Schichtungen, die knisternd-verrauschten Klänge und Melodien: Auf Bécs schafft der 51jährige Komponist erneut zeitlose Musik, bei der man sich in luziden Träumen wähnt.
Fennesz im Palace – Samstag, 15. November, 21 Uhr.