, 21. August 2019
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Mit Kameras auf Spatzen schiessen

Nach dem Auswärtsspiel des FC St.Gallen beim FC Zürich letzten Mittwoch wurden rund 200 St.Galler Fans durch die Zürcher Stadtpolizei eingekesselt und einer grossangelegten Personenkontrolle unterzogen. Ein Mitglied des SENF-Kollektivs war vor Ort.

Bereits im Vorfeld der Partie machte die Information die Runde, dass die Zürcher Polizei eine Nulltoleranz-Strategie gegenüber sämtlichen Sachbeschädigungen an den Fahrzeugen der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) und anderweitigen Verfehlungen der Ostschweizer Fans verfolgen würde. Grund dafür seien Ereignisse bei vorangegangenen Gastspielen des FCSG in der Limmatstadt. Der Wortlaut der gemeinsamen «Fan-Information» des FC St.Gallen, der VBZ und der Stadtpolizei Zürich lautete wie folgt:

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Entsprechend wurde unter den Fans bereits im Vorfeld der Partie über das zu erwartende Polizeidispositiv und die bestmögliche An- und Abreise zum Stadion diskutiert. Ich reise an diesem Mittwochabend aus beruflichen Gründen nicht im Extrazug an. Bereits bei der Ankunft am «FC Zürich»-Platz in unmittelbarer Nähe des Letzigrunds fällt mir das grosse Polizeiaufgebot rund um das Stadion auf. Zahlreiche Kastenwagen und Wasserwerfer bestimmen das Bild rund um das Leichtathletikstadion. Die Baslerstrasse hin zum «Schlachthof Altstetten» ist durch mehrere Einsatzwagen und einen mobilen Zaun abgesperrt.

Auf die Frage, ob ich kurz durchdürfe, da ich gerne in den Gästesektor gelangen möchte, erwidern die anwesenden (Zivil-)Polizisten und Polizistinnen lachend, dass man ja unten durchkriechen könne. Als sich eine Passantin bei denselben Einsatzkräften nach dem Grund für das grosse Polizeiaufgebot erkundigt, antworten diese: Wenn sich die Fans nicht benehmen könnten, seien sie selbst schuld daran.

Mit einem mulmigen Gefühl begebe ich mich anschliessend in den Gästesektor, wo die anderen Fans vom grossen Polizeidispositiv anlässlich der Anreise zum Stadion berichten. Auch im Stadion selbst erblicke ich ein ungewohnt grosses Sicherheitsdispositiv bestehend aus privaten Sicherheitskräften in Vollmontur. Während des Spiels bleibt es bis auf den Einsatz von einigen pyrotechnischen Gegenständen verhältnismässig ruhig.

Eine Scheibe wird allen zum Verhängnis

Nach dem Spiel geht es zurück in die Ostschweiz – dieses Mal mit dem Extrazug. Während sich jene Fans, die mit dem Auto angereist waren, relativ schnell zu den Parkplätzen begeben, macht sich bei den Zugfahrern eine gewisse Unruhe bemerkbar. Dies nicht ganz unbegründet, denn während der Rückfahrt mit den Bussen der VBZ erblicken wir wiederum unzählige Einsatzwagen der Polizei, welche die verbliebenen FCSG-Fans eskortieren. Beim Überqueren der Europabrücke treten weitere Kastenwagen ins Blickfeld, die ein wenig versteckt bereits am Bahnhof stehen.

Anders als üblich halten die Busse nicht auf dem Bahnhofplatz, sondern bereits auf der Brückenauffahrt, was unter den Fans zusätzliche Unruhe auslöst. Im Zuge des möglichst schnellen Verlassens der Busse, um den Zug zu besteigen, lässt sich ein unbekannter FCSG-Fan zur Dummheit hinreissen, eine Scheibe eines VBZ-Busses zu beschädigen – dies sollte uns wenig später allen zum Verhängnis werden.

Die letzten Meter runter zum Bahnhof Altstetten lege ich mit der Feststellung zurück, dass der Extrazug noch nicht auf dem gewohnten Gleis steht und wir bereits von zahlreichen Polizeikräften erwartet werden. Als die FCSG-Fans aufgrund der Baustelle beim Gleis 1 die Strasse beim asiatischen Restaurant «Scent of Bamboo» und dem «Coop Pronto» überqueren, passiert es: Die Polizei schliesst unvermittelt den Zugang zum Altstetterplatz und kesselt die Fans mithilfe von martialisch auftretenden Einsatzkräften und einem Wasserwerfer ein.

Als ich mich nicht so schnell wie gewünscht in Richtung des Kessels begebe, werde ich von einem äussert aggressiven Polizisten in Vollmontur mit dem Kommentar «Wenn du es willst, dann kannst du es haben» mehrfach unsanft in Richtung Strassenmitte gestossen. Um einer Eskalation aus dem Weg zu gehen, wechsle ich die Strassenseite, doch dort ist die Stimmung nicht weniger geladen. Von einem heraneilenden Polizisten werde ich harsch dazu aufgefordert, das Trottoir nicht zu betreten und auf der Strasse zu bleiben.

Nach rund 15 Minuten, in denen die Fans in die gewünschte Position bugsiert werden, verlautbart die Polizei via Megafon, dass sie nun die eingesetzten VBZ-Busse auf Sachschäden hin kontrollieren werde. Die kurz zuvor beschädigte Busscheibe bietet den Polizistinnen und Polizisten anschliessend den Grund für die mutmasslich minutiös geplante und als «grossräumige Personenkontrolle mit eingeschränkten Persönlichkeits- und Grundrechten» bezeichnete Kollektivstrafe.

Ich werde in den folgenden Stunden mehrfach unter Androhung von Gewalt sowie der Drohkulisse einer Festnahme wegen «Nichtbefolgens einer polizeilichen Massnahme» an der Dokumentation der Kontrolle gehindert. Auch anderen Fans wird das Filmen verboten, einigen werden gar gegen ihren Willen Aufnahmen vom Handy gelöscht. Handkehrum wird von den rund 50 Einsatzkräften, welche den Kessel bewachen, fleissig Videomaterial gesammelt.

«Versuchen kann man es ja»

Besonders befremdlich ist die Diskussion zweier Einsatzkräfte am Rande des Polizeikessels, die angeregt darüber diskutieren, dass Hooligans auch nicht mehr dasselbe seien wie früher und wann denn jetzt der richtige Zeitpunkt sei, endlich «drauf» zu gehen und es den Fans «so richtig zu zeigen». Auf meine Aussage hin, dass eine solche Diskussion eine Schande für den Rechtsstaat sei, werde ich von beiden ausgelacht.

Zum Glück kommt es nicht zur Eskalation, denn nach einiger Zeit beruhigt sich die Situation ein wenig – nicht zuletzt auch dank des beherzten Einsatzes einiger besonnener Fans und der ebenfalls anwesenden Fanarbeit. Nach und nach lassen die eingekesselten Fans die bevorstehende Personenkontrolle über sich ergehen.

Nach rund zwei Stunden entscheide ich mich dazu, den Kessel zu verlassen und die Personenkontrolle hinter mich zu bringen. Dazu muss ich zunächst einen hell ausgeleuchteten Korridor in Begleitung zweier Polizisten in Vollmontur passieren. Am Ende des Korridors werde ich von zwei anderen Einsatzkräften in Empfang genommen und zur eigentlichen Kontrolle gebracht.

Zunächst werde ich aufgefordert, mich mittels eines amtlichen Ausweises eindeutig zu identifizieren. Anschliessend wird eine peinlich genaue Leibesvisitation durchgeführt, die laut mehrerer Aussagen anderer Fans auch vor dem Intimbereich nicht Halt machte. Allfällige persönliche Gegenstände wie Rucksäcke und (Hand-)Taschen werden ebenfalls genauestens kontrolliert.

Anschliessend werden auf einen Zettel die Personalien niedergeschrieben, wobei die anwesende Polizistin versucht, möglichst viele Informationen in Erfahrung zu bringen. Als ich auf die Frage nach der Natelnummer erwidere, dass dies nicht notwendig sei und die Adresse völlig ausreiche, entgegnet diese: «Das stimmt, aber versuchen kann man es ja mal.»

Nach der Leibesvisitation und der Personenfeststellung werde ich dem «Foto-Team» übergeben, das mehrere Bilder von mir macht. Ich muss eine Nummer und meine Identitätskarte in die Kamera halten. Auf die Frage, was mit den Fotos und den Daten geschehe, wird mir lediglich entgegnet, dass dies noch nicht bekannt sei und zunächst einmal einfach gesammelt werde. Nachdem die Prozedur überstanden ist, darf ich endlich zu den anderen Fans in den Extrazug steigen, der mit rund zwei Stunden Verspätung losfährt.

Der bittere Nachgeschmack

Was bleibt, ist die Frage nach der Verhältnismässigkeit und Rechtstaatlichkeit dieser Grosskontrolle. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob eine kaputte Busscheibe tatsächlich als eine «neuerliche Gewalteskalation» bezeichnet werden kann. Auch eine überschlagsmässige Kostenrechnung lässt Zweifel an der Verhältnismässigkeit der Einkesselung aufkommen: Geht man von insgesamt rund 150 eingesetzten Polizeikräften, die durchschnittlich etwa 200 Franken pro Stunde kosten, und einer Einsatzdauer von total etwa fünf Stunden aus, ergeben sich allein Personalkosten von gut und gerne 150’000 Franken. Nicht eingerechnet sind hierbei die unzähligen Stunden, die durch die Sichtung des Video- und Fotomaterials entstehen.

Wenn man den Gegenwert der kaputten Busscheibe auf etwa 5’000 Franken beziffert, wurde folglich rund das 30-Fache an Kosten verursacht, um den Delinquenten letztlich doch nicht zu finden – bis heute ist nicht bekannt, wer die entsprechende Scheibe beschädigt hat. Aufgrund der fehlenden Kameras im beschädigten Bus muss zudem angezweifelt werden, inwiefern die durchgeführte Grosskontrolle überhaupt dazu beiträgt, den Übeltäter zu überführen.

Ich bezweifle, dass es der Stadtpolizei Zürich bei dieser Aktion tatsächlich um den entstandenen Sachschaden ging. Vielmehr bleibt der Eindruck, dass es sich um eine Machtdemonstration handelte, mit dem Ziel, möglichst viele Informationen über die angereisten FCSG-Fans zu sammeln und diese einzuschüchtern.

Auf Anfrage von SENF hält Marco Cortesi, Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich, fest, dass das polizeiliche Vorgehen «professionell und verhältnismässig» war und keine Kontrolle erfolgt wäre, wenn es keine Sachbeschädigungen gegeben hätte. Um die mögliche Täterschaft zu eruieren, seien sämtliche Personen kontrolliert worden, die in den vier VBZ-Bussen waren. Von allen kontrollierten Personen werde nun ein Personenkontrollrapport erstellt, wobei die gemachten Fotos nach 100 Tagen gelöscht würden – sofern kein Strafverfahren gegen die entsprechende Person geführt werde. Des Weiteren seien der Stadtpolizei keinerlei Löschvorgänge durch Polizisten bekannt und falls dies wider Erwarten doch der Fall sein sollte, könnten sich Betroffene jederzeit melden. Auch von den angeblichen Aussagen der beiden Polizisten, wann der richtige Zeitpunkt sei, um auf die Fans draufzugehen, will Cortesi nichts wissen.

So oder so: Ein bitterer Nachgeschmack bleibt nicht zuletzt auch, weil zeitgleich ein junger FCZ-Fan einen unbeteiligten Familienvater krankenhausreif prügelte und den Tatort anschliessend unbehelligt verlassen konnte. Dies wohl auch, weil mutmasslich ein Grossteil der verfügbaren Einsatzkräfte der Stadtpolizei Zürich damit beschäftigt war, «geeignete und notwendige Massnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit aller Spielbesucher und sämtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufrechtzuerhalten bzw. wieder herzustellen».

4 Kommentare zu Mit Kameras auf Spatzen schiessen

  • Meier Marlis sagt:

    Wissen Sie, aus Sicht eines Durchschnittsbürgers ist das ein durch und durch befremdlicher Text. Er trieft von (für einmal) linkslastig-verschwörungstheoretischen Ansichten. Der grossen Mehrheit der Bevölkerung gehen diese Fussballchaoten nur noch auf die Nerven. Und den SteuerzahlerInnen erst recht. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung kann per sofort auf dieses Fussballtamtam mit seinen Nebenwirungen, die eine Zumutung sind, verzichen. Dann braucht es auch keine Polizei mehr… Und das ausgerechnet das Saiten immer noch diese heilige Kuh Fussball in die Luft stemmt, ist sowieso ziemlich absurd. Gibt es irgendwo noch mehr Kapitalismus in Reinkultur als in diesem menschenverachtenden Fussballbusiness…? Ausgerechnet das Saiten bietet breitwillig und regelmässig eine Plattform dafür… Geradezu grotesk.

  • Halodrio sagt:

    Darf man es hohl finden, Scheiben kaputt zu machen? Kann man angewidert sein vom turbokapitalistischen Fussball? Natürlich. Darf man der Ansicht sein, dass die Fans hier ins offene Messer liefen und der Polizei einen wennn auch nichtigen Anlass lieferten, die Kontrolle durchzuführen? Klar. Kann man linke Politik kritisieren? Nur zu. Soll man aber auch über Grundrechte, Verhältnismässigkeit, Datenschutz reden? Man muss.

  • Müller sagt:

    Diese lächerliche, antidemokratische Polizei-Uebung beweist nur etwas: Zürichs links-grünen Regierung will mit solchen Aktionen wiedergewählt werden. Staatsgewalt pur durchgesetzt. Man lese dazu einfach mal wieder das Büchlein von Reto Hänny: Zürich, Anfang September. 1981. ISBN 3-518-11079-9

  • thomas sagt:

    Seit Jahren benutzen gewaltbereite Fans die normalen Fans als Schutzschilder um ihre Schlägereien und Sachbeschädigungen durchführen zu können. Vielleicht gings diesmal nur um eine Scheibe, aber diese gewaltbereiten Chaoten egal ob Zürcher, Basler und St.Gallen nutzen die ganz normalen Fans um ihre Schandtaten durchzuführen. Wieso können solche Elemente immer noch mit den richten Fans reisen, warum passiert da nichts. Vielleicht ist das halt nun die Konsequenz. Diese Feiglinge müssen ausgegrenzt werden. PS: der Nachgeschmack der Vater sei wegen zu wenig Polizisten verprügelt worden ist lächerlich. Da scheint der Schreiber ja mächtig ein Problem mit der Polizei zu haben und dass Saiten so einen Schrott noch publiziert finde ich schon fast einen Grund das Abo aufzulösen, eindeutig zu linkslastig.

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