, 12. Januar 2019
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Mit oder ohne Geld: Arbeit ist Arbeit

Überall auf der Welt wird mehr unbezahlt als bezahlt gearbeitet. Die Schweizerische Frauensynode 2020 veröffentlicht dazu anschauliche Zahlen und Fakten. Diese zeigen: Care Arbeit ist mehr als Wickeln, Haushalten oder Altersversorgung. Am 14. Juni soll zudem ein schweizweiter Frauenstreik durchgeführt werden.

Bilder: Wirtschaft ist Care

Aa machen, Kötzeln, Pischi anziehen: Ohne die Hilfe von anderen würden wir gleich nach der Geburt in Todesgefahr schweben. Wir alle sind bedürftig, wir brauchen Menschen, die uns wickeln, uns Nahrung, Schutz und Wärme geben, die uns helfen, wenn wir alt oder krank sind und nicht mehr alleine auf die Toilette oder zum Einkaufen gehen können. Was so selbstverständlich klingt, wird auch von der Wirtschaft als völlig selbstverständlich angeschaut: Die Care Arbeit, das Sorgetragen für andere, ist schlecht oder gar nicht bezahlt.

Es ist eine Binse: In der Schweiz und weltweit wird mehr unbezahlt als bezahlt gearbeitet. Das Bundesamt für Statistik schätzte die gesamte, im Jahr 2016 geleistete unbezahlte Arbeit auf einen Geldwert von 408 Milliarden Franken (wovon im Bruttosozialprodukt nie die Rede ist), dabei macht die Hausarbeit inklusive Betreuungsaufgaben den grössten Teil aus. Und: Die Frauen leisten gut 61 Prozent dieses unbezahlten Arbeitsvolumens – Mamas, Omas, Schwestern, Tanten oder Freundinnen, die in vielen Fällen nebenher noch einer tagesfüllenden Lohnarbeit nachgehen.

Diese und weitere Zahlen zur Care Arbeit sind in der kürzlich erschienenen Publikation der Schweizerischen Frauensynode 2020 zu finden. Sie wurde verfasst von den promovierten Theologinnen Ina Praetorius und Regula Grünenfelder. Die 24-seitige Broschüre mit dem programmatischen Namen Wirtschaft ist Care zeigt an verschiedenen Beispielen, dass Care Arbeit mehr ist als Wickeln, Haushalten oder Altersversorgung. Da gehört auch die Oma dazu, die früher den heutigen Fussballstar gehütet hat und ihn ideell unterstützt, oder «Frau Costa», die ehrenamtlich in der Dorfbibliothek und mit Geflüchteten arbeitet. Veranschaulicht ist das mit fünf Comics der Illustratorin Kati Rickenbach.

Erster Runder Tisch zur Care-zentrierten Ökonomie: 25. Januar, 17 bis 20 Uhr, Konferenzraum Fachhochschulzentrum St.Gallen.
Anmeldung bis 19. Januar: contact@inapraetorius.ch
wirtschaft-ist-care.org

Auf den ersten Blick erschient die Broschüre vielleicht etwas kindlich, doch sie ist alles andere als das, denn die darin versammelten Voten und Fragen haben es in sich. Auf kompakte, verständliche Weise wird unter anderem erklärt, was Ökonomie bedeutet (die Theorie und Praxis der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse), was es braucht, um einer Erwerbsarbeit nachzugehen (vorher geleistete Sorgearbeit) oder wozu wir das liebe Geld eigentlich brauchen (um die Herstellung und Verteilung bestimmter Mittel zur Bedürfnisbefriedigung zu vereinfachen). Dazu sind allerhand Links zur Vernetzung und weiteren Information versammelt, die auf der Website der Frauensynode 2020 laufend aktualisiert werden.

Auch ein Zitat der Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp findet sich in der Broschüre: «Die Sorgearbeit, auch die unbezahlte, müsste endlich als selbstverständlicher Teil der Ökonomie betrachtet werden. Das heisst, sie muss auch in volkswirtschaftliche Kalkulationen einbezogen werden, sonst sind alle Rechnungen falsch … » In den Sozial- und Genderwissenschaften hat das Nachdenken über eine Care-zentrierte Ökonomie schon begonnen, in den Wirtschaftswissenschaften ist es, sagen wir, noch ausbaufähig. Darum lädt der Verein «Wirtschaft ist Care» im Januar zum runden Tisch mit der Frage: Was braucht es, damit Care-Leistungen in den Wirtschaftswissenschaften den Raum bekommen, der ihrer tatsächlichen Bedeutung entspricht?

Frauensynode 2020:
5. September 2020
frauensynode.ch

Das passt wunderbar zum geplanten Frauenstreik, der am 14. Juni schweizweit stattfinden soll. In den letzten zwei Jahren haben die Frauen auf der ganzen Welt zu Protesten und Aktionen aufgerufen, um ihre Forderungen auf die Strassen zu tragen. In Spanien haben die Frauen schon letztes Jahr landesweit gestreikt und gezeigt, was es heisst, wenn Frauen sich dafür entscheiden, die bezahlte und unbezahlte Arbeit niederzulegen. Noch am gleichen Abend sind sechs Millionen Frauen und solidarische Männer mit ihnen auf die Strassen gegangen – ein mächtiger Anblick.

Knapp 30 Jahre nach dem ersten und bislang letzten Frauenstreik in der Schweiz ist es nun an der Zeit für einen zweiten umfassenden Frauenstreik in diesem Land. Das ist auch bitter nötig. Der Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds SGB hat vor einem Jahr entschieden, für den 14. Juni 2019 zum Frauenstreik aufzurufen, dem Jahrestag des letzten Streiks. Dass auch die Schweiz ein durchaus streiklustiges Land sein kann, haben die 20’000 Menschen klar gemacht, die im vergangenen September an der Demo für Lohngleichheit in Bern auf die Strasse gegangen sind.

Offener Austausch zum Frauenstreik 2019:
13. Januar, 14 bis 17 Uhr, Waaghaus St.Gallen
frauenstreik2019.ch

Für alle, die zum Frauenstreik 2019 aktiv werden wollen, findet im Januar ein erster offener Austausch in St.Gallen statt, samt Kinderbetreuung vor Ort. Auf dem Flyer steht: «Alle Frauen* sind ganz herzlich willkommen.» Wir gehen davon aus, dass diese Einladung für alle solidarischen Geschlechter gilt.

Dieser Beitrag erschien im Januarheft von Saiten.

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