, 6. Februar 2015
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Mit Reiseführer Pedro Lenz durch die Schweiz

Der Mundart-Poet Pedro Lenz führt im Film Mitten durchs Land durch die Schweiz von heute. Sein melancholischer Beobachterblick zeigt ein (Mittel-)Land der Züge, Beizen und kleinen Leute. Passieren tut darin nicht viel – und das ist gut so. Ab sofort im Kinok.

Die Mittelland-Schweiz im Jahr 2015: Pendlerzüge, Smartphones, OK-Energydrinks, Blickamabend-Geraschel. Endlose Fahrt duch Agglomerationen und Städte, Industrie und Wohnsiedlungen. Trostlos ist das alles – doch wer genau hinschaut, entdeckt Geschichten, auch und gerade im Kleinen. Mit diesem Blick reist der Mundart-Poet Pedro Lenz in Mitten ins Land durch die Schweiz. Sein Mantra für den Trip, das er aus dem Off im breitesten Berndeutsch immer wieder zitiert: «Luft hole u öppis us dr Luft use hole.»

Man kann böse sagen, dass Mitten ins Land wirklich aus der Luft gegriffen wurde. Denn passieren tut darin nicht viel: Der semidokumentarische Film zeigt Lenz und sein Leben auf Achse, von Kleinstadt zu Gerade-noch-Stadt. Dazwischen Schnipsel von «kleinen» Leuten, Büezern, Beizern, Lokführern und Jungpolitikern, die einen Blick in ihre meist unaufgeregten Leben gewähren. Der Film hat keinen Plot, keinen Höhepunkt, kritische Ansichten zur Mittelland-Schweiz werden meist nur angedeutet.

Der typische Schweizer – oder zu enge Auswahl?

Aber je nach Gemütslage ist so ein Film, in dem vordergründig nicht viel passiert, eine echte Wohltat. Der lakonische Reiseführer Lenz schafft es jedenfalls, den Zuschauer sofort in dieses Porträt eines Landes hineinzuziehen. Dicht hinter ihm die Filmemacher Norbert Wiedmer und Enrique Ros, die aber nicht als Dok-Filmer in Erscheinung treten, keine Fragen stellen, Lenz und die porträtieren Menschen einfach reden lassen.

Der Trailer zum Film:

Ausgangspunkt der Reisen ist Olten, das der umherfahrende Autor Lenz liebevoll seine Halbstunden-Stadt nennt: Eine halbe Stunde nämlich dauert die Fahrt von hier nach Bern, Zürich, Basel, Luzern. Olten ist denn auch metaphorisch der Mittelpunkt der Schweiz: Hier liegt der Kilometer Null des Schweizerischen Eisenbahnnetzes. Folgerichtig ist eine der porträtierten Personen eine Lokführerin, die früher Coiffeuse war und vom stillen Glück erzählt, das ihr die Arbeit im Führerstand bringt.

Sowieso ist dieses stille Glück am Schaffen eines der Leitmotive der Menschen im Film: Der sympathische Güselmann Volkan Inler aus Olten, die Besitzer eines gutbürgerlichen Restaurants, die Arbeiter in der Sondermüll-Deponie Kölliken. Sie alle eint eine tiefe Ruhe und Erfüllung, die sie zu weiten Teilen aus ihrer Arbeit ziehen. Drückt da der gschaffige, typische Schweizer durch? Oder hätten die Regisseure einfach eine breitere Auswahl treffen können?

Porträtiert wird zwar auch SP-Politiker Cédric Wermuth, als er seinen Einzug in den Nationalrat schafft. Auch er öffnet sich unverkrampft der Kamera, seine Auswahl wirft aber Fragen auf: Vier Schweizer Nobodies und dann plötzlich ein medial omnipräsenter Jungpolitiker – wie passt das zusammen?

Der Mond im Mittelland

Unterlegt werden die Bilder immer wieder von Lenz‘ Spoken-Word-Poetry: In Mundart-Versen, die oft mit hypnotischen Alliterationen arbeiten und beinahe in den Rap kippen, verleiht Lenz dem Film einen sachte treibenden Grundrhythmus. Dass Lenz eine musikalische Ader hat, sieht man schön an Aufnahmen seiner teils von Musikern begleiteten Lesungen, in denen der ewig rauchende Schlaks entrückt Verse vorträgt.

Die nicht-menschliche Überraschung des Films sind die gespenstischen Aufnahmen aus der Deponie Kölliken: Einer der grössten Umweltskandale der Schweiz führte dazu, dass beim Aargauer Dorf neben der Autobahn bis heute Gift aus dem Boden geholt werden muss. Die hermetisch abgedichtete, düstere Grube, in denen sich Arbeiter nur in Schutzanzügen bewegen können, sieht ein wenig aus wie der Mond – und das mitten im Mittelland.

Mitten ins Land ist ein unaufgeregtes, fast melancholisch stilles Porträt der Schweiz im Hier und Jetzt. Viele Zuschauer werden sich, ihr Leben, in den Bildern wohl wiedererkennen – auch das eine Stärke des Films, der so Nähe schafft und doch neue Einsichten zeigt. Am besten zu geniessen im Kinosessel nach einem langen Arbeitstag, an dem man vielleicht durch die Schweiz von heute gefahren ist.

Die Vorstellung am Samstag, 14. Februar, um 19 Uhr findet in Anwesenheit von Pedro Lenz und des Regisseurs Norbert Wiedmer statt.

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