, 14. August 2017
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Moorgesang und Techno im Schopf

Wenn Kuhdraht klingt und das Moos singt: Für zehn Tage im September wird das Hochmoor von Gais zum Klangkörper. In zehn alten Holzschopfen trifft sich die musikalische Avantgarde.

Im Schützenhaus herrscht Schummerlicht. Die Pokale stehen beisammen, ein Pfeil führt zur «Waffen-Reinigung», eine Schallschutztüre zum Schiessraum. Die Moorwiesen rundherum sind noch ungemäht. Wie Findlinge ragen aus ihnen die Hütten heraus, fast gleichmässig verteilt über die Ebene. «Schopfe» heissen sie im Volksmund, und so heisst jetzt auch das Musikprojekt, das aus den bescheidenen Hütten für zehn Tage einen Kultur-Parcours macht: «Klang Moor Schopfe».

Wenn Patrick Kessler eine der knarrenden Türen öffnet, tut sich eine verschwundene Zeit auf. Einst wurde hier das gemähte Heu gelagert, in einigen waren zudem Rinder untergebracht oder stapelten sich Wagen, Hornschlitten und sonstiges Gerät. Lange her, auch wenn hier und dort noch die Spuren der früheren Nutzung sichtbar sind. Einer der Schopfe hat sich im feuchten Untergrund schief gestellt, ein anderer hatte einen kaputten Boden – jetzt, da das Projekt näher rückte, hätten die Besitzer jedoch fast überall noch Hand angelegt und ihren Schopf ausgebessert, sagt Patrick Kessler.

Zehn mal Klangkunst in zehn Hütten

Zehn dieser Hütten im Umkreis des Schützenhauses und der Station Schachen zwischen Gais und Stoss hat Patrick Kessler ausgewählt, hat mit den Besitzern gesprochen und sie überzeugt, ihren Schopf zur Verfügung zu stellen. Die Idee sei schon lange da gewesen, Jahre habe es gedauert bis zu ihrer Realisierung, sagt Kessler. Er wohnt seit bald zwanzig Jahre mit der Familie am Hang gegenüber, man kennt ihn und er kennt die Leute – «sonst wäre das Projekt nicht möglich gewesen».

Klang Moor Schopfe

vom 1. bis 9. September, Hochmoor Gais

Vernissage: Do 31. August ab 17 Uhr mit «Sumpf Sumpf Sumpf – Beats aus dem Moor» von Julian Sartorius.

klangmoorschopfe.ch

Zehn Kunstschaffende, einzeln oder als Kollektiv, konnten anschliessend je einen der Schopfe auswählen und realisieren hier jetzt Dinge, die man so mit einiger Sicherheit noch nie zu hören und zu sehen bekommen hat. In die archaische Holz- und Moorlandschaft zieht die Avantgarde ein. Den Kontrast kann man erahnen in der Hütte, die bei unserem Besuch bereits fertig eingerichtet ist: Der Berner Multikünstler Zimoun hat zwischen Oberboden und Dach insgesamt 360 Meter Kuhdraht eingespannt, eine Art Saiteninstrument, das mit kleinen Motoren und Filzbällen in Schwingung versetzt wird und den ganzen Schopf zum Resonanzkörper macht.

Das Berner Klangforscher-Netzwerk Norient nistet sich in einem weiteren Schopf ein mit Fernrohren und Videos. Die sibirische Musikerin Olga Kokcharova lauscht den Moosen Klänge ab. Albert Oehlen, der in Gais lebende Maler, realisiert zusammen mit dem Kölner Technopionier Wolfgang Voigt eine klingende Projektion; in seiner unmittelbaren Nachbarschaft ist Roman Signer mit «Ein tiefer Ton» da, etwas weiter entfernt Norbert Möslang mit «aether_grooves» als dritter der einheimischen Klangkünstler.

Die Belgrader Musikerin Svetlana Maraš arbeitet mit Wassermaschine und Hydrophonen, der Österreicher Rubert Huber komponiert einen «Moorgesang», Jason Kahn nimmt Landschaftstöne auf, und die in Lausanne lebende Spanierin Vanessa Toquero kommt mit «Living Instruments» nach Gais: Ein gezüchteter Moosteppich, flüssige Mikroorganismen und Kohlenstoffgas verwandeln sich in der Liveperformance in Musikinstrumente und erschaffen eine klingende Fotosynthese.

Für Klangfreaks und Wanderer

So abenteuerlich wie diese Kombinationen nimmt sich auch das umfangreiche Rahmenprogramm aus. Es behandelt Klang in allen Variationen, aber auch das Moor (mit Moosforscher und Ornithologen) und den Schopf (mit baukulturellen Informationen). Pianist Jacques Demierre konzertiert auf einem den schiefen Schopfen nachempfundenen schrägen Klavier. Andere Konzerte und Diskussionen finden im komfortablen Vereinslokal der Sportschützen Gais statt, das für die zehn Tage zum Festzentrum wird, wo es Tickets und Verpflegung gibt. Patrick Kessler und Jacques Erlanger, der das Projekt mitorganisiert, haben es «Piccolo Arsenale» getauft.

Die Zusammenarbeit mit Vereinen und der Gaiser Bevölkerung ist Kessler genauso ein Anliegen wie, ein möglichst vielfältiges Publikum zu erreichen: Musikfreundinnen, Kunstinteressierte, aber auch die Wanderer, deren Weg zum Stoss oder auf den Hirschberg an den Schopfen vorbeiführt. «Zielpublikum sind die, die diese Landschaft schätzen – und die vielleicht sonst keinen Schritt in eine Kunst- oder Tonhalle setzen würden.»

Gerade dies könnte aber auch Kritiker auf den Plan rufen: noch eine Naturlandschaft mehr, die mit Kultur beglückt wird? Kessler ist die Frage bewusst; seine Antwort ist die Art und Weise, wie er und die eingeladenen Kunstschaffenden ans Werk gehen: mit höchstem Respekt vor den Schopfen und ihrer Umgebung. Die Interventionen sollen sich einfügen, nicht aufdrängen.

Im schallgeschützten Schützenhaus (links auf dem Bild unten), in das wir nach dem Rundgang zurückkehren, steht in grosser Schrift an der Wand: «Gehörschutz tragen». Für die Klang Moor Schopfe wird das Gegenteil gefragt sein: scharf gespitzte Ohren und offene Sinne.

Bilder: pd / Su.

 

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