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Musik über das Mutterdasein
Natasha Waters, Davide Rizzitelli alias Kaltehand und Atilla Schweizer veröffentlichen als Mamari Ende Mai ihre erste EP. Es ist ein schönes Dokument eines langen Findungsprozesses.
Rückblickend hatte der Titel etwas Prophetisches: Into The Light. So heisst das 2014 veröffentlichte zweite und letzte Album des St. Galler Electropop-Duos Kaltehand/Natasha Waters. Der Titel sollte ausdrücken, dass ihre bis dahin meist düstere Musik etwas heller und poppiger geworden war. Doch zwei Jahre später bekam er eine zusätzliche Bedeutung: K/NW gingen ins Licht – sie verschwanden aus der Musikszene.
Nun kehren Natasha Waters und Davide Rizzitelli zurück – mit neuer Musik, neuem Mitmusiker und neuem Namen: Mamari. Der Dritte im Bunde ist Atilla Schweizer, eine Hälfte von Missue, die SRF einst als «spannendste Electro-Band der Schweiz» bezeichnete. Das war ebenfalls 2014, nachdem sie ihr Album 8K veröffentlicht hatten.
Auf der selbstbetitelten EP klingt vieles vertraut und doch ganz frisch. Die sechs Downtempo-Songs bewegen sich mit einer anzüglichen Eleganz zwischen sphärischen Passagen und pulsierenden Flächen von grosser Weite – und offenbaren mit jedem Hördurchgang neue Details im kunstvoll arrangierten Klangbouquet.
Die eigene Stimme neu entdecken
Die Anfänge von Mamari reichen fast zehn Jahre zurück. Damals entstand aus gegenseitiger Wertschätzung der beiden St.Galler Duos Missue und K/NW, die sich bis dahin nicht persönlich kannten, eine Kollaboration, die in einem gemeinsamen Song mündete. 2016 brachte Natasha Waters ihre Tochter zur Welt und zog sich weitgehend ins Privatleben zurück. Auch zu Davide Rizzitelli, der für sie «wie ein Bruder» sei, habe sie etwa drei Jahre lang nur wenig Kontakt gehabt, erzählt die 44-jährige Sängerin.
Da Missue ungefähr zur gleichen Zeit getrennte Wege gingen, arbeiteten Rizzitelli und Schweizer unermüdlich zusammen an neuer Musik und legten einen riesigen Fundus von Tracks an, von schwebenden Ambient-Klängen bis zu deepem Techno. «Ich habe als Musiker nochmal einen Schritt nach vorne gemacht», sagt Rizzitelli. Durch die Zusammenarbeit mit dem Soundtüftler Schweizer habe er gelernt, wie er aus seinen Ideen, die er am Synthesizer entwarf, viel mehr herausholen könne. Für die Entstehung von Mamari sei es sehr wertvoll gewesen, dass sich die beiden Musiker so gut hätten kennenlernen können, musikalisch wie privat, ergänzt Natasha Waters.
2020 begann sie, einigen Tracks von Davide Rizzitelli und Atilla Schweizer Gesangsmelodien hinzuzufügen. Doch sie musste erstmal ihre Stimme neu kennenlernen. Diese hatte sich nach der Geburt ihrer Tochter Aniko verändert, sie war um drei ganze Töne tiefer geworden – möglicherweise eine Folge der Geburt, vielleicht auch eine unbewusste Anpassung des Körpers an die neue Rolle als Mutter. Die Sängerin tat sich schwer mit ihrer neuen Stimme und versuchte anfangs, in ihrer ehemaligen Stimmlage zu singen, «aber das klang richtig schlecht». Der gehauchte Gesang von PJ Harvey und die neuen Aufnahmen von Billie Eilish hätten ihr schliesslich einen Ausweg aus der Unzufriedenheit gezeigt. Dank ihnen habe sie erkannt, dass auch eine tiefe Frauenstimme schön klingen könne. «Es dauerte lange, bis ich Aufnahmen hatte, mit denen ich zufrieden war.»
Die Suche nach einem gemeinsamen musikalischen Nenner
Eine weitere Herausforderung war, zu dritt einen gemeinsamen musikalischen Nenner zu finden. Das sei nicht immer einfach gewesen, sagt Waters. Mit Rizzitelli, mit dem sie bereits seit Teenagerjahren Musik gemacht hatte, verstand sie sich blind. Doch Kaltehand gab es nicht mehr, jetzt musste sie sich auf zwei musikalische Köpfe – «die beiden gibt es zum Glück nur im Doppelpack», sagt sie – und ihre gemeinsamen Ideen einzulassen. Längst nicht alles, was Rizzitelli und Schweizer an Material produziert hatten, kam für sie als Sängerin in Frage.
Mamari: Mamari (Irascible) erscheint am 31. Mai digital.
Live: 1. Juni, 0:30 Uhr, Palace St.Gallen (Musig uf de Gass)
Die Suche nach Kompromissen und das Erkennen der eigenen Rolle in der Band habe viel Zeit gebraucht – und immer zu Reibungen geführt, ja sogar zu Streit. «Es gab Momente, in denen ich daran zweifelte, dass es zu dritt klappen würde», sagt die Sängerin. Gleichzeitig sei ihr klar gewesen, dass das Kapitel K/NW abgeschlossen sei. Denn insbesondere auf Into The Light war mit den befreundeten Musikern Michael Gallusser und Dominik Kesseli aus dem Duo gewissermassen ein Quartett entstanden. «Mir war klar, dass es zu viert nicht weitergehen würde, weil sie ja auch in anderen Gruppen spielen und damals gerade mit ihrer eigenen Band Lord Kesseli & The Drums starteten.»
Eine Lebensphase abgeschlossen
Dank gelegentlichem Abstand und Kompromissen hätten sie sich schliesslich gefunden. Ein Schlüsselmoment sei gewesen, als sie entschieden habe, das Trio Mamari zu nennen, sagt Natasha Waters – eine Kombination aus Mama und Mari, dem zweiten Vornamen ihrer Tochter. Der eigentliche Startschuss sei Darkwood gewesen, ein Song über die Geburt ihrer Tochter. Auf der EP thematisiert Waters ihr Mutterdasein mal mehr, mal weniger explizit. «Mir ist es wichtig, diese Themen auf diese Weise zu verarbeiten und festzuhalten», sagt sie. Mit der EP sei diese Lebensphase quasi abgeschlossen, jetzt könne sie weitergehen.
In welche Richtung sich Mamari entwickeln werden, sei offen, sagen Natasha Waters und Davide Rizzitelli. Jetzt geht es für sie erstmal darum, Konzerte spielen zu können. Live wird es auch elektronischere, härtere Stücke zu hören geben, die nicht auf die EP gepasst haben. Vielleicht werden sie künftig gelegentlich zu zweit auftreten, nicht mehr als Kaltehand/Natasha Waters, sondern als Mamari im Duo. Vielleicht nehmen sie für Konzerte weitere Musiker hinzu. Vielleicht werden Rizzitelli und Atilla Schweizer Tracks ohne Waters’ Gesang veröffentlichen. Vielleicht wird es Ambient- oder Techno-Alben geben – das Material dafür wäre vorhanden. «Im Kern bleiben wir zu dritt», sagt Davide Rizzitelli. Was auch immer entsteht, Mamari wird die Klammer bleiben, die alles zusammenhält. Bis das Licht sie scheidet.