Musik wie Strichzeichnungen: Stahlberger (II)

Den Weltuntergang im Coop erleben oder vom grössten Mann der Welt verarscht werden: Stahlberges neue Platte. Die Analyse zwischen Melodie und Lyrik, von Stoph Ruckli, einem Auswärtigen – nicht etwa Flowiler, sondern Lozärner.
Von  Gastbeitrag

Manuel Stahlberger, der Frontmann des Quintetts, betont immer wieder, dass Stahlberger eine Band ist. Nicht bloss er, der Comiczeichner und Liedermacher, sondern auch seine vier hervorragenden Mitmusiker. Jeder ein Unikat, gerne über die Ostschweizer Grenzen hinaus bekannt: Michael Gallusser, Tontechniker und Kopf des QFLM-Studios, Dominik Kesseli, umtriebiger Musiker in verschiedensten Genres (beispielsweise A Crashed Blackbird Called Rosehip), Christian Kesseli, Musikmanager/Booker/Tourmanager und  Marcel Gschwend, besser bekannt unter dem Namen Bit-Tuner, Bassist sowie Produzent vorwiegend elektronischer Musik.

Zusammen switchen die Musiker von Synthesizern zu Gitarren mit riesigen Effektpedalbrettern vor den Füssen, Drumkübeln, Basssaiten und sogar einer Ukulele. Alle scheinen alles zu können. Erst recht, weil sie richtig «eingegroovt» sind auf dem dritten Stahlberger-Album. Vielversprechend.

Die Songs wechseln wie gewohnt zwischen banal wirkenden Popstücken und sphärisch eindrücklichen Momenten. Vögel beispielsweise; mit sehnsüchtigem Wüstenfeeling, bei dem der Synthesizer einer Lokomotive gleich durch die Nacht rattert. Tanze tanze wiederum wirkt treibend, fast schon gehetzt mit seinem störrischen Disco-Beat. Und bei Flowiler packt Manuel Stahlbergers sogar den inneren Blueser aus, schreit sich das «mir sind Flowiler! aus dem Leib – ein krasser Kontrast, diese Explosion im Vergleich zum sonst eher monotonen Tonfall.

Dieser wiederum erinnert an einen (scheinbar) emotionslosen Beobachter. Doch bereits hier implizieren Stahlberger: Sie konstruieren Musik, bei der nachgedacht wird (und werden muss). Kein technisches, sich beweisen wollendes Protzwunderwerk für endlose Gänsehautmomente, sondern ein Dialektinstrument, welches das Wort nach vorne instruiert, ohne den Boden zu vergessen. So ist das Stimmorgan denn auch glasklar zu hören.

Aus gutem Grund. Denn die Texte sind es, was Stahlberger letztlich definiert. Hierbei kann Die Gschicht isch besser Neuhörer möglicherweise irritieren, etwas makaber und interpretationsbedürftig scheinen manche Texte beim ersten Reinhören. Fans und Experten hingegen werden sich freuen: Die neuen Lyrics wirken wesentlich abstrakter als ihre Vorgänger auf Abghenkt und Rägebogesiedlig, gelten unter Kennern als die am wenigsten greifbaren. Manuel Stahlberger selbst spricht von Strichzeichnungen; ebenso reduziert und punktgenau platziert wirken auch seine Begriffe.

Zwischen Bildern, Wortspielen und sorgsam versteckten Pointen lädt diese Kopflastigkeit wie bereits angesprochen nicht nur zum entspannten Verweilen und Geniessen ein. Wenn beispielsweise vom Grossvater erzählt wird, der plötzlich in der Wohnung hockt, dort deine Flügel sucht und zum Schluss mit dir und John Deere zu Feuerwehrsmusik fährt; dann wirkt das im ersten Moment möglicherweise verwirrend. Wer sich aber darauf einlässt, wird nicht enttäuscht. Zuhören ist wichtig. Fantasie und Realität werden vermengt.

De grööscht Maa überzeugt mit einem seltsam vertrauen Szenario: Der grösste Mann der Welt kommt zu Besuch in ein Städtchen, wo die Hotels extra grosse Betten vorbereiten und in klassischer Gastfreundschaft viel Aufwand betreiben. Doch leider muss der berühmte Gast sofort weiter – ein Alltags-Mini-Drama sozusagen.

Oder die Überlegungen zum Weltuntergang (Wennd Welt untergohd): Man stelle sich vor, ein Meteorit schlägt ein, und die letzte Erinnerung vor dem Tod ist eine gerade geschlossene Klotür. Oder die Frage der Kassiererin nach der Supercard, ein eher makabres Was-wäre-wenn-Szenario.

Zwischen Alltagssequenzen und damit verbundener sanfter Gesellschaftskritik wird beobachtet, thematisiert, skizziert. Stets subtil, nie wirklich laut, immer ohne Vorschlaghammer. Kein Stück wie das andere, jedes mit eigenem Grundtenor.

So ist Die Gschicht isch besser zwar keine Platte für alle Gemütslagen, doch passt jeder Song zu einem bestimmten Gedanken. Liebesquerelen, Tanzabneigung, Panik; alles wird in Stahlberger’scher Art und Weise abgebildet. Der reservierte Charakter hat dabei  durchaus seinen Grund: Stahlberger sind, wie sie in einem Interview gesagt haben, keine Bluffsäcke. Und der Frontmann ist eher das Gegenteil der klassischen Rampensau.

Hier wird nicht mit der grossen Kelle angerichtet, sondern überlegt und konzentriert serviert. Was im Hypestrudel durchaus erfrischend und echt wirkt – echte Unikate eben.

Stahlberger: Die Gschicht isch besser, CD-Taufe: 11. und 12. April, Palace St.Gallen

Foto: Adrian Elsener