, 26. Dezember 2022
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Nachruf auf Dany Rühle

Dany Rühle war einer der ersten und einflussreichsten Schweizer Rockgitarristen. Der St.Galler spielte in legendären Bands wie The Shiver, Deaf und Island. Er ist kürzlich im Alter von 73 Jahren zu Hause in St.Gallen gestorben. Von Pius Frey

Die St.Galler Band Deaf 1971.

Mit Dany Rühle hat uns kürzlich ein wichtiger und einflussreicher St.Galler Musiker verlassen. Er war einer der ersten Schweizer Rockmusik-Pioniere überhaupt. Dany war bekannt und geachtet. Doch Starallüren waren ihm fremd. Zweimal, 1967 und 1968, wurde er zum besten Schweizer Gitarristen gekürt, und zwar wegen der Qualität seines Spiels, nicht wegen grosser Show oder machohaften Auftretens. Dies war ihm fremd. Rühles Gitarrenspiel war der Melodie, den feinen Tönen verpflichtet. Später dann auch experimentell – mit noch nie gehörten Tönen.

Aufgewachsen ist Dany Rühle in einer musikalischen Familie. Sein Vater war Viola-Spieler beim damaligen städtischen Orchester. Dany lernte schon früh verschiedene Musikinstrumente zu spielen. Auch war die Familie offen für neue musikalische Entwicklungen. So ergab es sich, dass Dany 1964, schon mit 15 Jahren, in der Beat-Band The Shivers, der Vorgängerin von The Shiver, Gitarre spielte.

Die erste Rockplatte der Schweiz

Mit der Ende der 60er-Jahre gegründeten Band The Shiver entstand dann auch ein neuer Sound, weg von den Beat-Vorbildern, hin zu einem eigenständigen Rocksound. Und damit wurde Walpurgis von The Shiver 1969 das erste Schweizer Rockalbum, noch vor Krokodil mit ihrem gleichnamigen Erstling, der Ende 1969 erschien. Walpurgis war auch das erste Rockalbum, das vom erst später berühmt gewordenen Künstler H.R. Giger gestaltet wurde. Dany Rühle war der eigentliche Soundentwickler bei The Shiver. In die Musik flossen auch klassische Elemente und eine gehörige Portion Mystik ein. Neben seinem Engagement in der Band war Rühle auch noch als Gitarrenlehrer tätig.

In St. Gallen gab es damals nicht viele Auftrittsorte. Doch der Musikclub Africana war ein wichtiger Treffpunkt. Hier traten verschiedene Bands auf. Und hier gab es auch interessante musikalische Treffen von Dany Rühle und Band mit internationalen Musikern, zum Beispiel mit Champion Jack Dupree.

Mit Deaf zum Star geworden

The Shiver lösten sich 1969 auf und Dany Rühle gründete mit vorzüglichen Musikern die Gruppe Deaf, eine Art Prog-Rock-Band. Ein grosser Teil der Musiker wohnte in einer Musiker:innen-Kommune in einem alten Haus an der Rorschacherstrasse, gleich neben der Geriatrischen Klinik. Heute ist dort ein Parkplatz.

Deaf wurden Kult. Nur schon wie sich die Band formierte und wie sich die Szene bildete, war denkwürdig. Deaf machten neuartige, psychedelische Musik. Passend zu dieser Zeit und anspruchsvoll. Die St.Galler Band schlug richtig ein, Dany Rühle wurde ein Star. Doch ihm selber war das nicht so geheuer. Er und seine Mitstreiter waren nun Profimusiker (siehe auch Artikel im Saiten 1/22). Sie hofften, davon zu leben.

Legndäre Konzerte

Es gab legendäre Auftritte, beispielsweise 1970 am «Sitter-In», einer Art Anti-Hochschul-Ball unten an der Sitter; oder an einem Fest der Progressiven Lehrlinge 1971 im damaligen Uhler-Saal bei der Kreuzbleiche. Dem Wirt fiel nichts Besseres ein, als seinen Hass auf all die Hippies, Polit-Freaks und Rocker dadurch zu äussern, dass er kurzerhand den Strom abstellte. Röhrenverstärker gingen kaputt.

Erfolgreiche Konzerte hatten Deaf auch im Ausland, etwa in den Niederlanden (Paradiso Amsterdam, Insel Texel), aber auch in Deutschland. Ganz vergiftete St.Galler:innen reisten Dany Rühle und seiner Band nach. Übrigens: Der spätere Krokus-Sänger Marc Storace, aus Malta kommend, landete zuerst in St.Gallen bei Deaf. Er zog dann aber bald weiter.

Vom Gitarristen zum Tontechniker

Es war ein hartes Musikerleben. Dany Rühle und seine Kollegen hofften auf bessere Zeiten und nahmen das Projekt Island in Angriff. Die Band bestand von 1973 bis 1977. Anfänglich war bei Island ein grosser Teil der vormaligen Deaf-Mitglieder dabei und Dany Rühle spielte eine wichtige Rolle, gut zu hören etwa auf dem Stück Silent Majority, das auf dem vorzüglichen Swiss-Rock-Sampler Heavenly and Heavy zu finden ist. Doch dann wurden die Ansprüche immer grösser, die Band «verkopfte». Auch durch den Eintritt neuer Profimusiker.

Dany Rühle wurde das zu viel. Er fühlte sich nicht mehr wohl. Bei der Produktion des Island-Albums Pictures, einer Art esoterischer Prog-Rock-Oper, arbeitete er praktisch nur noch im Hintergrund als Tonechniker mit. Diese Tätigkeit löste immer mehr das Gitarrenspiel ab. So war er unter anderem auch Tontechniker beim Open Air 1977 in Abtwil. Oder er begleitete die ganze Tournee der bekannten Musikerin Chi Coltrane, mit der er auch eine Freundschaft pflegte. Später spielte er als Gitarrist in der Band der Unteregger Country-Sängerin Daniela Mühleis. Er war auch Mitproduzent ihrer beiden letzten Alben.

Nach einem leichten Hirnschlag wurde das Gitarrenspiel für Rühle sehr schwierig. Also sattelte er ganz um und wurde zum begnadeten Studiotechniker. Längere Zeit arbeitete er nicht mehr in St.Gallen, sondern im Raum Zürich. Wegen seiner erkrankten Mutter kam er später wieder in seine Heimatstadt zurück und heuerte in Victor Waldburgers Masters Tonstudio auf Dreilinden an. Dort nahm er eine Vielzahl von Bands mit den verschiedensten Stilrichtungen auf. Nach dem Ende von Masters wechselte er 1998 zum Gallus Tonstudio (heute Gallus Media AG), wo er auch noch nach seiner Pensionierung arbeitete.

Grosser Einfluss auf die Schweizer Rockszene

Dany Rühle hatte einen grossen Einfluss auf die Entwicklung der Schweizer Rockmusik-Szene und verfügte über ein grosses Talent. Wichtig machte er sich nie deshalb. Er arbeitete lieber im Hintergrund. Immer für die Musik und das trotzdem mit grossem Einfluss.

Am 28. Oktober dieses Jahres hätte er bei der Vorstellung von Stefan Künzlis Buch Schweizer Rockpioniere in Appenzell als Gesprächspartner auftreten sollen. Daraus wurde leider nichts mehr. So wurde die Buchvorstellung zu einem Gedenkanlass für Dany Rühle. Auch einige seiner früheren Musikkolleg:innen fanden den Weg dorthin. Den Part von Dany übernahm an diesem Abend sein langjähriger Musikpartner und Freund Jack Conrad. Auch er betonte die ruhige, zurückhaltende Art von Dany und seinen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Musikszene. Als Gitarrist, als Tontechniker, als Mensch.

 

Eine Auswahl der wichtigsten Werke:

The Shiver: Walpurgis (1969)

Deaf: Deaf (Aufnahmen von 1970 bis 1972)

Island: Silent Majority (1973; Stück auf dem Sampler Heavenly and Heavy). Pyrrho (Doppel-CD, aufgenommen 1975 (Studio) und 1976 (live im Africana); auf CD 1 ist noch Dany Rühle dabei). Pictures (1977; Dany Rühle nur noch im Hintergrund)

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