, 18. Januar 2023
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Neue Hoffnung auf ein St.Galler «Kulturhaus»

In die Suche nach einem St.Galler Haus für die freie Tanz- und Theaterszene kommt Bewegung. Theaterdirektor Bogen bietet Platz in der Lokremise an – falls das Umbau-Provisorium länger stehen bleiben könnte. Und auch das Zeughaus steht auf der Wunschliste.

Vor der Debatte: Freie Kulturschaffende mit Stadtpräsidentin (vorne rechts) und Theaterdirektor (ganz links) im Kulturraum Pool. (Bild: Ladina Thöni)

Das Thema bewegt: Der Kulturraum Pool ist pumpenvoll, als am Dienstagabend an einem Podium über «(k)ein Haus für die Freien» diskutiert wird. Ein altes leides Thema – aber an diesem Abend nimmt es zumindest eine neue hoffnungsvolle Wende.

Symbolisch dafür: Nach langer Diskussion und Apéro verabschieden sich die Podiumsgäste Rebecca C.Schnyder und Jan Henric Bogen mit einer kurzen Umarmung. Freie Szene und Theaterinstitution kommen sich näher…

Den Stein ins Rollen gebracht hat Stadtparlamentarier Peter Olibet: Er schlägt in einer Einfachen Anfrage vor, den «Umbau», das Provisorium von Konzert und Theater vor der Tonhalle, für weitere drei Jahre stehen zu lassen und als «Labor» für die freie Szene zu nutzen.

SP-Parteikollege Martin Sailer hat im Kantonsrat ebenfalls Fragen zum Provisorium gestellt, nachdem alle drei am Gebäude interessierten Gemeinden (Goldach, Altstätten und Buchs) am Ende abgesagt haben. Beide setzen sich auf dem Podium für eine Rettung des Gebäudes ein. Die politischen Antworten stehen jedoch noch aus.

Pappa bremst, Bogen gibt Gas

Die Antwort gibt es auch von Stadtpräsidentin Maria Pappa an diesem Abend nicht. Pappa hält in ihrer Begrüssungsrede zwar fest, dass das Bedürfnis ausgewiesen ist und das Kulturkonzept 2020 ein «professionell geführtes, spartenübergreifendes Haus» für die freie Szene verspricht. Sie lobt auch den Verein Gemischtes Doppel von Ann Katrin Cooper und Tobias Spori, der den Pool als Produktionsraum betreibt und den Auftrag hat, herauszufinden, welche Bedürfnisse die freie Szene hat.

Andrerseits habe die Stadt einen Investitionsstau, und das Umbau-Provisorium entspreche weder den Bedürfnissen der Freien noch den Möglichkeiten der Stadt: zu gross, zu teuer, und ein anderer Standort nicht in Sicht. Pappas vages Fazit: «Wir sind interessiert, eine Lösung zu finden.»

Eine solche Lösung bringt dann dafür Jan Henric Bogen ins Spiel, der heutige Opern- und künftige gesamtverantwortliche Direktor von Konzert und Theater St.Gallen: Das Theater könnte Raum in der Lokremise freimachen, falls es für den Umbau eine Verlängerung, wie sie Olibet skizziert, gebe.

Lokremise (oben) und das Provisorium Umbau.

Bogen plädiert für eine «Gesamtschau», für ein Miteinander; freies und institutionelles Theater seien für ihn keine Konkurrenten, beide könnten von einer gemeinsamen Nutzung von Lok und Umbau profitieren. Allerdings gebe es Hürden – siehe unten.

Die anschliessende Diskussion auf dem Podium und im Publikum schwankt zwischen Aufbruchstimmung und Skepsis. Die kritischen Punkte sind: Ist das Provisorium geeignet, auch nur für einen befristeten «Labor»-Betrieb? Ist eine Verlängerung möglich? Wie umgehen mit dem Zeitdruck? Wer nimmt den Ball auf? Woher das Geld? Und gibt es Alternativen? Aber der Reihe nach.

Der Umbau: brauchbar oder nicht?

Was die freie Szene benötigt, sind flexible Räume, sagt Ann Katrin Cooper, Pool-Betreiberin und Präsidentin der IG Kultur Ost. Kleine Produktionen im intimen Rahmen sollen ebenso möglich sein wie grosse Auftritte, für hiesige und insbesondere auch für Gastensembles, die aktuell mangels Haus einen Bogen um St.Gallen machen. Modulare Räume, wie sie etwa die Zürcher Gessnerallee bietet: Das wäre das Fernziel.

Flexibel heisse aber auch: Die Freien sind kreativ. Dass sie den Umbau nützen und füllen würden, ist für sie daher keine Frage. Das bekräftigt Podiumsteilnehmerin Rebecca C.Schnyder, Autorin und Mit-Initiantin des neuen Interfestivals «Paula», das im August erstmals (in der Lokremise und an anderen Spielorten) stattfindet.

Paula verstehe sich als Plattform für internationale, aber insbesondere auch für die regionale Szene. Die Festivalplanung habe gezeigt, wieviele Projekte und wieviel Elan in der Ostschweiz da seien. Auf seiner unvollständigen Kontaktliste führt «Paula» nicht weniger als sechzig Akteurinnen und Akteure auf. «Wir hätten kein Problem, das Haus zu füllen.»

Jan Henric Bogen lobt den Umbau als «super Gebäude» und «Glücksfall» für das Theater St.Gallen in der Zeit der Renovation. «Mir täte es weh, wenn er abgerissen würde.» Das bleibt auf dem Podium unbestritten: ein Jammer, einen solchen Bau zu vernichten und mit dem Abbruch eine halbe Million Franken zu verlochen.

Allerdings: Das Provisorium steht mit befristeter Sonderbewilligung in der städtischen Grünzone. Die Bewilligung läuft mit dem Ende der Theaterrenovation dieses Jahr aus. Ob eine Verlängerung möglich sei und wer diese beantragen kann, bleibt am Podium offen. Zuständig dürfte der Kanton sein – ihm gehört das Gebäude.

Die Zeit drängt

Klar ist hingegen: Die Sache pressiert. Am 10. Juni spielt das Theater seine letzte Vorstellung im Umbau (das Musical Wüstenblume), danach würde die Technik ausgeräumt, sagt Jan Henric Bogen. Soll sie gerettet werden und der Umbau weiter nutzbar sein, braucht es rasch eine Reaktion der freien Szene, sind sich die Podiumsgäste einig.

Diese bleibt an dem Abend nicht aus. Aus dem Publikum kommen Vorschläge und Angebote, wie Umbau und Lok bespielt werden könnten. Am Ende des Abends sind drei Flipchart-Plakate eng beschrieben mit Ideen und Angeboten. Theatertruppen und Tänzer:innen, Anlässe wie Tanzplan Ost und Tanzfest, Kulturveranstalter:innen, Institutionen wie Literaturhaus oder Figurentheater und andere verpflichten sich, Produktionen zu realisieren, Trainings, Foren, Debatten durchzuführen.

Viele Ideen für Umbau und Lok. (Bild: Su.)

Den Lead könnte die IG Kultur Ost übernehmen, trotz knapper Ressourcen, sagt Ann Katrin Cooper. Allerdings geben Theaterdirektor wie Freie zu bedenken: Zeitdruck herrscht auch in künstlerischer Hinsicht. Die Programme für die kommende Spielzeit sind weitgehend gemacht. Realistisch scheint ein «Labor»-Betrieb, wenn er denn zustande kommt, ab 2024 zu sein.

Und Bogen relativiert, was Freiräume und Zeitfenster in der Lok betrifft: Diese sei für das Theater weiterhin als Aufführungs- wie auch als Produktionsort essentiell.

Kein Bock auf Gratisarbeit

Neue Initiativen kosten. Das sagt auf dem Podium als erste Rebecca C. Schnyder: Wenn die Szene mobilisiert, wenn Infrastruktur aufgebaut und ein Programm kuratiert werden soll, dann muss diese Arbeit bezahlt sein. Stimmen aus dem Publikum geben ihr recht: Gratisarbeit und prekäre Einkommen sind ein Dauerbrenner in der freien Szene.

Typisch dafür ist die Lokremise. Sie sei nicht nur wegen fehlender Zeitfenster, sondern auch wegen zu hoher Tarife für viele Freie unzugänglich, heisst es aus dem Publikum. Ein künftiges «Labor», wo auch immer, brauche daher ein Budget für den Betrieb und müsse niederschwellig oder gar gratis zugänglich sein.

Gefordert sind also Stadt und Kanton. Von beiden gibt es denn auch ein Commitment für das Haus für die Freien, und dies nicht nur moralisch, sondern politisch verbindlich.

Auch der Kanton ist in der Pflicht

Auf Seiten der Stadt hält das Kulturkonzept 2020 als Massnahme unmissverständlich fest: «Ein professionell geführtes Haus bietet Arbeitsräume und Aufführungs-, Ausstellungs- und Koproduktionsräume für die freie Szene. Es funktioniert spartenübergreifend und ermöglicht Gastspiele auswärtiger Gruppen.»

Auf Seiten des Kantons, am gestrigen Podium nicht genannt, existiert ein ähnliches Bekenntnis. Die Kulturförderstrategie 2020 bis 2027 weist unter Punkt 5.1.4. mit dem Titel «Fördersystem weiterentwickeln» auf die schwierige Situation der freien Szene hin, wenn immer mehr Fördergelder mit Leistungsvereinbarungen an Institutionen gebunden seien. Diese Beiträge verdrängten die freien Projekte, und «in diesem Kontext ist auch ein Manko an Räumen für die freie Szene und besonders den Tanz und das Theater in der Stadt St.Gallen festzustellen».

Als «Handlungsfeld» definiert der Kanton daher: «In den nächsten Jahren ist gemeinsam mit der Stadt St.Gallen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das freie Theater, besonders in der Stadt St.Gallen, zu prüfen – für freie Theatergruppen der Ostschweiz ebenso wie im Austausch mit anderen Städten.»

Im Klartext: Der Kanton muss sich für bessere Probe- und Auftrittsmöglichkeiten und für Gastspiele einsetzen bzw. dies zumindest prüfen. Die Gelegenheit wäre jetzt gekommen.

Und das Zeughaus?

Was braucht die freie Szene? Ann Katrin Cooper, Betreiberin des Pools, stellt zwar fest, dass dieser intensiv genutzt wird. «Aber der Pool ist kein Theater.» Nicht barrierefrei, zu klein, zu niedrig, für öffentliche Anlässe nicht zugelassen, weil sich die Stadt nicht dazu durchringen konnte, den Brandschutz zu verbessern… Auf Dauer seien andere Räume gefragt.

Konkret nennt Ann Katrin Cooper das Zeughaus, aus dem sich das Militär in absehbarer Zeit zurückziehen werde und das am Rand der Kreuzbleiche optimal gelegen sei.

Einwurf von Podiums-Moderator Richi Küttel: Man könnte auch einmal wieder fragen, wie es mit der leerstehenden Leonhardskirche weitergehe.

Das Zeughaus, noch vom Militär genutzt. (Bild: sg.ch)

Bisherige Anläufe, über das Zeughaus zu reden, seien am gesundheitsbedingten Ausfall des zuständigen Regierungsrats Fredy Fässler gescheitert, sagt Cooper. Dieser hatte sich immerhin 2019 im «Tagblatt» so zitieren lassen: «Ich habe immer gesagt, dass ich Verständnis für die Idee habe, das Zeughaus aufgrund seiner Lage und Architektur für eine Bildungs- oder Kulturinstitution zur Verfügung zu stellen. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, dass die Realisierung dieser Idee voraussetzen würde, dass dem Amt für Militär und Zivilschutz alternative Räume zur Verfügung gestellt werden müssten. Bis heute hat aber niemand ein ernsthaftes Interesse an der Liegenschaft Zeughaus gezeigt.»

Ob Zeughaus oder ein anderes mögliches Objekt: Als zwingende Voraussetzung fordert Cooper auf dem Podium, dass der politische Wille für ein «Kulturhaus», wie sie es nennt, vorhanden sei. Was bei einem solchen politischen Bekenntnis an Dynamik möglich wäre, sehe man in Lichtensteig, sagt sie: Kulturschaffende, Gewerbe und ein initiativer Stadtpräsident machten das Städtli zum gegenwärtig lebendigsten Kulturstandort im Kanton.

Dagegen werde in der Stadt seit Jahrzehnten über die Probleme geredet, statt dass man sie anpacke. Cooper appelliert entsprechend eindringlich an Stadt und Kanton, zusammen mit den Kulturschaffenden, mit dem Tourismus und der Wirtschaft Lösungen zu finden. «Alle können voneinander lernen – aber es muss politisch wirklich gewollt sein».

2 Kommentare zu Neue Hoffnung auf ein St.Galler «Kulturhaus»

  • Philipp Stüdli sagt:

    Ich sehe: Geld ist auch in der Kultur ein Thema.
    Wie es in mein Portemonnaie kommt oder auch aus welchem?
    Denke da grad an die aufwendige Saitenreportage aus dem Kanton Apenzell Ausserrhoden und die Russland Connection. Wieso so weit gehen?
    Meines Wissens ist der Kanton St.Gallen Nehmerkanton im kantonalen Finanzausgleich.
    Hoffe dieses Geld braucht es nicht für das Kulturhaus.

    • Philipp Stüdli sagt:

      Ach so, es heisst Nationaler Finanzausgleich und der Kanton St.Gallen hat, grad Grafik überflogen, ziemlich viel bekommen.
      Mehr Bescheidenheit und weniger Fingerzeig fänd ich schön.

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