Vom 13. bis 23. August verwandelt sich die Kreuzbleiche wieder in einen Ort voller Zwischenräume und Begegnungen. Nach zwei Jahren schlägt das Paula Interfestival hier wieder seine Zelte auf – und feiert dabei sein 250. Jubiläum. Wie das sein kann? Nun, das Festival hat sich gleich selbst eine Gründungsgeschichte geschrieben. Diese dreht sich um die (fiktive) Schauspielerin und Sängerin Paula Joy, deren Leben vor zweieinhalb Jahrhunderten in St.Gallen ein tragisches Ende genommen haben soll. Zur Festivaleröffnung wird die eigens geschaffene Legende auf die Bühne gebracht.
«Die Geschichte ist das Ergebnis eines künstlerischen Prozesses», erklärt der künstlerische Festivalleiter Michael Finger im Gespräch mit Saiten. Gemeinsam mit den Künstler:innen des Laboratoire Paul, Frauke Jacobi (Figurentheater St.Gallen), Tim Kahlhammer (Komiktheater) und der Schauspielerin Joy Käser (Komiktheater) sei die Erzählung rund um Paula Joy entstanden. Was genau der Figur widerfahren ist, bleibt offen, nur so viel ist klar: Das Festival versteht sich als Hommage an ihr Leben und Schaffen.
Das Bauchgefühl entscheidet
Nebst der Darbietung rund um die fiktive Ikone bietet das Interfestival ein breit gefächertes Programm: Von Tanz und Theater bis hin zu Performance und Zirkus ist alles dabei. Zudem gibt es verschiedene vom Verein «Das Haus – Raum für die freie Kulturszene» kuratierte Programmpunkte, die im Pool sowie in weiteren Spielstätten gezeigt werden.
Bei der Ausarbeitung des diesjährigen Programms hätten die administrative Leiterin Rebecca C. Schnyder und er besonders darauf geachtet, die nationalen und internationalen Programmpunkte nicht nach einem klaren Konzept zu kuratieren, sagt Finger. Vielmehr seien sie ihrem Bauchgefühl gefolgt. «Natürlich interessiert uns auch die Relevanz eines Stücks», so der 50-Jährige, aber es müsse sie sowohl intellektuell fordern als auch emotional berühren. Nur dann «fällt das Fallbeil der Entscheidung» zugunsten des Stücks.

Ein Blick ins Festivalbüro (Bild: pd/Paula Interfestival)
Regionale Gruppen haben Heimrecht am Interfestival. Das bedeutet, dass die Eingeladenen selbst entschieden, was sie zeigen wollen. Einzige Bedingung ist, dass die Produktion in St.Gallen bisher noch nicht gezeigt wurde. Doch auch hier gilt: keine Regel ohne Ausnahme.
Entstanden ist so ein diverses und inklusives Programm. Das könnte man hervorheben, aber die Festivalverantwortlichen verzichten bewusst auf eine solche Kennzeichnung, weil sie finden, dass das selbstverständlich sein sollte. Ein Statement, das Haltung zeigt, aber vielleicht etwas verkennt, dass Diversität häufig eben nicht einfach so entsteht.
Ironische Selbstliebe
Was hingegen gekennzeichnet wird, sind Programmpunkte, die unter dem Label Selflove laufen: schwedische Massagen, thematisches Trommeln oder Wahrsagerei. Selflove? Der Begriff lässt aufhorchen, steht er doch vor allem für ein kapitalisiertes Wohlfühlversprechen.
Co-Festivalleiter Michael Finger versteht das Label in Bezug auf das Festival allerdings als ein ironisches Konstrukt – mit durchaus wahrem Kern. «Selbstliebe ist gerade in der heutigen Zeit einfach wichtig», erklärt er. Denn mit Selbstliebe kümmere man sich ja immer auch ein bisschen um die Welt. «Es ist geil und wichtig, wenn 20’000 Menschen auf den Strassen protestieren, aber sowas beginnt immer im Inneren.»
Höhepunkte und kleinere Acts
Ein Höhepunkt des diesjährigen Festivals sind die letzten Auftritte von Gardi Hutter alias Hanna. Finger erklärt, dass er die Künstlerin kurzerhand angerufen habe, als er feststellte, dass die Clownin mit ihrer Abschiedstournee nicht nach St.Gallen kommt. Hutter war sofort begeistert und sagte innert 12 Stunden zu.
Ein Glücksfall, auch wenn die grossen Namen nicht ganz ins Festivalkonzept passen, räumt Michael Finger ein. Man wolle sich eigentlich eher auf kleinere Acts fokussieren. Nichtsdestotrotz: «Dass die Grande Dame der freien Szene bei uns die Dernière spielt, ist eine grosse Ehre», sagt er. Zudem zeigt Hutter am Interfestival nicht nur die Hanna-Dernière, sondern probt auch öffentlich ihr neues Stück «gardiZERO».

Gardi Hutter alias Hanna (Bild: pd/Adriano Heitmann)
Und obwohl Hutter nicht der einzige grosse Name am Festival ist – auch das Duo Ursus und Nadeschkin hat Auftritte – gehört die Bühne grösstenteils den kleineren Acts. So zeigt die schweizerisch-brasilianische Tänzerin Elenita Queiroz gemäss Festivalprogramm ein «autobiografisches Solotanzstück über die Komplexität von Mutterschaft».
In der LOK hat die schweizerisch-belgische Künstlerin Moni Wespi über die gesamte Festivaldauer ihr temporäres Atelier aufgeschlagen. Dort kann man der visuellen Künstlerin, Designerin und Choreografin bei der Arbeit zusehen. Weiter zeigt der in Arbon aufgewachsene Künstler Neil Höhener sein Tanzstück An Act, in dem es um die Grenzen von Identität und Geschlecht geht.
Ein Wermutstropfen und ein bisschen Utopie
Es gibt jedoch einen Wermutstropfen: Während nationale und internationale Künstler:innen schnell gefunden waren, sei die Resonanz aus der regionalen Szene auf das Paula Interfestival eher verhalten gewesen, sagt Michael Finger.
Das liegt für ihn nicht am mangelnden Interesse, sondern hat strukturelle Ursachen: «Ich glaube, weil es schon so lange keinen gemeinsamen Raum gibt, haben viele von uns sich gezwungenermassen angewöhnt, sehr für sich zu schauen.» Natürlich habe es auch jene gegeben, die sofort an Bord gewesen seien, und bei vielen habe es einfach aus terminlichen Gründen nicht mit einer Teilnahme am Festival geklappt. Dennoch sagt der Co-Festivalleiter: «Für mich sind das noch viel zu wenige aus der freien Szene, die das Paula wirklich für sich nutzen.» Aber, fügt er versöhnlich hinzu, so etwas brauche eben auch Zeit.
Eine Vision für die Zukunft hat Finger jedenfalls schon: «Wir würden uns eigentlich wünschen, dass die Freien das Festival annektieren. Wir als Veranstalter würden dann noch einige nationale und internationale Acts organisieren, sozusagen die Kirschen auf der Torte.»
Paula Interfestival St.Gallen: 13. bis 23. August, Kreuzbleiche Park, Pool, Flon, LOK, Grabenhalle.
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