Neue Legenden und bekannte Probleme

Das Festival 2023 (Bild: pd/Paula Interfestival)

Das Paula Interfestival bringt vom 13. bis 23. August künstlerische Vielfalt, frische Legenden und Selflove-Ironie auf die (St.Galler) Kreuzbleiche.

Vom 13. bis 23. Au­gust ver­wan­delt sich die Kreuz­blei­che wie­der in ei­nen Ort vol­ler Zwi­schen­räu­me und Be­geg­nun­gen. Nach zwei Jah­ren schlägt das Pau­la In­ter­fes­ti­val hier wie­der sei­ne Zel­te auf – und fei­ert da­bei sein 250. Ju­bi­lä­um. Wie das sein kann? Nun, das Fes­ti­val hat sich gleich selbst ei­ne Grün­dungs­ge­schich­te ge­schrie­ben. Die­se dreht sich um die (fik­ti­ve) Schau­spie­le­rin und Sän­ge­rin Pau­la Joy, de­ren Le­ben vor zwei­ein­halb Jahr­hun­der­ten in St.Gal­len ein tra­gi­sches En­de ge­nom­men ha­ben soll. Zur Fes­ti­val­er­öff­nung wird die ei­gens ge­schaf­fe­ne Le­gen­de auf die Büh­ne ge­bracht. 

«Die Ge­schich­te ist das Er­geb­nis ei­nes künst­le­ri­schen Pro­zes­ses», er­klärt der künst­le­ri­sche Fes­ti­val­lei­ter Mi­cha­el Fin­ger im Ge­spräch mit Sai­ten. Ge­mein­sam mit den Künst­ler:in­nen des La­bo­ra­toire Paul, Frau­ke Ja­co­bi (Fi­gu­ren­thea­ter St.Gal­len), Tim Kahl­ham­mer (Ko­mik­thea­ter) und der Schau­spie­le­rin Joy Kä­ser (Ko­mik­thea­ter) sei die Er­zäh­lung rund um Pau­la Joy ent­stan­den. Was ge­nau der Fi­gur wi­der­fah­ren ist, bleibt of­fen, nur so viel ist klar: Das Fes­ti­val ver­steht sich als Hom­mage an ihr Le­ben und Schaf­fen.

Das Bauch­ge­fühl ent­schei­det

Nebst der Dar­bie­tung rund um die fik­ti­ve Iko­ne bie­tet das In­ter­fes­ti­val ein breit ge­fä­cher­tes Pro­gramm: Von Tanz und Thea­ter bis hin zu Per­for­mance und Zir­kus ist al­les da­bei. Zu­dem gibt es ver­schie­de­ne vom Ver­ein «Das Haus – Raum für die freie Kul­tur­sze­ne» ku­ra­tier­te Pro­gramm­punk­te, die im Pool so­wie in wei­te­ren Spiel­stät­ten ge­zeigt wer­den. 

Die Raumfrage für die Szene bleibt

Ob­wohl im Kul­tur­kon­zept der Stadt St.Gal­len vor­ge­se­hen, feh­len der frei­en Sze­ne nach wie vor fi­xe Räum­lich­kei­ten, nicht nur zum Ar­bei­ten, son­dern auch für Aus­tausch und Sicht­bar­keit. Ver­schie­de­ne Ak­teu­re wie «Das Haus – Raum für die freie Kul­tur­sze­ne» und der Pool set­zen sich seit Jah­ren für ei­ne ent­spre­chen­de In­fra­struk­tur ein, bis­lang al­ler­dings mit we­nig Er­folg.

Aus die­ser De­bat­te ist im Jahr 2023 der Ver­ein «Das Haus» her­vor­ge­gan­gen. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren hat der Ver­ein im­mer wie­der auf die Pro­ble­ma­tik auf­merk­sam ge­macht, sich für den Er­halt des Thea­ter­pro­vi­so­ri­ums ein­ge­setzt und ein fik­ti­ves Pro­gramm ver­öf­fent­licht. Mit der Er­öff­nung der vom Ver­ein «Ge­misch­tes Dop­pel» ge­tra­ge­nen Räum­lich­kei­ten an der Ost­stras­se ist ein ers­ter Schritt ge­macht. Ei­ne lang­fris­ti­ge Lö­sung fehlt je­doch nach wie vor.

Dass es ei­ne ge­mein­sa­me Raum­lö­sung braucht, um die Sze­ne zu stär­ken und bes­ser zu ver­net­zen, da­von ist auch Mi­cha­el Fin­ger über­zeugt. Zu­min­dest für zehn Ta­ge will das Pau­la In­ter­fes­ti­val ein eben­sol­cher Raum sein: «Das Haus» ku­ra­tie­ren am Pau­la In­ter­fes­ti­val das Pro­gramm «Das Haus (r)ost­frei» in dem Prak­ti­ken des Tei­lens, Ver­meh­rens und Ver­schwen­dens ver­han­delt wer­den. Ge­zeigt wer­den ver­schie­de­ne Bei­trä­ge von re­gio­na­len Kunst­schaf­fen­den, zu­dem gibt es ein viel­fäl­ti­ges Be­gleit­pro­gramm. Ge­nau sol­che Ko­ope­ra­tio­nen sind aus Mi­cha­el Fin­gers Sicht un­er­läss­lich, um ein ge­mein­sa­mes Ziel zu er­rei­chen. 

Bei der Aus­ar­bei­tung des dies­jäh­ri­gen Pro­gramms hät­ten die ad­mi­nis­tra­ti­ve Lei­te­rin Re­bec­ca C. Schny­der und er be­son­ders dar­auf ge­ach­tet, die na­tio­na­len und in­ter­na­tio­na­len Pro­gramm­punk­te nicht nach ei­nem kla­ren Kon­zept zu ku­ra­tie­ren, sagt Fin­ger. Viel­mehr sei­en sie ih­rem Bauch­ge­fühl ge­folgt. «Na­tür­lich in­ter­es­siert uns auch die Re­le­vanz ei­nes Stücks», so der 50-Jäh­ri­ge, aber es müs­se sie so­wohl in­tel­lek­tu­ell for­dern als auch emo­tio­nal be­rüh­ren. Nur dann «fällt das Fall­beil der Ent­schei­dung» zu­guns­ten des Stücks. 

Ein Blick ins Festivalbüro (Bild: pd/Paula Interfestival)

Re­gio­na­le Grup­pen ha­ben Heim­recht am In­ter­fes­ti­val. Das be­deu­tet, dass die Ein­ge­la­de­nen selbst ent­schie­den, was sie zei­gen wol­len. Ein­zi­ge Be­din­gung ist, dass die Pro­duk­ti­on in St.Gal­len bis­her noch nicht ge­zeigt wur­de. Doch auch hier gilt: kei­ne Re­gel oh­ne Aus­nah­me.

Ent­stan­den ist so ein di­ver­ses und in­klu­si­ves Pro­gramm. Das könn­te man her­vor­he­ben, aber die Fes­ti­val­ver­ant­wort­li­chen ver­zich­ten be­wusst auf ei­ne sol­che Kenn­zeich­nung, weil sie fin­den, dass das selbst­ver­ständ­lich sein soll­te. Ein State­ment, das Hal­tung zeigt, aber viel­leicht et­was ver­kennt, dass Di­ver­si­tät häu­fig eben nicht ein­fach so ent­steht.

Iro­ni­sche Selbst­lie­be

Was hin­ge­gen ge­kenn­zeich­net wird, sind Pro­gramm­punk­te, die un­ter dem La­bel Sel­fl­ove lau­fen: schwe­di­sche Mas­sa­gen, the­ma­ti­sches Trom­meln oder Wahr­sa­ge­rei. Sel­fl­ove? Der Be­griff lässt auf­hor­chen, steht er doch vor al­lem für ein ka­pi­ta­li­sier­tes Wohl­fühl­ver­spre­chen.

Co-Fes­ti­val­lei­ter Mi­cha­el Fin­ger ver­steht das La­bel in Be­zug auf das Fes­ti­val al­ler­dings als ein iro­ni­sches Kon­strukt – mit durch­aus wah­rem Kern. «Selbst­lie­be ist ge­ra­de in der heu­ti­gen Zeit ein­fach wich­tig», er­klärt er. Denn mit Selbst­lie­be küm­me­re man sich ja im­mer auch ein biss­chen um die Welt. «Es ist geil und wich­tig, wenn 20’000 Men­schen auf den Stras­sen pro­tes­tie­ren, aber so­was be­ginnt im­mer im In­ne­ren.» 

Hö­he­punk­te und klei­ne­re Acts

Ein Hö­he­punkt des dies­jäh­ri­gen Fes­ti­vals sind die letz­ten Auf­trit­te von Gar­di Hut­ter ali­as Han­na. Fin­ger er­klärt, dass er die Künst­le­rin kur­zer­hand an­ge­ru­fen ha­be, als er fest­stell­te, dass die Clow­nin mit ih­rer Ab­schieds­tour­nee nicht nach St.Gal­len kommt. Hut­ter war so­fort be­geis­tert und sag­te in­nert 12 Stun­den zu. 

Ein Glücks­fall, auch wenn die gros­sen Na­men nicht ganz ins Fes­ti­val­kon­zept pas­sen, räumt Mi­cha­el Fin­ger ein. Man wol­le sich ei­gent­lich eher auf klei­ne­re Acts fo­kus­sie­ren. Nichts­des­to­trotz: «Dass die Gran­de Da­me der frei­en Sze­ne bei uns die Der­niè­re spielt, ist ei­ne gros­se Eh­re», sagt er. Zu­dem zeigt Hut­ter am In­ter­fes­ti­val nicht nur die Han­na-Der­niè­re, son­dern probt auch öf­fent­lich ihr neu­es Stück «gar­di­ZE­RO».

Gardi Hutter alias Hanna (Bild: pd/Adriano Heitmann)

Und ob­wohl Hut­ter nicht der ein­zi­ge gros­se Na­me am Fes­ti­val ist – auch das Duo Ur­sus und Na­desch­kin hat Auf­trit­te – ge­hört die Büh­ne gröss­ten­teils den klei­ne­ren Acts. So zeigt die schwei­ze­risch-bra­si­lia­ni­sche Tän­ze­rin Ele­ni­ta Quei­roz ge­mäss Fes­ti­val­pro­gramm ein «au­to­bio­gra­fi­sches So­lo­tanzstück über die Kom­ple­xi­tät von Mut­ter­schaft». 

In der LOK hat die schwei­ze­risch-bel­gi­sche Künst­le­rin Mo­ni Wespi über die ge­sam­te Fes­ti­val­dau­er ihr tem­po­rä­res Ate­lier auf­ge­schla­gen. Dort kann man der vi­su­el­len Künst­le­rin, De­si­gne­rin und Cho­reo­gra­fin bei der Ar­beit zu­se­hen. Wei­ter zeigt der in Ar­bon auf­ge­wach­se­ne Künst­ler Neil Hö­he­ner sein Tanz­stück An Act, in dem es um die Gren­zen von Iden­ti­tät und Ge­schlecht geht.

Ein Wer­muts­trop­fen und ein biss­chen Uto­pie

Es gibt je­doch ei­nen Wer­muts­trop­fen: Wäh­rend na­tio­na­le und in­ter­na­tio­na­le Künst­ler:in­nen schnell ge­fun­den wa­ren, sei die Re­so­nanz aus der re­gio­na­len Sze­ne auf das Pau­la In­ter­fes­ti­val eher ver­hal­ten ge­we­sen, sagt Mi­cha­el Fin­ger.

Das liegt für ihn nicht am man­geln­den In­ter­es­se, son­dern hat struk­tu­rel­le Ur­sa­chen: «Ich glau­be, weil es schon so lan­ge kei­nen ge­mein­sa­men Raum gibt, ha­ben vie­le von uns sich ge­zwun­ge­ner­mas­sen an­ge­wöhnt, sehr für sich zu schau­en.» Na­tür­lich ha­be es auch je­ne ge­ge­ben, die so­fort an Bord ge­we­sen sei­en, und bei vie­len ha­be es ein­fach aus ter­min­li­chen Grün­den nicht mit ei­ner Teil­nah­me am Fes­ti­val ge­klappt. Den­noch sagt der Co-Fes­ti­val­lei­ter: «Für mich sind das noch viel zu we­ni­ge aus der frei­en Sze­ne, die das Pau­la wirk­lich für sich nut­zen.» Aber, fügt er ver­söhn­lich hin­zu, so et­was brau­che eben auch Zeit.

Ei­ne Vi­si­on für die Zu­kunft hat Fin­ger je­den­falls schon: «Wir wür­den uns ei­gent­lich wün­schen, dass die Frei­en das Fes­ti­val an­nek­tie­ren. Wir als Ver­an­stal­ter wür­den dann noch ei­ni­ge na­tio­na­le und in­ter­na­tio­na­le Acts or­ga­ni­sie­ren, so­zu­sa­gen die Kir­schen auf der Tor­te.»

Pau­la In­ter­fes­ti­val St.Gal­len: 13. bis 23. Au­gust, Kreuz­blei­che Park, Pool, Flon, LOK, Gra­ben­hal­le.
sai­ten.ch/ka­len­der