, 9. Januar 2015
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Nicht einfach pumpen, sondern die Stadt neu entdecken

Was sind das eigentlich für Typen, die sich sogar im Winter auf der Trainingsanlage beim Volksbad abquälen? Sie sehen sich nicht als reine Fitnessfreaks, sondern wollen auch die Stadt neu entdecken.

Vor dem St.Galler Volksbad treffen sich täglich meist junge Männer in Kapuzenpullis, manchmal hat einer eine Musikbox dabei, aus der Hip Hop pumpt. Sie sehen ein bisschen aus wie Breakdancer oder Boxer, drahtig, breitschultrig, grimmig entschlossen.

Treffpunkt ist ein Gestell aus Eisenstangen. An dieser Street Workout-Anlage werden scheinbar in Endlosschlaufe Klimmzüge gerissen, Liegestütze gedrückt, Beine angehoben, bis sich Gesichter vor Schmerz verziehen.

Dieses Fitnesscenter der Strasse ist nicht für jeden gemacht: Manchmal ein bisschen dreckig und jetzt gerade ziemlich kalt, dafür aber gratis und immer verfügbar – und ein Ort, an dem auch Freundschaften entstehen.

 

Fortgeschrittene auf der St.Galler Street Workout-Anlage:

 

Therapie für «schwere Jungs»

Die Szene, die sich seit dem Bau der Trainingsanlage vor rund zwei Jahren entwickelt hat, will mehr sein als blosse Fitnessfreaks: Es gehe auch darum, kreative Bewegung in der Stadt zu ermöglichen – und den urbanen Lebensraum so neu zu entdecken, sagt Roman Rindisbacher (33), Gründungsmitglied des Vereins Street-Workout.com und Architekt, im Interview.

Saiten: Roman, euer Training wirkt nicht gerade lustig. Woher kommt die Motivation, sich fast täglich mit Klimmzügen und ähnlichem zu schinden?

Roman Rindlisbacher: Vielleicht sieht es nicht so aus, aber Spass ist wichtig beim Street Workout. Wenn man in der Gruppe trainiert und sich gegenseitig antreibt, fällt vieles leichter. Wenn man ein gewisses Niveau erreicht hat, kann man zudem spielerische Elemente einbauen.

Viele trainieren wohl einfach für den nach aussen perfekten Körper – der ja gerade bei Jugendlichen immer gefragter ist.

Einigen geht es wohl darum. Wer viel Muskelmasse aufbauen will, ist beim Street Workout aber eher am falschen Ort. Hier geht es darum, kräftig zu werden un dein gutes Körpergefühl zu haben, das man auch sonst beim Sport brauchen kann. Ich zum Beispiel fahre Snowboard und Skateboard, dort hilft es mir, wenn ich in Form bin.

Auffallend ist, dass die Anlage fast immer gut besucht ist. Welches Potential siehst du in der Szene?

Tatsächlich ist seit der Eröffnung der Anlage in St.Gallen – der ersten der Schweiz – viel passiert: Ähnliche Anlagen stehen heute in Goldach, auf dem Irchel in Zürich und in Bern. Ziel ist, dass jede Stadt in der Schweiz dereinst eine hat. Entwickelt haben wir die Anlage in Eigenregie mit der Toggenburger Firma Alder+Eisenhut, die wohl jeder noch vom Turnunterricht aus der Schule kennt.

Auf der Trainingsanlage treffen sich verschiedenste Leute, man kommt leichter miteinander ins Gespräch, als etwa in Fitnesszentren.

Das ist tatsächlich ein wichtiger Teil unseres Sports. Dank ihm haben sich in St.Gallen Leute kennen gelernt, die sonst nichts miteinander zu tun hätten: Bei uns machen Büezer, Ärzte, Studenten, Schweizer und Ausländer mit, rund ein Fünftel davon sind Frauen. Ich weiss auch von «schweren» Jungs bei uns, die früher viel Scheiss gebaut haben und heute durch das Training fokussierter und offener geworden sind.

Euer Sportplatz liegt mitten in der Stadt, manchmal sieht man euch auch an Wäschestangen oder Fussballtoren trainieren. Seht ihr euch auch als Entdecker der Stadt und ihrer Plätze?

Ja, denn wenn du Street Workout machst, gehst du mit offeneren Augen durch die Stadt und nimmst sie anders wahr. Die Stadt ist voller Möglichkeiten. Zudem sind in Zeiten, in denen immer mehr Leute und mehr Verkehr in die Stadt drängt, zentrumsnahe Sportmöglichkeiten wichtig. Und weil du bei uns fast nichts brauchst, ausser deinem Körper, machen wir mit Street Workout einen Schritt zurück zum Einfachen – etwas, dass in unserer Gesellschaft ja auch immer gefragter ist.

Wie geht es mit Street Workout in der Pionierstadt St.Gallen weiter?

Es gab mal die Idee, einen zweiten Park zu eröffnen, am liebsten auf der Kreuzbleiche. Obwohl uns die Stadt unterstützt hat beim Bau des ersten Parks, halte ich einen zweiten derzeit eher nicht für realistisch. Wichtig ist uns, dass der Park für alle offen ist. Um korrektes Training zu fördern, halten wir zudem immer wieder mal einen Workshop ab. Zudem sind wir nach wie vor dabei, uns schweizweit zu vernetzen und Ideen umzusetzen. So bilden wir etwa Sportlehrer aus, die Street Workout dann in den Turnunterricht einbauen können.

 

Weitere Infos: street-workout.com

Bild: Roman Rindisbacher auf der Street Workout-Anlage, upz.

1 Kommentar zu Nicht einfach pumpen, sondern die Stadt neu entdecken

  • Kurt sagt:

    Das ganze ist schön und toll, aber wäre super wenn man neben dran noch sitzen könnte. also ein sitzbank wäre sicher kein schlechter idee vlt.

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