Protest, Parade und Party

Die Fahnen am Waaghaus sind das bisher einzige sichtbare Zeichen der St.Gallen Pride in der Stadt. Eine Gassenbeflaggung war nicht möglich. (Bild: agi)

Seit der ersten St.Gallen Pride vor zwei Jahren hat die Stadt verschiedenen queeren Anliegen eine Absage erteilt – unter anderem die Beflaggung der Gassen mit der Regenbogenfahne. Diesen Samstag findet die Pride zum zweiten Mal statt.

«Das Sym­bol der Pri­de­fah­ne hält uns vor Au­gen, wie ein rea­lis­ti­scher und un­ver­klär­ter Blick auf die Welt und die Men­schen aus­sieht: Wir sind viel­fäl­tig!» An der ers­ten St.Gal­ler Pri­de vom 12. Au­gust 2023 hielt Ma­ria Pap­pa ei­ne Re­de. Die­se han­del­te von Selbst­be­stim­mung, Gleich­be­rech­ti­gung und To­le­ranz. Pap­pa sprach dar­über, dass Mei­nun­gen auch mal re­vi­diert wer­den kön­nen und dass es ei­ne Fra­ge des Wil­lens ist, uns in To­le­ranz zu üben. «Das be­deu­tet Ar­beit und wird un­be­quem wer­den.» Zwi­schen­ap­plaus. 2500 Men­schen de­mons­trier­ten da­mals un­ter dem Mot­to «Zeit, Far­be zu be­ken­nen».

Seit­her gab es auf städ­ti­scher Ebe­ne im­mer wie­der For­de­run­gen, die von quee­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen und ei­ni­gen Par­tei­en un­ter­stützt wur­den. Die Ein­füh­rung des LGBTI-La­bels et­wa, das die Stadt­ver­wal­tung auf ih­re Que­er­freund­lich­keit ge­prüft hät­te. Oder die For­de­rung nach ei­nem Mel­de­tool ge­gen se­xu­el­le Be­läs­ti­gung und Hass­ver­bre­chen. Auch die Safer-Sex-In­itia­ti­ve der Jun­gen Grü­nen, die für Jun­ge kos­ten­lo­se Tests auf se­xu­ell über­trag­ba­re Krank­hei­ten ein­füh­ren will. Al­les Ideen, die in an­de­ren Schwei­zer Städ­ten be­reits um­ge­setzt sind. Die St.Gal­ler Po­li­tik je­doch lehn­te al­le die­se For­de­run­gen ab.

Kei­ne Re­gen­bo­gen in den Gas­sen

Am meis­ten Wir­bel ver­ur­sach­te in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten je­doch der Knatsch um die Gas­sen­be­flag­gung. Die Or­ga­ni­sa­tor:in­nen der dies­jäh­ri­gen Pri­de woll­ten die St.Gal­ler Gas­sen mit Re­gen­bo­gen­flag­gen schmü­cken. Ähn­lich, wie das an­de­re Städ­te (Zü­rich, Bern, Win­ter­thur oder Bre­genz) ma­chen. Doch das Gas­sen­be­flag­gungs­re­gle­ment der St.Gal­ler Stand­ort­för­de­rung macht dem Plan ei­nen Strich durch die Rech­nung: Ak­ti­ons­ta­ge und po­li­ti­sche State­ments sind nicht er­laubt. Da­mit sind so­gar ei­ge­ne städ­ti­sche Ver­an­stal­tun­gen wie der Kin­der­rechts­tag oder die Ak­ti­ons­ta­ge ge­gen Ras­sis­mus aus­ge­schlos­sen. Nur am Waag­haus und an den Bu­sen sei ei­ne Be­flag­gung mög­lich, ant­wor­te­te der Stadt­rat auf ei­ne über­par­tei­li­che In­ter­pel­la­ti­on aus dem Stadt­par­la­ment.

«Wir woll­ten nicht auf­ge­ben, schliess­lich ist ei­ne Be­flag­gung am St.Gal­len Sym­po­si­um oder an der Ol­ma auch mög­lich» er­klärt An­drea Cal­za­va­ra, Co-Prä­si­den­tin der St.Gal­len Pri­de. «Bei­des sind ja kei­ne un­po­li­ti­schen Ver­an­stal­tun­gen.» An­statt Re­gen­bo­gen­flag­gen soll­te nur das Lo­go der Pri­de auf die Fah­nen, die die Pri­de als Fes­ti­val be­wer­ben wür­den. «Die Pri­de ist ja nicht nur der Um­zug, son­dern auch ein Fest für al­le, mit ei­nem reich­hal­ti­gen kul­tu­rel­len Pro­gramm», so Cal­za­va­ra. Doch auch da stiess man auf Ab­leh­nung.

Auf An­fra­ge von Sai­ten schreibt die Me­di­en­stel­le der Stadt, dass sich der Stadt­rat «ak­tiv und öf­fent­lich ein­setzt, dass St.Gal­len ei­ne Stadt ist, in der Viel­falt und To­le­ranz ge­lebt wer­den». Er be­ken­ne sich auch zur Pri­de und un­ter­stüt­ze die­se aus dem För­der­kre­dit der Dienst­stel­le Ge­sell­schafts­fra­gen mit 5000 Fran­ken. 

«Das Geld brau­chen wir, um In­fra­struk­tur, Si­cher­heits­kräf­te und die Ga­gen der Künst­ler:in­nen zu zah­len. Die Pri­de ist nicht kom­mer­zi­ell und aus­schliess­lich mit Frei­wil­li­gen­ar­beit or­ga­ni­siert», er­klärt An­drea Cal­za­va­ra. Auf die Be­flag­gung der Bu­se, die ja dann nur für ei­nen Tag wä­re, ha­be man ver­zich­tet. Und auch die bei­den Flag­gen am Waag­haus woll­te die Stadt nicht sel­ber auf­hän­gen. «Wir konn­ten sie von der Stadt Zü­rich aus­lei­hen, sie wa­ren in ei­nem kur­zen Te­le­fon­ge­spräch or­ga­ni­siert.» Auf­hän­gen las­sen muss­ten die Fah­ne dann die Ver­ant­wort­li­chen der Pri­de sel­ber – we­gen der He­be­büh­ne kos­te­te das Vor­ha­ben meh­re­re hun­dert Fran­ken.

So­li­da­ri­tät kos­tet

War­um be­zahlt die Stadt St.Gal­len die Be­flag­gung am Waag­haus nicht selbst? Schliess­lich geht es um ein so­li­da­ri­sches Zei­chen. «Die Ver­an­stal­ten­den sind frei dar­in, wo­für sie den För­der­kre­dit ein­set­zen», heisst es von der Stadt. Und: «Ver­an­stal­ten­de kom­men selbst für ih­re Wer­be­kos­ten auf. Es wä­re ein Prä­ju­diz, wenn der Stadt­rat die Kos­ten in die­sem Fall über­neh­men wür­de.»

Trotz För­der­kre­dit, den bei­den Flag­gen am Waag­haus und den schö­nen Wor­ten von Viel­falt und To­le­ranz bleibt die Fra­ge: War­um ist ei­ne Gas­sen­be­flag­gung hier so kom­pli­ziert? Der Stadt­rat könn­te auch ein­fach sa­gen: Re­gen­bo­gen­fah­nen fin­den wir gut – hän­gen wir sie aus. Wie bei den Ukrai­ne-Fah­nen im Jahr 2022, die am Amts­haus und am Waag­haus hin­gen. Auf den Ver­gleich an­ge­spro­chen, ant­wor­tet der die Stadt: «Das Aus­hän­gen der Flag­gen am Amts­haus ist oh­ne Hilfs­mit­tel durch den Haus­dienst mög­lich. Es fal­len des­halb kei­ne ex­ter­nen Kos­ten an. Beim Waag­haus ist das An­brin­gen der Fah­nen nur mit ei­ner He­be­büh­ne mög­lich. Die­se Kos­ten wer­den den Ver­an­stal­ten­den wei­ter­ver­rech­net.» Am Amts­haus hing an der ers­ten Pri­de tat­säch­lich auch ei­ne Re­gen­bo­gen­flag­ge. Ob sie die­ses Jahr wie­der hängt, wird sich am Sams­tag zei­gen.

Nach­dem be­kannt war, dass es kei­ne Gas­sen­be­flag­gung ge­ben wür­de, star­te­ten die Or­ga­ni­sa­tor:in­nen ei­ne ei­ge­ne Fah­nen-Ak­ti­on. Sie rie­fen die Be­völ­ke­rung und das St.Gal­ler Ge­wer­be da­zu auf, selbst Re­gen­bo­gen­flag­gen zu his­sen. Sie star­te­ten ei­ne Ver­sand­ak­ti­on mit Flag­gen aus der Fah­nen­fa­brik Se­ve­len. «Die Ak­ti­on lief su­per. Es gibt noch ei­nen Rest, den wir an der Pri­de selbst ver­kau­fen wer­den.» Und dort ist un­ter den Red­ne­rin­nen wie­der da­bei: Stadt­prä­si­den­tin Ma­ria Pap­pa.

 

Das Mot­to der dies­jäh­ri­gen St.Gal­len Pri­de ist «Lie­be kennt kei­ne Gren­zen, Viel­falt kei­ne Mau­ern». Um 13 Uhr be­ginnt der De­mons­tra­ti­ons­um­zug durch die Alt­stadt, Treff­punkt ist beim Va­di­an-Denk­mal. Ab 14.30 läuft das Fes­ti­val im St.Le­on­hard­spark mit Mu­sik, Drag, Tanz, Co­me­dy und Re­den. In der Gra­ben­hal­le steigt ab 22 Uhr die Af­ter­par­ty. 

Trans­pa­renz­hin­weis: Der Au­tor hat ei­ne In­ter­es­sen­bin­dung zur St.Gal­len Pri­de. Er war Vor­stands­mit­glied und ist nach wie vor re­gu­lä­res Mit­glied.

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