, 31. Juli 2012
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Rasante Fahrt durch den Senegal

Minibusse können viele Namen haben. Dalla-Dalla heissen sie in Tansania, Matatu in Kenia und die Äthiopier nennen sie inoffiziell Al-Qaida – aus naheliegenden Gründen. Im Senegalesischen Film «TGV» geht es um eine temporeiche Fahrt mit einem solchen Bus. Doch das Selbstmörderische liegt nicht in der überhöhten Geschwindigkeit, die der Fahrer Rambo aus dem klapprigen Gefährt […]

Minibusse können viele Namen haben. Dalla-Dalla heissen sie in Tansania, Matatu in Kenia und die Äthiopier nennen sie inoffiziell Al-Qaida – aus naheliegenden Gründen. Im Senegalesischen Film «TGV» geht es um eine temporeiche Fahrt mit einem solchen Bus. Doch das Selbstmörderische liegt nicht in der überhöhten Geschwindigkeit, die der Fahrer Rambo aus dem klapprigen Gefährt herauspresst (sein Bus hat er ja auch mit «Plus vite que TGV tu exploses» beschriftet), sondern in der Destination der Reise. Von Dakar aus soll der Bus durch das Gebiet der rebellierenden Bijagos nach Conakry in Guinea fahren.

Wer jetzt nicht mehr weiterlesen mag, weil ihm die Lust am Film schon gehörig vergangen ist – weil «Hotel Rwanda» oder «The Last King of Scotland»-Erinnerungen hochsteigen –, tut besser daran dem ersten Gefühl nicht nachzugeben, denn der Film ist alles andere als schwere Kost. Er ist köstlich leicht und noch immer so frisch wie vor fünfzehn Jahren, als ihn der senegalesische Regisseur Moussa Touré geschaffen hat.

Rambo lässt sich sein Geschäft von ein paar Aufständischen nicht versauen und fährt trotz eindringlicher Warnungen des Militärs in Richtung Guinea los – und mit ihm eine unerschrockene Reise-Truppe, exzentrisch und exquisit. Möglicherweise kann man es eine abgeschwächte Form des Stockholmsyndroms nennen, die Solidarität auf Zeit die eine Reisegesellschaft befällt. Rambos Passagiere brauchen dazu länger als üblich.

Die Schönheit mit Rollköfferchen und rotem Schal schweigt beharrlich. Der schwitzende Bauer, der mit seinen Schafen als Brautgeld zu seiner fünften Ehefrau unterwegs ist, misstraut seinen Mitreisenden und hockt bald mit einem historisch interessanten Gewehr da. Zwei Marabuts, zwei religiöse Führer, versuchen sich gegenseitig mit ihren Künsten in den Schatten zu stellen und ein trinkender Dealer verwickelt nur all zu schnell den ganzen Bus in seine persönlichen Probleme. Doch damit nicht genug. Unterwegs gabeln Rambo und sein Gehilfe Demba, den flüchtenden ehemaligen Finanzminister mitsamt Frau auf. Komplett machen die illustre Reisegesellschaft zwei Historiker aus Frankreich und die Marabuts sind sich plötzlich doch einig.

«TGV» als einen bloss amüsanten Film anzusehen verfehlt ihn jedoch genauso, wie ihn als «zu wenig afrikanisch» abzuqualifizieren (was Moussa Touré in Europa anfänglich vorgeworfen wurde). Dem Film unterliegt eine sehr wohl subtilere aber keinesfalls unsichtbare kritische Ebene. Die Geringachtung der Frauen durch die religiösen Gemeinschaften. Das vorurteilbehaftete Zusammentreffen der Senegalesen und der Franzosen, die Europäer die sich interessieren aber nicht kümmern und alles zur Forschungsfrage degradieren. Der Alkohlkonsmus und die frühen Verheiratungen von Mädchen. Nichts davon wird unter den Teppich gewischt, sondern mundgerecht aufgetischt. Der Film wird dabei trotzdem nie aufklärerisch oder belehrend und verweigert sich einem anklagenden Standpunkt.

Das feine Handling Moussas auch schwere Filmthemen in eigenwilligen und einnehmenden Charakteren zu erzählen, lässt auf seinen neusten Film gespannt warten, der dieses Jahr in Cannes gezeigt wurde. In «La Pirogue» geht es um ein anderes Selbstmordkommando, um eine andere Reisegemeinschaft. Ihr Vehikel ist nicht der Minibus, ihr Ziel nicht Guinea, sondern ein Boot mit der Destination Europa. Filmstart ist im November in der Romandie. Bis dahin gilt es unbedingt «TGV» nicht verpassen.


 *

Das Cinema Sud von Helvetas zieht nicht mit einem Minibus sondern mit zwei Velos und den Filmen «TGV» und «Tambien La Lluvia» im Gepäck im August durch die Schweiz. Im Osten radeln die zwei Operateure und Organisatoren Marylaure Décurnex und Jorrit Bachmann mehrmals vorbei:

Landsgemeindeplatz Trogen.
«TGV». Donnerstag, 2. August, 21.30 Uhr.
Sitzgelegenheiten müssen selber mitgebracht werden.

Alter Fährenplatz Romanshorn.
«Tambien La Lluvia». Freitag, 3. August, 21.15 Uhr und Samstag, 4. August, 23.15 Uhr.
«TGV». Freitag, 3. August, 23.15 Uhr.

Kapuzinerzipfel Rapperswil.
«TGV». Sonntag, 12. August, 21.15 Uhr.
«Tambien La Lluvia». Montag, 13. August, 21.15 Uhr.

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