, 25. Oktober 2014
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Rundfahrt durch die Hasenstube

X = Hase: So heisst das Stück, mit dem die neue Tanzchefin Beate Vollack am Theater St. Gallen am Freitagabend Einstand hielt. Stefan Späti hat vielfältige Tanzbilder und eine Menge neuer Gesichter gesehen – und ein bisschen Geisterbahn.

Wie eine Einladung ins Wohnzimmer von freundlichen Fremden: So fühlt es sich an, wenn man die Szenerie der neuen Tanzproduktion in der Lok betritt. «Bitte die Schuhe ausziehen und ins Regal stellen», heisst es am Eingang. Es ist die Aufforderung, sich in den nächsten 90 Minuten auf der fellbezogenen Zuschauertribüne möglichst heimisch und wohl zu fühlen.

Den Startschuss setzt die neue Chefin selbst: Sie zieht an einer Strippe und lässt einen Stoffhasen aus einem hängenden Glaskasten auf den Boden plumpsen: Die neue Compagnie – der X-Faktor – ist bereit, ihr Gesicht zu zeigen. Das Licht geht aus, und schon fühlt man sich wie in der Geisterbahn. Die Drehbühne setzt sich in Bewegung und bugsiert die Zuschauer in den hinteren Teil des Bühnenraums. Dort halten sich die Tänzerinnen und Tänzer in einer Reihe bereit, in blauen Arbeiteranzügen, Gesichter und Hände hinter Strümpfen verborgen. Es ist das erste von insgesamt zwölf Bildern, die vom surrealistischen Werk der deutsch-schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim inspiriert sind. Der Titel «X = Hase» bezieht sich auf eine Gleichung, die Oppenheim als Schülerin zu lösen hatte. Anstatt eine Zahl zu schreiben, zeichnete sie einen orangen Hasen in ihr Mathematikheft.

xhase_35Komplett durchtanzter Raum

Die Choreografie von Beate Vollack macht über weite Strecken auf Tempo, die Bewegungen sind langgliedrig und dynamisch. Kaum hat sich ein Arm oder ein Bein in eine Richtung gedehnt, reisst sich der Körper herum und Gliedmassen und Muskeln strecken sich in die entgegengesetzte. Akrobatische Elemente und schnelle Bewegungsabläufe wechseln sich mit fliessenden Drehungen und weiten Sprüngen ab.

Es ist ein echtes Ensemblestück, mit dem sich die neue Compagnie in St.Gallen vorstellt. Vollack und ihr Bühnenbildner Kinsun Chan nutzen den Raum bis in die hintersten Winkel. Zum Sounddesign von Mevlana van Vark (eine Kombination aus Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung und elektronischen Rhythmen) wirbeln die Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne, zwängen  ihre Körper in kleine Kästen oder begaffen in einem grossen Kreis die Zuschauer, die sich auf den kuschligen Fellbänken in ihrer Mitte drehen. Choreografie und Inszenierung ziehen alle Register. Stepp-Rhythmen dröhnen durch den Saal, Scheinwerfer zeichnen die Schatten der Tanzenden in Übergrösse an die Wand, Requisiten steuern das Geschehen auf der Bühne.

Da ist viel drin, manchmal etwas gar viel. So sind es dann die kurzen Soli, etwa von Exequiel Barreras, Robina Steyer oder David Schwindling, die einen Kontrapunkt zur allgemeinen Rastlosigkeit setzen und es dem Betrachter erlauben, sich nur auf eine Person und ihre Bewegungen einzulassen. Bei aller Energie und Dynamik fehlt es der neu aufgestellten Truppe stellenweise noch etwas an gemeinsamer Identität in Bewegungsvokabular und Synchronie. Zeit zum Zusammenwachsen ist in dieser noch jungen Spielzeit jedoch reichlich vorhanden.

Die Schuhe bleiben

Die Rundreise geht weiter, immer wieder ein Stopp mit getanztem, angedeutetem Bild, bis schliesslich die neue Chefin selbst in Aktion tritt. Als Koch mit übergrosser Mütze, versteckt hinter buschigen Augenbrauen und Schnauzbart, hantiert sie zur Stimme von Schauspieler Christian Hettkamp mit Töpfen und Kellen. Ein Charakter, der ebenso von Oppenheim inspiriert ist und der in seiner kleinen, angedeuteten Küche zu Alice im Wunderland passen würde.

xhase_03Und genau dort wähnt man sich zum Schluss des Stückes, nachdem die Rundreise zu Ende ist und sich das Regal mit den Publikumsschuhen wie durch ein Wunder in der Höhe verdreifacht hat. Die Tänzerinnen und Tänzer verlassen nach und nach die Bühne, ihre Schuhe lassen sie zurück. Ein treffendes Schlussbild, das die Ankunft der neuen Compagnie beim Publikum versinnbildlicht. Man darf gespannt sein, was die experimentierfreudige Beate Vollack mit ihren Tänzerinnen und Tänzern in Zukunft noch so alles auf die St.Galler Bühnen bringt.

Bilder: Andreas J.Etter. Infos: www.theatersg.ch

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