, 23. September 2022
2 Kommentare

«Selbständiges Buchhändlern ist eine Lebensform»

17 Jahre nach der Gründung übergibt Leonie Schwendimann die St.Galler Buchhandlung zur Rose in neue Hände. Ein Gespräch über Bücher, Buchmarkt und Buchhaltung. Von Eva Bachmann

Leonie Schwendimann vor ihrer Buchhandlung. (Bilder: Dan Van de Gaer)

Saiten: Als Buchhändlerin bist Du Verkäuferin, Geschäftsführerin, Leserin, Veranstalterin. Was davon am meisten?

Leonie Schwendimann: Ich bin Unternehmerin, die Buchhandlung ist mein Erwerb. Also muss ich die Buchhaltung führen, mit dem Treuhänder oder der Versicherung reden, Personalfragen bearbeiten. Zum Einkaufen sitzt man stundenlang mit den Verlagsvertretern zusammen, geht die ganze Produktion durch und fällt tausende Entscheidungen: nein, ja, ein Exemplar, zwei, zehn … Die Geschäftsführung frisst viel Zeit, darum wollte ich nie eine grössere Buchhandlung. Ich möchte auch im Laden sein und mit den Kund:innen über Bücher reden. Denn eine Buchhandlung ist ein kultureller Ort von Begegnung, Leser:innen treffen sich hier. Und im Gespräch über Leseerlebnisse werden die Beziehungen rasch persönlich. So haben die Bücher und die Menschen im Laden meinen Horizont sehr weit gemacht.

Verstehst Du Dich und die «Rose» als Teil der Literaturszene der Stadt?

Ja unbedingt. Ich will in der Stadt präsent sein, mich in dieser Szene bewegen und ins Gespräch kommen mit jenen, die sich auch für Literatur interessieren. Zudem habe ich selber Gäste ins Haus geholt für Lesungen unten im Keller. Diese persönlichen Begegnungen mit Autorinnen und Autoren waren immer sehr schön und wurden geschätzt.

Was ist das Geheimnis der Auswahl der Bücher auf dem Ladentisch?

Was auf den Ladentisch kommt, hat eine von uns gelesen und findet es gut. Es kann auch ein Buch sein, das aktuell in den Medien im Gespräch ist. Und dann will ich das Regionale pflegen, das macht uns unverwechselbar. Bestsellerlisten hingegen sind für uns kein Thema. Wir machen unsere eigenen Bestseller, indem wir Bücher lesen und sie empfehlen. Unsere Kundschaft ist fast ein bisschen verwöhnt auf Beratung. Da habe ich auf dem Ladentisch gern das, worüber ich mit den Leuten sprechen möchte. Zum Beispiel das neue «orte»-Heft über Fred Kurer. Das hat etwas mit uns, mit dieser Stadt zu tun – und das möchte ich gern zeigen und verbreiten.

Du bist seit mehr als 40 Jahren Buchhändlerin. Was hat sich verändert?

Das Geschäft ist kurzlebiger geworden, es werden unsinnig viele Bücher produziert. Aber dieses Warengeschiebe hin und her, das interessiert mich eigentlich weniger. Bei uns kann ein Lyrikband von Wisława Szymborska oder ein Roman von Markus Werner auch einmal fünf Jahre im Gestell darauf warten, dass jemand danach verlangt.

Ausserdem hat die Digitalisierung riesige Fortschritte gemacht. Als ich mit 20 bei Ribaux in die Lehre kam, haben wir noch mit dicken Katalogen gearbeitet und Bestellzettel ausgefüllt. Im Dezember bin ich nach Feierabend auf die Hauptpost gegangen und habe in einem Kabäuschen die Bestellungen in den Telex getippt. Das ist jetzt viel einfacher geworden. Wir können am Computer abrufen, ob ein Buch lieferbar ist, auf Knopfdruck bestellen und am nächsten Tag ist es hier. Ich staune darüber, wie viel wir zu dritt bewältigen können.

Andere Buchhandlungen haben ein Café, Hörbücher, E-Reader, Geschenkartikel etc. Bedauerst Du, dass Du dafür keinen Platz hast?

Nein. Damit will ich mich nicht auch noch beschäftigen, ich will mich auf Bücher konzentrieren. Wichtig ist mir aber das Stübli für die Kinderbücher. Die ersten Erlebnisse mit Büchern sind prägend, und hier können die Kinder in einer schönen Atmosphäre in diese Welt eintauchen. Das ist ein emotionaler Wert. Und Kinder sind die künftigen Leser:innen.

Hat denn der Buchhandel eine Zukunft? Man liest, dass die Jungen nicht mehr lesen.

Das ist doch völlig normal. Ich habe in jungen Jahren auch weniger gelesen, weil ich mehr an Konzerte ging und mit Freund:innen unterwegs war. Erst später findet man es schön, einen Abend daheim mit einem guten Buch zu verbringen. Diese Leute gibt es und wir holen sie ab. Ich nehme es jedenfalls nicht so wahr, dass weniger gelesen würde als früher.

Im Oktober eröffnet Lüthy ein neues, grosses Buchhaus an der Multergasse, gleich um die Ecke.

Ja, das ist sehr nah, eine gute Lage und viel Fläche. Gewünscht habe ich mir das natürlich nicht. Aber als Buchhandelskette stellt Lüthy eher eine Konkurrenz für das Rösslitor dar. Wir haben ein ausgesuchteres Sortiment, sind persönlicher und haben treue Stammkund:innen. Wir leben von ihnen und sie werden nicht wegfallen, wenn wir gut weitermachen.

Es hat lange gedauert, Deine Nachfolge zu regeln. Ist es so schwierig, jemanden zu finden, der das Wagnis eingehen will?

Ich habe 2005 angefangen, obwohl mir viele abgeraten haben. Ich habe damals ohne Businessplan einfach losgelegt. Man muss so etwas mit einer grossen Lust und viel Herzblut angehen. Selbständiges Buchhändlern ist eine Lebensform, Arbeitsleben und Privatleben vermischen sich. Aber ich war sicher, dass ich nie einen Burn-out bekommen würde, weil ich meine Arbeit als sinnvoll und erfüllend erlebe. Und die Auszeichnung als Buchhandlung des Jahres 2017 war eine schöne Bestätigung. Aufhören war lange kein Thema. Aber vor etwa zwei Jahren wurde mir bewusst, dass es Zeit wird, mich damit zu befassen. Ich habe mir ja immer gewünscht, dass die «Rose» nicht nur mit meiner Person steht und fällt. Inzwischen bin ich froh, dass ich die Verantwortung Stefan Bertschi übergeben kann. Dieser Schritt in die Selbständigkeit braucht eindeutig Mut. Aber ich spüre bei ihm eine grosse Freude, er will sich unbedingt darauf einlassen. Ich werde noch eine Weile angestellt bleiben und ihn mit Alexandra Elias Zurflüh nach Kräften unterstützen.

Freust Du Dich darauf, nach der Pensionierung endlich zu lesen – oder darauf, endlich Zeit für anderes zu haben?

Ich freue mich auf das Lesen ohne die Schere im Kopf: Wieviel davon kaufe ich ein? Wem kann ich das empfehlen? Ich habe Stapel von Ungelesenem daheim, die ich endlich bewältigen möchte, auch Klassiker. Und dann werden wir sehen, was sich sonst noch öffnet.

Leonie Schwendimann, 1956, hat bei Louis Ribaux in St.Gallen Buchhändlerin gelernt, nach Stationen bei Rösslitor und Comedia war sie Mitinhaberin des Bücherladens Appenzell und hat 2005 ihre eigene Buchhandlung zur Rose in St.Gallen gegründet. Per Januar 2023 übergibt sie die Geschäftsleitung an Stefan Bertschi. Der «sanfte Übergang» wird am 1. Oktober 2022 ab 11 Uhr mit Musik von Martin Amstutz und Isa Fisch, mit literarischen Leckerbissen von Matthias Flückiger und mit Essen und Trinken gefeiert.

Dieser Beitrag erscheint auch im Oktoberheft von Saiten.

2 Kommentare zu «Selbständiges Buchhändlern ist eine Lebensform»

  • Lanz Jacqueline sagt:

    Sehr einfühlsamer und spannender Artikel. Seit Jahren bin ich Kundin in der Rose, es ist genau so wie beschrieben. Für mich gibt es in der Stadt nur „Die Rose“ wo ich Bücher einkaufe! Das Personal ist kompetent, gute Empfehlungen eienfach super! Schön dass es weiter geht.

  • Gabrielle et Jean-Pierre Barbey sagt:

    Vive la Rose à Saint Gall!

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