, 13. Oktober 2021
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Sozial zum Wärmeverbund

Im Westen St.Gallens haben die Stadtwerke nach langen Verhandlungen mit den Eigentümer:innen einer Reihenhaussiedlung aus den 1970er-Jahren einen Erdsonden-Wärmeverbund in Betrieb genommen. Möglich wurde die gemeinsame Lösung dank intensiven Nachbarschaftskontakten.

Gemeinsam heizen an der Ramsenstrasse. (Bilder: co)

Die Teppichsiedlung an der Ramsenstrasse, am Hang über der SOB- Bahnstrecke gelegen, versteckt sich im Sommer hinter üppigem Grün. Spaziergänger und Velofahrerinnen kennen den Ort, weil daran die Hinterbergstrasse, die schmale, direkte und steile Verbindung von der Busstation Hinterberg an der Lehnstrasse hinauf ins Quartier führt. Im Vorbeigehen fällt die parkähnliche Umgebung mit Kinderspielplatz und Biotop auf.

Überbaut wurde der Hang Mitte der 1970er-Jahre von der «Genossenschaft schönes Wohnen», heute heisst sie «Siedlungsgenossenschaft Hinterberg». Ihr gehören der Boden der Umgebung samt Garagenreihe, Spielplatz und Biotop. Die einzelnen Häuser sind im Privateigentum, doch die Besitzer:innen sind gleichzeitig Mitglied der Genossenschaft und zahlen jährlich ihren Obolus an den Unterhalt der grosszügig gestalteten Umgebung.

Gemeinsam heizen

Infrastrukturaufgaben gemeinsam anpacken war schon beim Bau das Ziel: Einen gemeinsamen Fernseh-Kabelanschluss und vor allem eine zentrale Heizung – damals mit Öl betrieben – gab es zu Beginn. Doch rasch entstanden Konflikte, denn die Wärmeversorgung funktionierte nicht oder nur schlecht. In vielen Häusern war es zu kalt und man stritt sich über den Kostenverteiler. Die Mehrheit der Hauseigentümer:innen stieg deshalb schon nach wenigen Jahren auf eine individuelle Heizung um, einige bauten Elektrospeicher ein. Nur 8 der 19 Häuser des einstigen «Verbundes West» blieben an der ursprünglichen Zentrale angeschlossen. Untergebracht war sie im benachbarten Garagenbau.

Im Rahmen der Genossenschaftsversammlungen – sie sind wichtige soziale Treffpunkte im Quartier – wurde immer wieder mal das Heizungsproblem diskutiert, doch lange passierte nichts. Vielen Hauseigentümer:innen war zwar klar, dass Erneuerungen anstehen und die Öl- und Elektroheizungen ersetzt werden müssen. Eine neue zentrale Wärmeversorgung kam aber wegen der schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit nur zögerlich aufs Tapet.

Dennoch: 2016 kam es zum ersten Kontakt mit der Energieberatung und den St.Galler Stadtwerken. Erste Abklärungen ergaben, dass eine Gaszuleitung unter der Eisenbahnlinie hindurch aus Sicherheitsgründen nicht machbar ist, und dass das Quartier nicht mit Fernwärme erschlossen werden kann.

Die beste Lösung – so die Analyse – wären Erdsonden mit Wärmepumpen. Doch damit sich eine solche Investition rechne, müssten alle Eigentümer:innen der drei Hausreihen mitziehen, so die Berechnung der Stadtwerke. Sie treten hier als Vertragspartner auf (siehe Randspalte) und postulierten deshalb im Laufe des Projektes eine Anschlusspflicht. Im Gegenzug offerierten die Stadtwerke einen fixen Investitionsbetrag von 42’500 Franken pro Haus, und sie garantieren die Wärme für Heizung und Warmwasser mit einer individuellen Verbrauchsabrechnung – ohne weitere Pauschalkosten.

Miteinander reden

Bis die Anlage vor wenigen Wochen nun in Betrieb gehen konnte, vergingen allerdings fünf Jahre. Immer wieder trafen sich die Nachbar:innen mit den Fachleuten zu Informationsveranstaltungen im Schulhaus Boppartshof. Technische, finanzielle und vertragliche Varianten wurden diskutiert. Dann sagte im Juni 2018 die Genossenschaftsversammlung grundsätzlich Ja zur Bohrung von Erdsonden. «Weil wir aber nach den schlechten Erfahrungen in früheren Jahren gebrannte Kinder waren, wollten wir als Genossenschaft direkt nichts mit dem Projekt zu tun haben», schildert Genossenschaftspräsident Bruno Broder. Deshalb verhandelte eine ad hoc zusammengesetzte Interessengemeinschaft mit den Stadtwerken weiter.

Neue Technik im alten Raum

Der einstige Wärmeverbund der drei Hausreihen an der Ramsenstrasse, der mit dem Bau Mitte der 1970er-Jahre aufgebaut worden war, hatte den zentralen Ölbrenner am Rand des benachbarten Garagentraktes. Die Versorgungsleitungen führten parallel zur Strasse jeweils vom obersten Haus durch die drei Reihen. Die neue Erdsonden-/Wärmepumpenanlage nutzt den früheren Heizungsraum als Zentrale. Die 14 Erdsonden wurden entlang der Strasse und dem Bahngleis gebohrt. Von der Zentrale aus führen die Leitungen in einem geschlossenen System neu aber jeweils vom untersten Haus einer Reihe nach oben und wieder zurück. In jedem Haus gibt es einen Wärmetauscher und einen Wärmespeicher. Das Warmwasser wird in einer sogenannten Frischwasserstation erwärmt, die ihre Wärme aus dem Speicher bezieht.

«Hätte es nicht unter den Bewohnerinnen und Bewohnern einen grossen Einsatz gegeben, damit alle mitmachen, wäre das Projekt nicht zu realisieren gewesen», blickt Beat Fausch zurück. Er ist bei den St.Galler Stadtwerken als Berater von Wärmelösungen zuständig und zeigte den Liegenschaftsbesitzer:innen nicht nur die technisch möglichen Lösungen auf, sondern vermittelte auch Förderbeiträge. Das Projekt an der Ramsenstrasse sei eines der aufwändigsten gewesen, das die Stadtwerke bisher umgesetzt haben. Und zwischendurch stand das Projekt auch auf der Kippe. Dass trotz vieler Hürden, Skepsis und Unstimmigkeiten die Anlage nun läuft, ist nicht zuletzt dem genossenschaftlichen Quartiergeist zu verdanken.

Die beiden Genossenschaftsvorstände, Bruno Broder und Marco Ender, bringen diesen Quartiergeist so auf den Punkt: sich die nötige Zeit nehmen, reden mit den Nachbarn, bei allen Schritten immer so breit wie möglich informieren. Immer wieder mal die einen stupfen, damit sie auch bei den anderen das Thema am Laufen halten. Die Interessengemeinschaft habe bewusst diesen «sanften» Kurs gewählt, sagt Marco Ender: «Wir wohnen ja alle hier, wir sind nie als Verkäufer aufgetreten.»

Es gab Begeisterte, die rasch bereit waren, am Verbund mitzumachen. Ein Hauseigentümer hat sich angeschlossen, obwohl er schon eine eigene Erdsonde hat. Skeptiker:innen wurden von Broder und Ender unter anderem auf die Wertsteigerung der Häuser hingewiesen, die eine umweltfreundliche neue Heizung mit sich bringe. Einzelne Eigentümer:innen konnten zuerst die Investitionskosten nicht aufbringen. Doch dank einer Vorfinanzierung durch die Stadtwerke und der Staffelung der Zahlungen liessen sich Lösungen finden. Nur zwei Häuser am Ende einer Reihe sind nicht angeschlossen.

Kollektiv denken

Neben dem Aufzeigen von Lösungen und Fakten trug «Socializing» innerhalb der Genossenschaft vieles zum Gelingen des Projektes bei. Die Nachbar:innen sind untereinander per Du. «Man hilft sich gegenseitig und der Genossenschaftsgedanke ist trotz individuellem Hauseigentum zentral», so Bruno Broder. Es brauche eine grundsätzliche Bereitschaft, in einem solchen Umfeld ein Haus zu kaufen und hier zu wohnen, stellt er fest. Wer mit der Genossenschaft nichts zu tun haben wolle, werde bald einmal zum Aussenseiter. Solche Hausbesitzer:innen seien in einer Genossenschaftssiedlung wohl nicht am richtigen Ort. Mit lauter Individualist:innen wäre diese Lösung nicht zustande gekommen.

Trotz allem gab es auch Unstimmigkeiten. So konnten sich die Hausbesitzer:innen auf der Bergseite der Strasse nicht anschliessen, obwohl einige gerne mit dabei gewesen wären. Der Grund: Die Stadtwerke hatten berechnet, dass die Unterquerung der Strasse das Projekt so verteuern würde, dass kein konkurrenzfähiger Investitions- und Energiepreis mehr möglich würde. Diese Nachbar:innen hatten dann nur den Lärm der 14 Bohrungen und müssen für ihre Häuser eigene Lösungen suchen.

«Das gab mehr als nur enttäuschte Gesichter», stellt Bruno Broder fest. Doch er ist zuversichtlich, dass sich die Stimmung rasch wendet, denn nach Abschluss der Bauarbeiten wurde die Umgebung sorgfältig neugestaltet.

 

Das Geschäftsmodell der Stadtwerke:

So wie in der Teppichsiedlung an der Ramsenstrasse haben die St.Galler Stadtwerke (sgsw) schon mehrere Verbundlösungen realisiert. Die sgsw treten dabei den Hauseigentümer:innen gegenüber als Vertragspartner auf. Sie übernehmen die Planung und Bauleitung, garantieren die Wärmelieferungen und rechnen mit den Hauseigentümer:innen ab. Der Bau der Anlagen, von den Erdsondenbohrungen über das Leitungsnetz bis zu den Installationen in den jeweiligen Häusern, wird an private Firmen vergeben. Die Investitions- und Betriebskosten sind so berechnet, dass den Stadtwerken als Vertragspartner nur ein kleiner Gewinn bleibt. «Denn im Vordergrund steht die Realisierung von erneuerbaren Wärmelösungen im Sinne des Energiekonzeptes 2050 der Stadt St.Gallen», so Beat Fausch von den Stadtwerken. Die sgsw stehen mit solchen Planungen allerdings auch in Konkurrenz zu Privaten.

Realisiert wurden bisher nicht nur Erdsonden/Wärmepumpen-Lösungen sondern auch schon Blockheizkraftwerke, die gleichzeitig Strom produzieren, zum Beispiel in der Überbauung Birnbäumen. Priorität habe im Talbereich der Stadt aber die Fernwärme, stellt Beat Fausch klar. Bei seinen Beratungen trifft er aber immer wieder auf Situationen, bei denen es noch Jahre dauern wird, bis die Fernwärme die betreffenden Strassenzüge erreicht. Dann rät er meist zu einer Zwischenlösung – allenfalls sogar mit weiterhin fossilen Energieträgern, allerdings soweit möglich mit einem Bio-Anteil. Das kantonale Energiegesetz erlaubt dies. In anderen Kantonen ist jeglicher Gas- oder Ölheizungsersatz verboten.

In höher gelegenen Stadtquartieren, die von der Fernwärme nie versorgt werden können, werden Verbundlösungen angestrebt – wie eine nun an der Ramsenstrasse realisiert wurde. In Kürze lassen die Stadtwerke im Quartier Vogelherd eine zentrale Wärmeversorgung mit Erdsonden bauen, und an der Hofstrasse ist ein Projekt mit einem Blockheizkraftwerk in Planung. An der Ramsenstrasse gibt es ein weiteres Projekt: eine Photovoltaik-Anlage auf dem Garagentrakt. Noch im Oktober findet eine Infoveranstaltung für die Siedlungsgenossenschaft Hinterberg statt.

Beat Fausch stellt bei seinen Beratungen ein unterschiedliches Interesse an «sauberen» Energielösungen fest. Vor allem Hauseigentümer:innen, die eine Liegenschaft als reines Investment betrachten, das Rendite abwerfen soll, seien leider an nachhaltigen Lösungen wenig interessiert.

Kontakt zur Wärmeberatung der St.Galler Stadtwerke: energieeffizienz@sgsw.ch

 

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