, 21. November 2017
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Sozialministerin Sonja Lüthi?

St.Gallen wählt am 26. November die Nachfolgerin (oder den Nachfolger) des verstorbenen Nino Cozzio – und damit aller Voraussicht nach den künftigen Vorstand der Sozialen Dienste der Stadt. Was sind die sozialen Positionen der beiden Kandidierenden? Und wie halten sie es mit der Kultur? Hier Teil eins: Sonja Lüthi.

Bild: Ladina Bischof

Sie sei «eine bürgerliche Kandidatin», sagt ihr vormaliger Konkurrent (im ersten Wahlgang), Jürg Brunner von der SVP. Und ähnlich tönt es in Leserbriefen der letzten Tage oder in den gewerbenahen «St.Galler Nachrichten». Sie sei in ihrer bisherigen politischen Arbeit nicht mit sozialen Positionen hervorgetreten, sagen umgekehrt kritische Stimmen von links. Der politische Schwerpunkt der ausgebildeten Geografin und Ökonomin Sonja Lüthi war bisher die Energiepolitik.

Sonja Lüthi, sind Sie eine bürgerliche Stadträtin? Und was sind Ihre sozialen Anliegen?

Sonja Lüthi: Von einer linken Position unterscheidet mich am ehesten, dass ich hohen Wert auf Eigenverantwortung lege. Ich finde es wünschenswert, dass soziale Aufgaben nicht nur vom Staat, sondern auch von Privaten übernommen werden, wo dies möglich ist. Klar ist aber: Es braucht staatliche Auffangnetze für die Schwächeren in der Gesellschaft. Diese Netze müssten so ausgestaltet sein, dass sie das Potential der Menschen nutzen und stärken, auf ihren Ressourcen aufbauen – und dazu beitragen, dass diese Menschen wieder einen Platz im Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft finden können.

Was hiesse das zum Beispiel?

Das ist nicht ganz einfach zu formulieren – niemand hat Patentrezepte im Sozialbereich, ich auch nicht. Aber ich kann ein Beispiel machen, was ich nicht tun würde: Die Streichung des Kredits für die Projektwerkstatt St.Gallen empfand ich als unsinnigen Entscheid. Wegen ein paar Franken wird eine Institution zerstört, die vorbildliche Arbeit bei der gesellschaftlichen Eingliederung leistet. Ich hoffe, dass es noch einen Weg zur Rettung der Werkstatt gibt. Natürlich soll der Staat bei seinen Ausgaben genau hinschauen, aber in diesem Fall waren die Kriterien zu sehr auf die Ausgaben fokussiert – der Erfolg der Institution wurde nicht einmal in Betracht gezogen. Eine solche Evaluation via Ausschreibung ist politisch der falsche Weg.

Der Kantonsrat fährt seit Jahren einen sozialhilfe-kritischen Kurs – so sind unter anderem die SKOS-Richtlinien aufgeweicht worden. Wo stehen Sie?

Sozialhilfe muss sein, wo sie nötig ist – und dafür müssten die SKOS-Richtlinien verbindlich sein. Es stört mich, dass Gemeinden ausscheren und damit einen Wettbewerb starten, wer mehr Geld im Sozialen einspart. Auch den Entscheid des Kantonsrats, die Beiträge an die Nebenkosten für Sozialhilfe-Empfänger zu kürzen, finde ich falsch.

Und in der Stadt St.Gallen?

Die Stadt hat, wie die Städte überhaupt, eine Vorbildfunktion, was die Sozialpolitik angeht – nicht anders als in der Drogenpolitik. Hier wie dort sind innovative Ansätze gefragt; umso mehr finde ich schade, dass der Bund den geplanten Berner Cannabis-Pilotversuch verboten hat.

Was ist für Sie das drängendste soziale Thema?

Eine grosse Aufgabe kommt mit der Alterung der Gesellschaft auf uns zu. Und dabei sind oft die Frauen die Leidtragenden – Altersarmut betrifft überdurchschnittlich stark Frauen, die keine oder nur minime Pensionskassengelder beziehen. Daher müssten Teilzeit-Arbeitende in Sachen Pensionskassen besser abgesichert sein. Dies war mir in der DenkBar, wo wir Teilzeitstellen für Frauen 49+ anbieten, ein grosses Anliegen. Zudem sollten älteren Arbeitnehmenden bessere berufliche Chancen geboten werden. Und es wäre wichtig, dass die Gesellschaft das Knowhow und die freie Zeit von Pensionierten besser nutzt. Sie können vieles leisten, wozu berufstätige Familienfrauen und -männer nicht in der Lage sind.

Da sind wir beim nächsten Reizthema: der Kinderbetreuung.

Ich freue mich natürlich, dass das Stadtparlament gerade eben die Zahl der subventionierten Krippenplätze erhöht hat. Aber weiterhin fehlt es an Betreuungsangeboten für all die Frauen – oder besser gesagt: Eltern –, die abends oder am Wochenende arbeiten müssen. Von 7 bis 18 Uhr ist das Angebot gut, danach ist in den meisten Institutionen Schluss. Das müssen wir ändern.

Wie sähe Ihre Migrationspolitik aus?

Für mich ist der Sprachunterricht zentral. Das ist das beste Mittel, um Integration zu fördern – und nicht etwa ein Verhüllungsverbot. Dieses ist doppelt kontraproduktiv: Zum einen schürt es Ängste, zum andern hätte es zur Folge, dass die betroffenen Frauen noch stärker ausgeschlossen statt integriert werden. Man bestraft die Opfer selber.

Wie stehen Sie zum Ausländerstimm- und -wahlrecht?

Ich treffe viele Ausländerinnen und Ausländer, die sehr gut integriert sind – aber ausgeschlossen vom demokratischen Prozess. Für mich spricht nichts dagegen, Leuten, die zum Beispiel schon fünf Jahre hier sind und sich für Politik interessieren, das Stimm- uund Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu erteilen. Für eine Stadt wie St.Gallen wäre das ein Mehrwert. Das friedliche Zusammmenleben verschiedener Kulturen ist doch das, was unsere Stadt auszeichnet.

Die Stadt spart – unter anderem auch in der Kulturförderung, wo das Geld für die freie Projektförderung knapp wird. Was ist Ihre Haltung dazu?

Es kann sinnvoll sein, kulturelle Projekte mit touristischer Ausrichtung via Standortförderung mitzufinanzieren. Zum andern aber darf Kulturförderung nicht nur das Grosse und Mehrheitsfähige im Blick haben, sondern muss auch für kleine Geschichten da sein und neuen Ideen zum Leben verhelfen.

An welchen Kulturorten sieht man Sie?

Im Theater zum Beispiel oder in der Kellerbühne – ich mag es, wenn ich Denkanstösse erhalte, aber auch, wenn es lustig ist. Aber momentan bleibt mir wenig Zeit, mit einem anderthalbjährigen Kind, dem Beruf, der Politik und den ehrenamtlichen Engagements.

Welche sind das, und wie sind sie mit der Familie vereinbar?

Ich bin Präsidentin der Genossenschaft Solar St.Gallen, Co-Präsidentin der Genossenschaft DenkBar und Vorstandsmitglied beim Solarkino; hinzu kommen der WWF-Vorstand und diverse Organisationen im Energiebereich. Ich habe mich seit jeher vielfältig engagiert, und ich halte mich an den Grundsatz, Dinge durchzuziehen, insbesondere, wenn ich sie mitinitiiiert habe. Das klappt, sogar mit der Familie – auch wenn sie im Wahlkampf manchmal zu kurz kommt.

Sie haben das Klanghaus Toggenburg in der ominösen Schlussabstimmung Anfang März 2016 abgelehnt und eine kritische Interpellation zu den bereits angefallenen Kosten eingereicht. Das klingt kulturfeindlich.

Das Anliegen der GLP war, dass das Projekt regional besser verankert wird; dafür hatte Regierungsrat Klöti kein offenes Ohr. Jetzt sieht es tatsächlich danach aus, dass hier nachgebessert wurde und ich freue mich sehr, dass die Vorlage noch einmal ins Parlament kommen soll. Ich finde das Klanghaus eine gute Sache – das Nein galt nicht dem Projekt an sich, sondern den Umständen, die nicht überzeugten.

Was zeichnet ein urbanes St.Gallen für Sie aus? Oder was fehlt dazu?

Urban heisst für mich: ein lebendiges, offenes, vielfältiges St.Gallen. Eine Stadt, in der Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert hat und die eine aktive Stadtplanung betreibt. Das betrifft die Quartiere, wo es Durchmischung braucht, Läden und Plätze, auf denen man sich trifft. Und es betrifft die Innenstadt; sie darf nicht aussterben – das ist ein Problem, mit dem nicht nur St.Gallen zu kämpfen  hat. Zum Urbanen gehört weiter eine lebendige Kultur, mit «Leuchttürmen», aber auch mit kleinen feinen Initiativen. Und ich wünsche mir eine Verwaltung, die neue Ideen aufnimmt und nicht mit Überreglementierung reagiert, wie wir dies etwa bei der DenkBar erlebt haben (weil wir aus Platzgründen keine zweite Toilette einbauen konnten) oder beim Weieren-Openair. Die Verwaltung muss sich als Ermöglicherin verstehen und nicht als Verhinderer.

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